Dass die britische Thomas Cook Gruppe vor dem Ruin stand, war ein offenes Geheimnis in der Branche und darüber hinaus. Schon der Wechsel des aktuellen Konzernchefs Peter Frankenhauser Ende 2014 an die Spitze des Unternehmens stand unter der klaren Ansage, die Kostenstruktur in den Griff zu bekommen, sprich profitabler zu werden. Das klang schon seinerzeit merkwürdig, denn bereits Frankenhausers Vorgängerin Harriet Green hatte 2012 eine Cook-Gruppe übernommen, die schwer notleidend war, um es vorsichtig zu umschreiben.
Innerhalb kürzester Zeit schaffte Green zwar ein respektables kleines Wunder, nämlich eine regelrechte Explosion des Aktienwertes der Thomas Cook Group an der Londoner Börse, aber jeder, der etwas mit den Börsen dieser Welt vertraut ist, weiß, dass solche Börsenlieblinge nicht selten nur das Produkt temporärer Spekulationen sind. Und es ist kein gutes Zeichen oder zumindest ein merkwürdiges Signal, einerseits eine solche Wertsteigerung zu feiern, die dafür Verantwortliche aber nach nicht einmal drei Jahren wieder zu feuern.
Die erste Ansage von Peter Frankenhauser beim Amtsantritt war deshalb auch ein Spardiktat. Wirklich profitabel wurde Thomas Cook nicht mehr. Wie sich nun andeutet, war die Thomas Cook Gruppe offenbar in den letzten Jahren auch nur eine der vielen Zombie-Firmen, die durch einigen Aktionismus, wie Firmenübernahmen, finanziert mit spottbilligem Geld, dass durch Zentralbanken die Märkte überschwemmt hat und durch eine halbwegs gute PR nach außen auf den ersten Blick stabil und prosperierend erscheinen, aber schon beim ersten oberflächlichen Eintauchen in die Geschäftszahlen tickende Zeitbomben im Keller offenbaren.
Tourismus hart umkämpfter Markt mit Überkapazitäten
Die Tourismusbranche und insbesondere der mit ihm verbundene Individualflugverkehr sind seit Jahren von einem chronischen Überangebot und damit verbundenen ruinösen Preiskämpfen geprägt. In Konglomeraten wie der Thomas Cook Gruppe gilt deshalb Mischkalkulation, also die Gewährung von Rabatten zur Kundenbindung bzw. Kundengewinnung in einem Teil des Konzerns, dessen Verluste durch die Gewinne anderer Konzernteile aufgefangen werden sollen. Wenn jedoch diese gesunden Konzernteile immer kleiner und weniger werden, beginnen jene Verschiebebahnhöfe und Buchungstricksereien, die schon ganz andere Unternehmen als Thomas Cook am Ende strangulierten.
Überdies sind die aktuellen Klimaschutzdebatten sicherlich kein vertrauensförderndes Umfeld für eine Branche, die davon lebt, so viele Menschen wie möglich um den Globus zu transportieren und in riesigen Hotelanlagen und immer monströser dimensionierten Kreuzfahrtschiffen in kurzen Abständen mehr oder weniger zu mästen und zu bespaßen, ohne wirklich ernsthaft an so etwas wie Nachhaltigkeit zu denken, denn die kostet Geld, also Profite.
Condor könnte überleben
Sei es wie es sei. Im Moment scheint die deutsche Thomas Cook Tochtergesellschaft Condor Flugreisen GmbH das mehr oder weniger einzige echte Juwel des Konzerns zu sein. Und allen Aussagen von Analysten zufolge, hat die Condor das, was der verblichenen Air Berlin fehlte: Substanz. Wohl auch deshalb hatte die Gesellschaft verhältnismäßig schnell und reibungslos die Zusage der Bundesregierung und der hessischen Landesregierung für einen so genannten Massekredit auf dem Tisch, vorbehaltlich der Genehmigung durch die EU, um den laufenden Geschäftsbetrieb stemmen zu können, ohne eine Muttergesellschaft im Rücken. Die relativ schnelle Gewährung der Staatshilfe könnte darauf hindeuten, dass Condor tatsächlich in der Lage ist, mit einem Rechtskonstrukt weiter operieren zu können, das wie ein Schutzschirm das Absaugen von Geldmitteln durch die insolvente britische Mutter verhindert.
Das sieht bei den anderen deutschen Cook-Töchtern wohl etwas anders aus. Zwar versicherte die Chefin der Thomas Cook GmbH, Stefanie Berk, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) vom 25. September 2019, dass die deutschen Cook-Unternehmen nicht das Problem der gegenwärtigen Krise darstellen:
„Das Geschäft in Deutschland und in Skandinavien ist bis zuletzt profitabel gewesen, in Kontinentaleuropa haben wir in den meisten Ländern Gewinn gemacht. Der größte Hemmschuh für Thomas Cook war, dass es über die Jahre nicht gelungen ist, das englische Geschäft nachhaltig zu sanieren.“
Deutsche Cook-Urlauber werden heimgeholt, aber Vorauszahlungen sind gefährdet
Die rund 140.000 deutschen Thomas Cook Kunden, die von der Pleite überrascht wurden, sollen geordnet und ohne Zusatzkosten oder Vorauszahlungen nach Hause gebracht werden, versichert Stefanie Berk. Dennoch musste sie einräumen, dass das Geld nicht reichen könnte, um jene Kunden auszuzahlen, die ihre Reisen bereits bezahlt oder angezahlt, aber noch nicht angetreten haben. Und sie offenbarte, dass die deutsche Thomas Cook GmbH ganz offensichtlich schon zu tief im Staubsauger der britischen Muttergesellschaft feststeckte:
„Alle Tochtergesellschaften haften für die Gesamtverpflichtungen des Thomas-Cook-Konzerns mit. Für unser Geschäft hätten wir nur eine Lösung zum direkten Fortsetzen der Geschäfte finden können, wenn wir aus dieser Haftung herausgekommen wäre. Das war so kurzfristig leider nicht möglich.“
Weshalb der jetzt eingereichte Insolvenzantrag für die deutsche Thomas Cook GmbH zwingend wurde. Denn die Bundesregierung machte unmissverständlich klar, dass ohne eine solche Notbremse über etwaige Überbrückungshilfen aus Steuermitteln nicht eine Sekunde nachgedacht würde. Vor dem Hintergrund des mit dem Insolvenzantrag amtlich bestätigten Offenbarungseides der deutschen Thomas Cook Gesellschaft, klingt es etwas wie das Pfeifen im Wald, wenn Stefanie Berk in der FAZ meint, eine wie auch immer konstruierte eigenständige Thomas Cook Gruppe sei überlebensfähig, obwohl sie so eng mit der britischen Muttergesellschaft verbandelt ist, dass alle potenziellen Interessenten die Finger von einem Einstieg im laufenden Insolvenzverfahren gelassen haben, wie sie einräumen musste.
Die wichtigsten Firmen des deutschen Thomas Cook Geflechtes, die Reiseveranstalter Neckermann, Öger, Bucher und Air Marin sowie Hotelmarken wie Sentido, Smartline oder Aldiana sind in den rückliegenden Jahren offenbar so intensiv von der Londoner Konzernmutter zu Ader gelassen worden, dass der Leser fast genauso entsetzt ist wie Stefanie Berk, aus der es gegenüber den FAZ-Journalisten regelrecht herausbricht:
„Ich bin entsetzt, wie die Schlussphase von Thomas Cook abgelaufen ist. Es sind aber immer wieder Nachforderungen gestellt worden, beispielsweise nachträglich geforderte Sicherheiten, die kurzfristig nicht mehr zu erfüllen waren. Nun werden Werte vernichtet.“
Schicksal aller anderen deutschen Cook-Töchter hängt vom Mutterkonzern ab
Das bedeutet, dass seriöser Weise davon ausgegangenen werden muss, dass abgesehen von Condor die anderen deutschen Thomas Cook Gesellschaften wohl nur eine Zukunft haben, wenn entweder noch ein Wunder geschieht, also die britische Konzernmutter nicht zerschlagen wird. Oder aber, wenn Interessenten an den Kerngeschäften der deutschen Cook-Töchter interessiert sind. Das aber bedeutet mit einiger Sicherheit, dass nur ein Teil der Beschäftigten der Thomas Cook GmbH ihre Arbeitsplätze behalten werden. Vor allem aber bedeutet es, dass mittel- bis langfristig die Reise- und Flugpreise anziehen könnten, wenn ein derart großer Marktteilnehmer verschwindet.
Und da mittlerweile auch die polnische Konzerntochter Insolvenz anmeldete und es unlogisch erscheint, dass sich nicht auch andere nationale Cook-Gesellschaften vor einem Mittelabfluss in Richtung London durch ein geordnetes Insolvenzverfahren zu schützen versuchen, erscheinen die Zukunftschancen und die Handlungsspielräume für den Gesamtkonzern Thomas Cook, seine Existenz zu bewahren, einigermaßen begrenzt.
sputniknews
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