Da sitzen sie wieder, diese unglücklich Verheirateten, die ihre Ehe schon vor zwei Jahren beendet glaubten und sich dann doch wieder zusammenrauften - der Kinder wegen und auch in Ermangelung neuer Partner. Union und SPD haben es Anfang 2018 noch einmal miteinander versucht und in dieser Woche Bilanz gezogen. Kurzgefasst: "Die Leidenschaft füreinander ist nicht größer geworden, aber was wir uns vorgenommen haben, haben wir auch größtenteils erledigt." Es hat schon schlimmere Ehen gegeben, auch in der Politik.
Die Spitzen von Union und SPD stehen nun vor der Aufgabe, sich selbst und das Land von der Sinnhaftigkeit des Weitermachens bis zum Ende der Legislaturperiode zu überzeugen. Gelegenheit dazu gibt ihnen Anne Will, die CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer und die Kommissarische SPD-Parteivorsitzende Malu Dreyer zum Gespräch bittet. Sendungstitel: "Halbzeit für die GroKo - viel erreicht, viel versäumt?".
Die beiden Spitzenpolitikerinnen müssen das Tun der GroKo aber nicht vor Oppositionsvertretern verteidigen. Ihnen gegenüber sitzen "Welt"-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld, der Parlamentsreporter Nico Fried von der "Süddeutschen Zeitung" und der Historiker Herfried Münkler. Es ist auch dieser Besetzung geschuldet, dass sich die Sendung - anders als der Titel verspricht - mehr damit befasst, wie es nach zwei abermaligen GroKo-Jahren den Parteien geht, als wie es um das Land bestellt ist.
"Die Kuh ist vom Eis"
Kramp-Karrenbauer, Dreyer und die Zuschauer werden konfrontiert mit der ganzen Meinungsbandbreite, die sich eben entfaltet, wenn die Leiterin einer liberal-konservativen Tageszeitung, ein leitender Mitarbeiter einer liberalen Tageszeitung und ein eher konservativer Kommentator mit SPD-Parteibuch diskutieren. Entsprechend wenig emotional verläuft der Abend - es vergeht eine Stunde, ohne dass wer unterbrochen wird oder jemand mal einen scharfen Ton anschlägt.
Dreyer und Kramp-Karrenbauer fehlt dazu vielleicht auch schlicht die Kraft am Ende eines einmal mehr arbeitsreichen Wochenendes. Noch am Sonntag haben sie mehrere Stunden gefeilt am Durchbruch zum Grundrenten-Kompromiss. "Die Kuh ist vom Eis", kommentierte Parteichef Markus Söder anschließend die gemeinsame Ergebnispräsentation mit AKK und Dreyer. Die GroKo wird nicht am Grundrentenstreit zerbrechen. Tatsächlich haben ja beide Seiten etwas erreicht: die SPD eine Altersgrundsicherung für langjährige Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor, die Union eine abgeschwächte Form der Bedürftigkeitsprüfung unter anderem Namen.
Überglücklich aber wirkt mit dem Kompromiss keiner der drei Parteichefs, auch nicht, als sich zwei von ihnen bei "Anne Will" wiedertreffen. "Es ist doch eine Spezialität dieser Koalition, dass sich Kompromisse immer wie halbe Niederlagen anfühlen", kommentiert Rosenfeld. Beide Seiten seien mit ihren Maximalforderungen stets derart schnell hoch oben in den Bäumen, "dass das Runterkommen immer wie eine Niederlage aussieht".
Münkler ergänzt, die Parteien hätten auch Probleme, errungene Erfolge nach außen darzustellen, aus Angst, sie würden der anderen Seite zugerechnet. Zu groß sei das Verlangen, sich vom Koalitionspartner nach links beziehungsweise rechts absetzen zu wollen. "Diese fehlende innere Stimmigkeit der Parteien, die führt natürlich dazu, dass Fragen, die sich in diesem Punkt anbieten, eine Bedeutung bekommen, die nicht angemessen ist", erklärt sich Münkler die neun Monate währende Aufregung um das Paket. Rosenfeld sagt: "Koalieren und gleichzeitig Profilieren führt selten zu guter Regierungsarbeit."
Kein Plan für die Zukunft
Einigkeit herrscht in der Runde aber in einem Punkt: Die Große Koalition hat gemessen an ihrem Arbeitsvertrag tatsächlich viel erreicht, schafft es aber, jeden noch so großen Erfolg durch Zwist innerhalb oder zwischen den Parteien zu überschatten. Die Bundesregierung vermittele das "Bild, dass wir in der Koalition schlechter zusammenarbeiten, als es eigentlich der Fall ist", sagt Kramp-Karrenbauer und nennt dabei auch selbstkritisch den Bruderkrieg zwischen CDU und CSU im Sommer 2018. Aber weil Schuldzuweisungen in dieser Ehe zwanghaft sind, schiebt AKK nach: "Die SPD hat gerade in der letzten Legislaturperiode den Hang, Opposition in der Regierung zu spielen."
Dennoch: Kramp-Karrenbauer und Dreyer sind einigermaßen bemüht, das Werben für die Halbzeitbilanz nachzuholen, dass die übrigen Regierungsmitglieder in den vergangenen Tagen verpasst haben. Dabei hat die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Dreyer gar keinen Platz am Kabinettstisch von Bundeskanzlerin Angela Merkel, und Kramp-Karrenbauer hat ihren Job als Verteidigungsministerin erst im Sommer angetreten.
Vor allem Dreyer geht das Aufzählen sozialpolitischer Errungenschaften leicht von den Lippen. "Wenn ich das so höre, mit welcher Begeisterung die Damen das hier vortragen, dann könnte das hier noch was werden", zeigt sich Fried beeindruckt. Er stellt aber fest: In der vorgelegten 83-seitigen Halbzeitbilanz fehle, was die Bundesregierung in den kommenden zwei Jahren vorhabe. "Da sehe ich nichts", sagt Fried. Er teile daher den Eindruck, die GroKo sei weder in der Lage zu reagieren noch Impulse zu setzen.
Die Option Giffey
Damit vertieft sich im Folgenden die Debatte über den inneren Zustand von SPD und CDU, denn weder Kramp-Karrenbauer noch Dreyer wissen, was ihre Parteien nach den jeweiligen Bundesparteitagen Anfang Dezember vorhaben. Die Delegierten der Sozialdemokraten sollen dann das Duo zu neuen Parteivorsitzenden wählen, das Ende November siegreich aus der Mitgliederbefragung vorgeht: Bundesfinanzminister Olaf Scholz und seine Mitbewerberin Klara Geywitz oder das parteilinke, GroKo-kritische Duo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Anschließend werden die Delegierten über die GroKo-Bilanz abstimmen, was auf die eine oder andere Weise auch über den Verbleib in der Regierung entscheidet.
Dreyer gibt sich gelassen. Sie erwarte "nicht die explizite Ja/Nein-Frage", der Parteitag werde nicht beschließen, "Knall auf Fall" aus der Regierung auszusteigen. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Partei sehr viel vernünftiger agiert, als man immer behauptet", lässt Dreyer ihre Präferenz für eine Fortführung der GroKo durchblicken. Fried schlägt vor, im Falle eines zu knappen Stichwahlergebnisses, das dem Siegerduo nur wenig Autorität über die verunsicherte Partei geben würde, Franziska Giffey als Kompromisskandidatin auf dem Bundesparteitag aufzustellen. Dreyer lehnt das ab.
"Ich mache, was ich für richtig halte"
Dabei bezog sich Frieds Gedankenspiel auf die Situation der CDU, die Kramp-Karrenbauer vor einem Jahr denkbar knapp vor Friedrich Merz zu ihrem Vorsitzenden gewählt hat. Um Merz ranken sich seit Wochen Gerüchte, er könnte AKK den Parteivorsitz, die Kanzlerkandidatur oder gar beides streitig machen. "Offensichtlich ist da dieser unterlegene Kandidat, der ein Problem hat, mit diesem Ergebnis umzugehen", sagt Fried.
Kramp-Karrenbauer gibt sich keine Mühe, die innerparteilichen Ränkespiele abzustreiten. Sie bekräftigt ihren Appell, etwaige Herausforderer mögen sich auf dem Parteitag zu erkennen geben, um alle inhaltlichen und personellen Fragen zu klären. Anders als noch vor zwei Wochen, als sie der JU-Vorsitzende Tilman Kuban mit der offen gestellten Führungsfrage in die Defensive drängte, wirkt Kramp-Karrenbauer souverän. "Ich habe gewusst, dass es schwieriger Prozess wird, auch ein unruhiger Prozess. Insofern beklage ich mich auch nicht, sondern mache das, was ich für richtig halte."
Bis zur Zitierunfähigkeit verschwurbelt - in der Disziplin hat sie schon Kanzlerin-Format - macht AKK noch eines deutlich: Wer es beim CDU-Parteitag in Leipzig fertigbringe, die Führungsfrage zu stellen und damit den vor einem Jahr vereinbarten Fahrplan zur Machtübergabe von Angela Merkel torpediert, verantwortet womöglich das vorzeitige Regierungsende der in Umfragen immer noch beliebten Bundeskanzlerin und designierten Parteiikone. Der oder die Freiwillige möge vortreten!
Quelle: n-tv.de
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