Wenn Queen Elizabeth II. das Parlament nach der Pause eröffnet, wird es für sie das 65. Mal seit ihrer Krönung Anfang der Fünfzigerjahre sein. Doch selten war so brisant, was sie vorträgt. Denn die Rede spiegelt mitnichten ihre persönliche Meinung wider. Geschrieben wird sie von Premier Boris Johnson und seiner Regierung. Die Queen muss sie verlesen, unabhängig davon, ob sie den Inhalten zustimmt oder nicht.
Johnson erhält so ein prominentes Sprachrohr, um einen Ausblick auf seine Pläne zu geben, besonders auf die Gesetze, die er dem Parlament zur Abstimmung vorlegen will. Die Regierung hofft so auf die Legitimierung umstrittener Pläne, die Absegnung durch die Monarchin wird zumindest suggeriert.
Und da liegt das Problem: Johnson stößt mit seinem harten Brexit-Kurs auf immer mehr Widerstand, auch in den eigenen Reihen. Der Queen ein entsprechendes Programm in den Mund legen zu wollen, verursachte schon im Vorfeld Missmut. Oppositions-Chef Jeremy Corbyn unterstellte Johnson vor britischen Journalisten, die Rede als "parteipolitischen Rundfunk" missbrauchen zu wollen. Dass Johnson ohne Mehrheit im Parlament versuche, so seine Agenda auszuspielen, sei ein "zynischer Stunt".
Johnson wird versuchen, den Brexit weiterhin als Chance für das Königreich zu präsentieren. Genau das tat auch seine Vorgängerin Theresa May in der Rede der Königin im Jahr 2017 - damals musste die Queen davon erzählen, wie die Regierung den "Brexit zu einem Erfolg" machen wollte.
Dass sie den Austrittsplänen trotz ihrer Worte skeptisch gegenüberstand, durfte die Königin zwar nicht sagen, machte aber ein starkes nonverbales Statement gegen den Austritt. Ihr blau-gelbes "Europa-Outfit" war ein eindeutiger Wink in Richtung der Bündnispartner in Brüssel. Für den blauen Hut mit gelben Blumen verzichtete die Königin sogar auf das Tragen ihrer Krone - zum ersten Mal seit 43 Jahren.
Insgesamt dürfte Johnson versuchen, das Thema Brexit möglichst klein zu spielen, denn weder kann er bislang Erfolge vorweisen, noch sind Fortschritte bis zum Ablauf der Einigungsfrist am 19. Oktober absehbar. "Get Brexit done", "den Brexit erledigen", wird sein Credo sein - zu genaueren Modalitäten wird er sich mangels gültiger Vereinbarungen so wenig wie möglich äußern.
So wird Johnson die Queen voraussichtlich über innenpolitische Themen sprechen lassen, die er bereits in seinen Brexit-Kampagnen als positive Effekte des Austritts verkaufte: mehr Geld für das Gesundheitswesen, für Schulen und die Polizei. Und das, obwohl sich seine Kalkulation, diese Vorhaben mit aktuell an die EU gezahlten Geldern zu finanzieren, bereits vorab als falsch herausstellte.
In den folgenden Tagen werden die Abgeordneten über das vorgetragene Programm abstimmen. Sollte die Regierung dabei keine Mehrheit erhalten, käme das einem Misstrauensvotum gleich - allerdings, ohne automatisch einen Regierungswechsel einzuläuten.
Das letzte Mal verlor eine Regierung im Jahr 1924 die Abstimmung nach der Queen's Speech. Eine Niederlage hätte also historische Dimensionen - und selten war die Lage so angespannt wie in diesen Tagen:
- Gleichzeitig ist Johnson weit entfernt davon, eine Mehrheit in der Brexit-Frage hinter sich zu haben. Sieben Abstimmungen im Unterhaus hat Johnson während seiner Amtszeit als Premierminister seit Juli verloren.
- Würden nach der Rede der Königin alle Abgeordneten außer den Tories gegen seine Pläne stimmen, verlöre er mit über 50 Stimmen Unterschied. Doch selbst in der eigenen Partei widersetzen sich immer mehr Abgeordnete seinem Kurs.
Sollte Johnson die folgenden Abstimmungen verlieren, müsste er zwar nicht automatisch zurücktreten, stünde aber unter großem Druck, dies zu tun. Kritiker forderten genau diesen Schritt bereits vor einiger Zeit, etwa nach der als unrechtmäßig verurteilten Zwangsbeurlaubung des Parlaments Ende September. Politiker aus beiden Lagern hatten ihn damals aufgefordert zurückzutreten. Johnson hatte sie ignoriert.
Die Rede der Queen beendet mit der Wiedereinberufung der Abgeordneten die strittige Parlamentspause. Johnson hatte diese ursprünglich für fünf Wochen angesetzt, das Oberste Gericht aber das Ganze letztendlich auf wenige Tage verkürzt.
Klar ist: Die Queen wird die Rede ihrer Regierung verlesen, und sie wird es mit der ihr eigenen stoischen Zurückhaltung tun. Ihre Rolle bei der Parlamentseröffnung wird es vor allem sein, durch das historische, prunkvolle und symbolisch aufgeladene Prozedere Stabilität zu vermitteln. Die unangenehmere Aufgabe bleibt Premier Johnson, der sich anschließend der Kritik der Abgeordneten stellen muss.
spiegel
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