Ich habe nichts gegen “Aber“, aber...

  02 Oktober 2015    Gelesen: 704
Ich habe nichts gegen “Aber“, aber...
Seit Martin Luther verachten die Deutschen das Wörtchen "aber". Seine einschränkende Funktion erscheint als Verweigerung einer klaren Haltung. Dabei ist es Ausdruck einer gesunden Skepsis-Kultur.
Das Wörtchen "aber" ist in Verruf gekommen. Es gilt nicht als dezidiert genug. Ihm fehlt die Emphase, die Kraft der Überzeugung, auch die Klarheit. Wer sich anschaut, wie vor allem in den sozialen Netzwerken die aktuelle Flüchtlingsproblematik diskutiert wird, stößt immer wieder auf die Forderung nach eindeutigen Bekenntnissen. Man hat für die grenzenlose Aufnahme von Migranten zu sein oder, bei anderer politischer Ausrichtung, dagegen.

Besonders die ferventen Befürworter der Zuwanderung jedoch, die oft eloquenter, rhetorisch besser geschult sind als ihre Gegner, wittern im "Aber" einen argumentativen Trick: Wenn jemand von sich behauptet: "Ich habe ja nichts gegen Muslime" (wahlweise auch Syrer, Afghanen, Iraker, Türken, Homosexuelle), "aber ich finde doch, dass man dieses oder jenes von ihnen erwarten darf", so wittern die Feinde des "Aber" eine Floskel, hinter der sich nichts anderes als Fremden- oder Minderheitenhass verbirgt.

Nun ist ja Sprachkritik eine exzellente Sache, wenn man herausfinden will, wie jemand wirklich denkt. "An ihren Metaphern sollt ihr sie erkennen", sagte schon der Dichter Gottfried Benn. Und der große Romanist Victor Klemperer legte ein ganzes Wörterbuch zur Sprache des Dritten Reiches an, in dem er darlegte, wie schon der Sprachgebrauch faschistisches Gedankengut verrät. Nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass wir heute bei Begriffen wie "Volksgemeinschaft" oder "gesunder Menschenverstand" hellhörig werden: Es sind Begriffe, die durch den Nazi-Gebrauch kontaminiert sind. Wer sie heute noch verwendet, macht sich in der Tat verdächtig.

Luther kann nicht anders

Aber gilt das auch für die Einschränkungsvokabel "aber", ein doch recht neutrales Wort, das wir in tausenderlei Zusammenhängen tagtäglich verwenden? In dem Gebrauch von "Ich habe ja nichts gegen XYZ, aber ..." ist ja nicht so sehr das "Aber" anstößig. Woran sich viele stoßen, ist die Einschränkung, das Relativieren. Das besitzt in Deutschland gute, alte Tradition. Sie geht, wie so viele unserer sprachkulturellen Übereinkünfte, auf Martin Luther zurück und sein Nicht-anders-Können.

Wie kein anderer unter den großen deutschen Rednern der frühen Neuzeit hielt es der Reformator mit dem Bibelwort (Mt., 5, 37) "Eure Rede aber sei ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist von Übel." Im Grunde eine Anweisung für Klippschüler! Denn das Abwägen in der Argumentation gerät damit in den Verdacht des Finassierens und Manipulierens. Wir vermuten dahinter mangelnde Ehrlichkeit und Berechenbarkeit. Wir halten uns auf das deutsche Donnerwort viel zugute. Vor allem, wenn Ablehnung, gar Empörung gefragt ist, erwarten wir ein Nein, das wie ein Trompetenstoß daherkommt. Alles andere sind wir versucht, nicht von ungefähr mit einem Rückgriff beim Lateinischen, als "Rabulistik" abzutun.

Und damit sind wir denn auch beim eigentlichen Hintergrund der deutschen "Aber"-Verachtung. Das "Aber" gilt uns, auch wenn wir uns dessen nicht mehr voll bewusst sind, irgendwie als undeutsch. Es ist Teil jener romanischen Prägung, die wir Deutschen ja auch haben, der wir aber immer mit einem gewissen Misstrauen begegnet sind. Und das zieht sich subkutan durch bis heute. Wenn jemand sich sprachlich nicht explizit festlegen will, attestieren wir ihm gern ein "beherztes Sowohl-als-auch" oder gar ein "klares Jein", und in dem ironischen Paradox schwingt unsere ganze Verachtung für die Verweigerung eines klaren Ja oder Nein mit.

Aber damit sprechen wir uns nicht nur gegen die Vorsicht und gegen das Differenzierungsvermögen aus. Damit geben wir uns auch klar als Gegner von etwas zu erkennen, das ein anderer großer deutscher Romanist, Jürgen von Stackelberg, als konstitutiv für die lateinisch-romanische Welt erkannt hat, nämlich die sogenannte Skepsis-Kultur.

Das deutsche Donnerwort, im moralischen Umfeld von Geradlinigkeit und Verlässlichkeit angesiedelt, und die Skepsis, welche der Welt der Akademien, der Höfe und der Diplomatie zugerechnet wird: Das ist im Grunde der uralte Gegensatz zwischen germanischer und lateinischer Welt, zwischen "unverfälscht" und "verbildet", zwischen Kultur und Zivilisation, Inhalt und Form. Vor hundert Jahren hätte man diesen Gegensatz auf Deutschland und Frankreich als die "beiden Flügel des Abendlandes" (Romain Rolland) zurückgeführt. Heute, wo wir uns im Zeitalter des Postnationalismus wähnen, muss man den Gegensatz wohl eher als Unterschied zwischen Unbedingten und denen, die Bedingungen stellen, also auch zwischen Schwarz-Weiß-Malern und solchen, die Grautöne bevorzugen, bezeichnen – kurzum als Unterschied zwischen Vereinfachern und Differenzierern.

Was die Sache so schwierig macht (und die alten Denkfiguren überlagert), ist die Tatsache, dass die Vereinfacher heute sowohl rechts als auch links sitzen. Die rechten Hasser, die sich gegen alles Andersartige zur Wehr setzen, und die linken Gutmenschen, denen es gar nicht andersartig genug sein kann: Sie sind sich näher, als sie glauben. Sie sind alle beide "terribles simplificateurs" (schreckliche Vereinfacher), eine Redewendung, die nicht von ungefähr in Frankreich, keineswegs in Deutschland erfunden wurde.

Deutsche Kultur-Absorbierer

Der skepsisgeschulte Mensch findet hingegen Ausländer, Fremde, Muslime, Andersliebende nicht per se großartig oder grauenhaft, sondern er fragt sich: Wozu sind diese Leute gut, was können sie möglicherweise zu unserem Gemeinwesen beitragen, inwieweit vermögen sie unter Umständen sogar mein eigenes Lebens zu bereichern? Wie viel und welche Andersartigkeit schadet mir persönlich oder unserem Land als Ganzes, wie viel und welche Andersartigkeit tut mir und uns möglicherweise aber sogar gut?

Auch das ist übrigens, jenseits aller Skepsiskultur, gute alte deutsche Tradition: Sich zu fragen, was man von anderen lernen kann. Kein Volk in Europa hat wie die Deutschen andere Länder bereist, andere Kulturen befragt, andere Literaturen übersetzt. Zum deutschen Nationalcharakter gehört sogar von alters her eine gewisse Erlösungsbedürftigkeit, das Bedürfnis, sich von den Fesseln des Nur-Deutschseins zu befreien. Das konnte bis zur Selbstaufgabe gehen, wenn der Ehrgeiz sich in die Richtung entwickelte, dass man italienischer als die Italiener, griechischer als die Griechen, französischer als die Franzosen, amerikanischer als die Amerikaner sein wollte.

Aber der Akzent lag eben auf Bereicherung. Die anderen Kulturen mussten über etwas verfügen, was uns fehlte. Die Italiener besaßen jenen Sinn für Form und Schönheit, der uns fehlte, die Franzosen urbanes Savoir-vivre, die Amerikaner eine Populärkultur, die dem heiligen deutschen Ernst jene demokratische Note hinzufügte, die uns die alteuropäischen Hochkulturen nicht zu bieten vermochten (jedenfalls vermochten wir sie nicht zu sehen).

Aber nun erhebt sich eben die große Frage: Was bieten uns Muslime, auch oder gerade syrischer, afghanischer, irakischer Provenienz, das uns kulturell beziehungsweise lebensweltlich weiterbringt – abgesehen davon, dass sie eines Tages, so steht zu hoffen, unsere Renten- oder Krankenkassen füllen helfen? Wer es weiß, der trete vor! Aber wer diese Frage überflüssig, gar unzulässig findet, der gehe in sich und frage sich, wie er`s mit der Skepsiskultur hält.

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