Die Börse lügt nie, heißt ein alter Anlegerspruch. Und wenn er stimmt, dann sieht es für Boeing ziemlich schlecht aus. Seit sich am Montag abzeichnete, dass der Luftfahrtkonzern die Produktion seines Unglücksflugzeugs 737 Max stoppen muss, stürzte der Aktienkurs um mehr als vier Prozent ab. Seit dem Höchststand Ende Februar ist der Börsenwert des amerikanischen Industriegiganten um rund ein Viertel geschrumpft - oder anders gesagt: um mehr als 60 Milliarden Dollar.
Seit Mitte März dürfen keine 737-Max-Maschinen mehr abheben - nachdem kurz hintereinander zwei Flugzeuge des Typs abgestürzt waren, hatten Luftfahrtbehörden weltweit Flugverbote verhängt. Seitdem hat Boeing die Software überarbeitet - und wartet darauf, dass das Erfolgsmodell, von dem für den Konzern so viel abhängt, endlich wieder in die Luft darf.
Doch die US-Luftfahrtbehörde FAA hatte vergangene Woche die Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr des Modells zunichtegemacht. Eine erneute Zulassung wird nicht vor Februar erwartet und könnte sich bis in den März hinziehen. Um nicht zu viele Maschinen auf Halde zu produzieren, musste Boeing deshalb kurzfristig die Produktion stoppen. Ein erneuter Tiefpunkt in der jüngsten Krisengeschichte des Konzerns. Und eine Schmach für den einstigen Marktführer, der das Prinzip des Shareholder-Value, also des Wertes für die Aktionäre, in der Vergangenheit so predigte wie kaum ein anderes US-Unternehmen.
Doch was des einen Leid ist, könnte des anderen Freud sein: Der Börsenwert des europäischen Erzrivalen Airbus legte jedenfalls seit Beginn der Flugverbote um mehr als zehn Prozent zu. Seit Jahresbeginn beträgt das Plus sogar mehr als 50 Prozent.
Hängen die Europäer die Amerikaner nun also ein für alle Mal ab? Möglich. Aber sicher ist das nicht. In anderen Branchen würde der überlegene Wettbewerber kurzfristig jede Menge Zusatzaufträge einheimsen. Doch im Fall Boeing/Airbus liegen die Dinge komplizierter.
Die Europäer sind schon jetzt bis an die Grenze ihrer Kapazitäten ausgelastet. In ihren vier Endmontagelinien in Hamburg, Toulouse, China und in Mobile im US-Bundesstaat Alabama schaffen sie gerade mal die Produktion von 60 Maschinen des 737-Konkurrenzmodells A320 pro Monat, ab 2021 sollen es immerhin 63 sein. Im Auftragsbuch stehen jedoch noch einmal gut 6100 Orders - das heißt: Eine Fluglinie, die heute bestellt, bekommt ihre Jets frühestens ab dem Jahr 2024. Das ist selbst in der Luftfahrtbranche eine lange Zeit.
Die Kunden warten ab
Und noch etwas schreckt potenzielle Kunden ab: Seit Airbus vor knapp 50 Jahren als europäische Antwort auf Boeing gegründet wurde, nutzen die Chefs der Airlines das Duopol am Markt, um die beiden Anbieter gegeneinander auszuspielen und satte Rabatte herauszuschlagen.
Das funktioniert bei den kleineren Flugzeugen im Moment nicht, weil Boeing nicht liefern kann. Die Manager der meisten Fluglinien warten deshalb lieber ab, bis sie wieder um die Preise feilschen können.
Hat die Produktionspause für die 737 Max also gar keine Auswirkungen auf Airbus? Doch, aber andere als zunächst vermutet. Beide Hersteller arbeiten teilweise mit denselben Zulieferern zusammen, etwa dem Rumpfhersteller Spirit Aerosystems, dem Triebwerkshersteller GE oder dem US-Mischkonzern UTC. Auch die waren mit ihren Kapazitäten zuletzt bis an die Grenzen der Belastbarkeit gefordert. Durch den vorübergehenden Wegfall der Boeing-Aufträge können sie sich nun voll auf ihre Arbeit für Airbus konzentrieren.
Düster sieht es allerdings für kleinere Anbieter aus, die den Wegfall eines ihrer beiden Großkunden kaum verkraften können. Gehen sie pleite, muss Airbus sich schleunigst Ersatz suchen.
Der europäische Konzern überprüft seine Lieferanten ohnehin in regelmäßigen Abständen auf deren Qualität und Zuverlässigkeit. Im Moment geschehe das noch etwas gründlicher als sonst, sagt ein Airbus-Insider. Man will offenbar nicht von Boeings Problemen mit in die Krise gerissen werden.
spiegel
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