Wo die GroKo eine Erlösung wäre

  12 November 2019    Gelesen: 764
Wo die GroKo eine Erlösung wäre

Auch nach der Neuwahl hat der Sozialist Sánchez keine Regierungsmehrheit im spanischen Parlament. Eine Einigung mit den Konservativen könnte für stabile Verhältnisse sorgen, aber die ideologischen Gräben sind tief.

Nach der Parlamentswahl am Sonntag verfügt Pedro Sánchez von der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens PSOE zwar nach wie vor über die meisten Stimmen und Sitze - dennoch hat er verloren. Denn sein Kalkül für die Wiederholung der Wahl vom vergangenen April ging nicht auf: Statt einer klareren Mehrheit zur Regierungsbildung hat er nun mit 120 sogar drei Sitze weniger im Abgeordnetenhaus, zudem ist seine absolute Mehrheit im Senat, der zweiten Kammer, dahin.

Die Linke geht insgesamt geschwächt aus dieser Abstimmung hervor, die Ultrarechten stellen jetzt die drittstärkste Kraft. Auch Sánchez' direkter Gegner, der konservative Volksparteichef Pablo Casado, konnte aufholen. Die liberale Bürgerpartei Ciudadanos jedoch, im April noch alternativer Partner für ein Regierungsbündnis der Mitte, hat sich selbst ins Abseits geschossen. C's Anführer Albert Rivera, der als Vizepräsident die Zukunft Spaniens hätte mitbestimmen können, hatte seine Partei über die ungelöste Frage des Umgangs mit den katalanischen Separatisten hinweg stramm nach rechts geführt. Am Montag bot er seinen Rücktritt an, nachdem die Rechtsliberalen 47 Sitze im Parlament verloren hatten.

Podemos pokert hoch

Damit die Spanier in den nächsten Monaten nicht ein weiteres Mal zur Wahl gehen müssen, braucht es nun Einsicht und Kompromissfähigkeit bei den Parteien. Sánchez forderte in der Wahlnacht alle Parteien (außer die Ultrarechten von Vox) zu "Großzügigkeit und Verantwortungsbewusstsein" auf. Schon in den kommenden Tagen will er den einzelnen Gruppierungen Angebote vorlegen, die es ihm ermöglichen, zum Ministerpräsidenten gewählt zu werden. Dazu braucht er im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit von 176 der 350 Abgeordneten, im zweiten Wahlgang reichten dann mehr Ja- als Gegenstimmen.

Sánchez hat seinen Wählern eine "progressive Regierung" versprochen. Er könnte also versuchen, die linkspopulistische Podemos, die sieben Sitze eingebüßt hat, und deren Abspaltung Más País für eine Tolerierung zu gewinnen - zusammen wären das 38 Abgeordnete. Doch Podemos-Chef Pablo Iglesias, der im Sommer mit Sánchez' Angebot von vier Ministerämtern nicht zufrieden war, hat klar gesagt, dass er auf einer Koalition besteht und selbst im Kabinett sitzen will. "Ohne Kompetenzen kann man nichts verändern", sagte er am Sonntag - eine Absage an die von Sánchez angestrebte Minderheitsregierung.

Zusätzlich bräuchte Sánchez ohnehin noch die Zustimmung der sieben Abgeordneten der baskischen gemäßigten Nationalistenpartei (PNV). Die liegt wirtschaftlich jedoch nicht auf einer Linie mit dem Kurs der Linkspopulisten von Podemos und Más País, denn die PNV vertritt die Interessen der Industrie- und Wirtschaftselite im Norden. Iglesias jedoch will die Gutverdienenden hart besteuern, um eine großzügige Sozialpolitik zu finanzieren.

Komplizierte Katalonien-Frage

Und selbst wenn Sánchez die PNV-Stimmen bekäme - es würde nicht reichen. Neben je einem Abgeordneten aus Cantabrien und Galicien müssten auch die 13 Abgeordneten von der Republikanischen Linken ERC aus Katalonien für die PSOE-Regierung stimmen. Bis Anfang Oktober die harten Gefängnisstrafen für katalanische Separatisten bekannt wurden, hatten sie dazu durchaus Bereitschaft gezeigt. Doch die Stimmung unter ihren Anhängern ist seitdem stark gegen Madrid umgeschlagen. Denn auch der Sozialist Sánchez hält klar an der spanischen Verfassung fest, die ein Referendum über die Unabhängigkeit einer Region nicht erlaubt.

Erschwerend kommt hinzu: Zum ersten Mal wurden am Sonntag zwei radikale Separatisten von der CUP ins Parlament gewählt. Um nicht noch mehr an diese Formation zu verlieren, die in der Vergangenheit auch den Einsatz von Gewalt gebilligt hat, kann die ERC Sánchez nur ins Amt des Premiers verhelfen, wenn er dafür zahlt: Verlangt würde wohl nicht nur eine Revision der Schuldsprüche der wegen "Aufstand" verurteilten Separatistenführer, sondern auch ein legaler Weg zu einer Volksbefragung über die Unabhängigkeit Kataloniens.

Dafür aber haben sich die spanischen Wähler explizit nicht ausgesprochen, sie haben sich mit breiter Mehrheit für das Zentrum entschieden. Den pragmatischen Mittelinkskurs der PSOE, die in Katalonien die verfassungsmäßige Ordnung garantiert, aber mit den dortigen Verantwortlichen verhandeln und arbeiten will, haben sie mit 28 Prozent der Stimmen und 120 Sitzen im Parlament belohnt.

Eine stabile Regierung, die vier Jahre überleben kann und das Land, in dem 15 Prozent Arbeitslosigkeit herrschen, auf Reformkurs steuert, müsste in einer Art großer Koalition bestehen. Sie müsste sich vor allem auf Grundlinien einer neuen Steuerpolitik einigen, denn die EU-Vorgaben zum Schuldendefizit dürfen nicht allein mit sozialen Kürzungen erfüllt werden. Vor allem aber gilt es, in Katalonien die Eskalation zu stoppen.

Flirt mit Rechtsaußen bringt kein Glück

Doch so einen Pakt über die Grenzen der politischen Lager hinweg hat es in Spanien noch nie gegeben. Selbst 80 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs sind die ideologischen Gräben noch tief. Die von Sánchez erhoffte Normalisierung durch die Exhumierung und Umbettung der Gebeine des Diktators Franco aus seinem Prachtmausoleum, hat sich nicht eingestellt, im Gegenteil: Die Ewiggestrigen verhalfen der ultrarechten Vox-Partei zu einem rasanten Aufstieg. Sie kamen am Sonntag auf 15,1 Prozent der Stimmen, sie ähnelt Salvinis Lega in Italien und der AfD.

Dass ein Flirt mit Rechtsaußen der falsche Weg ist, musste PP-Chef Pablo Casado im April lernen, als die Konservativen das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte verbuchen mussten. Die Abkehr vom harten Rechtsruck brachte Casado und seiner Partido Popular nun wieder einen Zugewinn von vier Prozent (gesamt: 20.8). Im Madrider Rathaus, in der Hauptstadtregion und in Andalusien regiert die Volkspartei jedoch nur dank dieser anrüchigen Freunde.

PP-Spitzenpolitiker haben eine Große Koalition mit der PSOE bereits ausgeschlossen. Sie haben angedeutet, dass Pedro Sánchez seinen Platz räumen und nicht wieder für das Amt des Ministerpräsidenten kandidieren sollte. Keine Rechnung geht auf. Denn selbst wenn sich die Konservativen im zweiten Wahlgang einfach nur enthalten würden, wären zu viele Gegenstimmen aus dem progressiven Lager und den eher linksorientierten Regionalparteien zu erwarten, um eine Minderheitsregierung für Sánchez zu installieren.

Das lässt erahnen, welcher Weg den Spaniern bevorsteht. Vermutlich wird er erneut zur Wahlurne führen.

spiegel


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