„Keine Bedrohung? Dann schaff eine!“: Ex-DDR-Spion erklärt Zweck von Nato-Großübungen

  28 Januar 2020    Gelesen: 975
    „Keine Bedrohung? Dann schaff eine!“:   Ex-DDR-Spion erklärt Zweck von Nato-Großübungen

Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges arbeitete Reiner Rupp in einer führenden Position für die Nato. Dabei verhinderte er durch seine Informanten-Tätigkeit für die DDR möglicherweise einen Atomkrieg. 37 Jahre danach warnt der Ex-Spion vor einem ähnlichen Szenario - beim aktuellen Nato-Großmanöver „Defender Europe 2020“.

Die größte Truppenverlegung der USA nach Europa seit dem Ende des Kalten Krieges hat bereits begonnen. Von Januar bis Mai 2020 findet auch auf deutschem Boden das US-Verlege- und Logistikmanöver „Defender Europe 2020“ statt. Im Rahmen der Großübung sollen rund 20.000 Soldaten von den USA quer durch Deutschland nach Osteuropa verlegt werden. Darüber hinaus sind mehrere weitere Übungen in Deutschland, Polen, Georgien und dem Baltikum geplant, so dass insgesamt 37.000 Soldaten aus 18 Nationen beteiligt sind.

Das Nato-Manöver erinnert den ehemaligen DDR-Spion, Reiner Rupp, an längst vergangene, angespannte Zeiten. Die Gefahr einer Eskalation steige, warnt Rupp. „Gerade bei solchen Aktionen wie ‚Defender‘, aber auch allen anderen Manövern, die ja nicht weniger gefährlich sind, können tatsächlich wieder Situationen entstehen, wo man nicht gewollt in eine kriegsähnliche Situation hineinschlittern könnte. Dann wären wir in einer Situation wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Denn Nuklearwaffen stehen nach wie vor hier. Und wenn die Amerikaner einen größeren Verlust haben, dann besteht die Gefahr, dass sie diese auch einsetzen.“ „Defender 2020“ sei zwar das größte, aber nicht das einzige Manöver: Mit zunehmender Größe, Umfang und Frequenz gebe es seit einigen Jahren immer mehr Militärmanöver an der Grenze zu Russland.

Verurteilter „Landesverräter“ rettete die Menschheit?

Unter dem Decknamen „Topas“ war Reiner Rupp von 1977 bis 1993 in der Politischen Abteilung des Nato-Hauptquartiers in Brüssel tätig. Zu seinen Aufgaben zählte unter anderem der Vorsitz der „Current Intelligence Group“ (CIG) im Nato-Lagezentrum. Als „Nervenzentrum“ des Bündnisses bezeichnet Rupp die Abteilung, „in der alle Nervenstränge der Nato zusammenliefen“. Dadurch war er nach eigenen Angaben in der Lage, alle aktuellen Entwicklungen, die eventuell auf einen nuklearen Überraschungsschlag der Nato hingewiesen hätten, rechtzeitig zu erkennen sowie nach Ostberlin zu übermitteln, schreibt Rupp in einer „Junge Welt“-Kolumne.

Wegen des Nato-Großmanövers „Able Archer 83“, das einen Atomkrieg simulieren sollte, seien die sowjetischen Nuklearstreitkräfte im Jahr 1983 in Alarmzustand versetzt worden. Mit den Informationen der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA, Nachrichtendienst der DDR - Anm. d. Red.), für das Rupp wichtige Informationen aus dem Nato-Hauptquartier bereitstellte, soll Moskau beruhigt worden sein, dass kein Angriff seitens der Nato bevorstehe. Somit könnte Rupp möglicherweise einen Atomkrieg verhindert haben. Im Jahr 1994 wurde er wegen „Landesverrats“ zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Seit seiner Entlassung im Jahr 2000 ist er als Publizist tätig.

Was steckt hinter „Defender 2020“?

Begründet wird die Notwendigkeit des Nato-Manövers mit der „Veränderung der sicherheitspolitischen Lage seit 2014 mit einer möglichen Bedrohung der Sicherheit, insbesondere unserer Bündnispartner in Osteuropa“, wie Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mitteilte.

„Wenn Spannungen nicht da sind, dann macht man das mit einem großen Manöver“, empört sich der Nato-Kritiker: „Wenn wir uns heute überlegen, wo Bundeswehrsoldaten diesmal mit den Amis stehen - nämlich an der Grenze zu Russland in Estland, rund 160 Kilometer entfernt von St. Petersburg. Das ist eine Schande! Gerade die Großväter der Bundeswehrsoldaten, haben damals St. Petersburg über ein Jahr belagert. Eine Million Tote, meistens Zivilisten ausgehungert. Und heute stehen sie für die Freiheit, obwohl sie von Russland nicht bedroht werden. Das ist ein Irrwitz.“ Das ergebe weder politisch noch strategisch noch ökonomisch irgendeinen Sinn, bemängelt Rupp.

Er sieht andere Gründe für die neuerliche Großübung: „Wenn keine Bedrohung da ist, muss die Bedrohung geschaffen werden, damit die Nato ihren Sinn und Zweck erfüllt.“ Hinter dem konstruierten Bedrohungsszenario, Russland als Aggressor, vermutet er die Vereinigten Staaten. „Einer der Hauptzwecke der Nato war seit ihrer Gründung, den Vereinigten Staaten im Rahmen der Nato in den Führersitz der Sicherheitspolitik und darüber hinaus in die Innenpolitiken der europäischen Länder zu verhelfen.“ Die Führungsmacht der Nato seien die USA. Und über die Nato könne man Einfluss auf die Innen- und Wirtschaftspolitik der EU-Staaten nehmen, erklärt der Militär-Experte. „Die USA sollten eigentlich in Europa nichts zu sagen haben - erst recht nicht nach dem Ende des Kalten Krieges. Aber mit der Hilfe der Nato konnte man sich als USA dann doch nochmal hinüberretten.“ Das sei auch der Sinn und Zweck des Krieges gegen Jugoslawien gewesen, meint der Ex-Agent.

„Leidtragende sind immer die Europäer“

Er warnt: Für die europäische Sicherheitspolitik seien die USA höchstgefährlich. „Ab 2010 fing der Sinn und Zweck der Nato an, zu bröckeln. Das Bündnis brachte nichts mehr zustande.“ Das habe man in Libyen und an weiteren Operationen beobachten können. In Libyen seien bei weitem nicht alle Nato-Partner dabei gewesen. Die Kontrolle der USA auf Europa sei dadurch nach und nach verloren gegangen. Zudem hätte Washington angekündigt, sich mehr nach Asien auszurichten. Vor dem Hintergrund des Kontrollverlustes müsse man Spannungen wieder schüren, ist Rupp überzeugt.

„Ich habe diese Szenarien wie 'WINTEX' (Stabsrahmenübung der Nato von 1968 bis 1998 – Anm. d. Red.) in unseren Kriegsspielen immer nachgespielt in einer führenden Position.“ Doch die Leidtragenden eines solchen Kriegsszenarios seien immer die Europäer gewesen, erklärt der Ex-Spion. „Bei der Nuklear-Strategie der Vereinigten Staaten mit den begrenzten Nuklear-Kriegen, die sie ja nicht aufgegeben haben und die ja immer noch Teil der Nato-Doktrin sind, damals gegen Sowjetunion, heute gegen Russland, gab es in deren Theorie nie, nie, nie, einen Rückschlag auf die USA - nur in einem strategischen Schlagabtausch. Aber der sollte ja immer verhindert werden und vorher sollte Frieden geschlossen werden“, so Rupp. Man habe immer versucht, diese Drohszenarien in politisches Kapital umzumünzen. Und genau das würden die Amerikaner heute mit „Defender 2020“ versuchen. Defender sei übrigens der falsche Ausdruck, bemerkt der Nato-Kritiker. „Invader sollte die Übung genannt werden.“

sputniknews


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