Führende US-Ökonomen sehen nicht Griechenland, sondern Deutschland als das größte Problem der Euro-Zone. So vertritt der Princeton-Ökonom Ashoka Mody die Auffassung, dass Deutschland der Euro-Zone schade, weil es sich weigere, „die Rolle eines Hegemons“ in Europa zu spielen. Deutschland habe vom Euro am meisten profitiert und schaffe wegen seiner wirtschaftlichen Stärke ein Ungleichgewicht.
Der frühere IWF-Direktor, ein erklärter Austeritäts-Gegner, schreibt auf Bloomberg, dass der Zahlungsbilanzüberschuss seit dem Ausbruch der Finanzkrise auf 215,3 Milliarden Euro gestiegen sein – ein Rekordwert. Mody sieht das neue Griechenland-Programm zum Scheitern verurteilt, weil es die als gescheitert zu beurteilende, bisherige Austeritäts-Politik fortsetze.
Selbst wenn Griechenland das Programm wirklich erfüllen sollten, es würde dem Land nichts helfen. Denn der starke Euro wirke wie eine Fremdwährung in Griechenland. Das Land sei nicht in der Lage abzuwerten. Ähnlich sieht Mody die Lage in Portugal und Italien. Daher müsse Deutschland aus dem Euro austreten. Das Land würde dies leicht verkraften, meint Mody. Die starke deutsche Wirtschaft habe auch die starke D-Mark verkraftet. Orginiellerweise illustriert Bloomberg dern Mody-Beitrag mit einem alten D-Mark-Schein.
Mody möchte den Deutschen den Euro-Austritt auf eine sehr spezielle Weise schmackhaft machen: Eine gegenüber dem Rest-Euro stark aufgewertete D-Mark würde die Deutschen reicher machen, weil sie die Waren aus dem Rest Europas billiger einkaufen könnten. Zugleich verweist Mody auf die alte US-Forderung, Deutschland müsse seine Binnennachfrage ankurbeln.
Auch der frühere Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), Ben Bernanke, äußerst sich in diese Richtung, verzichtet aber auf die ausdrückliche Forderung nach einem Euro-Austritt Deutschlands. Dies geschieht möglicherweise aus politischer Rücksichtnahme, weil die explizite Forderung nach der Wiedereinführung der D-Mark aus dem Mund des ehemaligen Fed-Chefs vermutlich umgehend spekulative Attacken auslösen würde. Bernanke zieht für das Brookings-Institut das Problem jedoch auf einer anderen Kennzahl auf, die in der allgemeinen Euro-Debatte bisher zu Unrecht unterbelichtet blieb: der Arbeitslosigkeit. Er legt Grafiken vor, die das Dilemma sichtbar machen: So ist die Arbeitslosigkeit in der Eurozone kontinuierlich gestiegen, während sie in Deutschland gesunken ist:
Diese Zahlen sind allerdings irreführend, weil die offiziellen Arbeitslosenzahlen irreführend sind: Sie stellen nämlich nicht die hohe Zahl an Leiharbeit, Teilzeit-Jobs und Billig-Jobs in Rechnung. Auch die Verschiebung der Hartz IV-Bezieher aus der Arbeitslosenstatistik verfälscht die tatsächliche Situation in Deutschland erheblich. Diese Tatsache zeigt, wie begrenzt werthaltig die Prognosen von Ökonomen sind, wenn sie auf falschem Datenmaterial beruhen. Wir haben genau dieses verhängnisvolle Dilemma in der Beurteilung der Ursachen der Griechenland-Krise gesehen.
Bernanke macht für die Divergenz in der Euro-Zone drei Gründe aus: Die EZB habe zu spät mit dem Geld-Drucken begonnen. Die strenge Fikalpolitik sei falsch, weil sie den rezessiven Zyklus verstärkt. Und schließlich sei die Banken-Krise, anders als in den USA, noch bei weitem nicht gelöst. In diesem Punkt dürfte Bernanke allerdings recht haben: Die europäischen Banken befinden sich allesamt in einer schwierigen Situation. Sie haben bisher nur deshalb größere Verwerfungen vermieden, weil die Staatsanleihen als risikofreie Sicherheiten vorhalten dürfen.
Bernanke sieht den Euro wegen des mangelnden Gleichgewichts der Außenhandelsüberschüsse – Deutschland hat einen Überschuss von 7,5 Proznet des BIP – daher auch weniger als eine gemeinsame Währung. Er sieht die Eurozone als eine Ansammlung von unterschiedlich starken Teil-Euros, die durch ein fixes Wechselkurssystem aneinander gekoppelt seien.
Bernanke schlägt daher vor, dass die Euro-Zone neben dem Fiskalpakt auch eine feste Vereinbarung schließen sollte, die Handelsüberschüsse verbietet oder bestraft.
Diese Forderung ist unrealistisch. Schon die zentralistische Idee der Steuerung von unterschiedlichen Konzepten der Fiskal-Politik in den einzelnen Nationalstaaten ist gescheitert: Frankreich wird seine Defizite nicht einhalten, das steht seit längerem fest. Auch Italien hat erklärt, sein Defizit langsamer abzubauen als dies den EU-Vorgaben zufolge nötig wäre.
Damit führt der Bernanke-Vorschlag zu demselben Ergebnis wie die Forderung von George Soros, der schon vor Jahren den Austritt Deutschlands aus dem Euro gefordert hatte. Soros hatte in einem Vortrag in Frankfurt die Auffassung vertreten, dass nur Deutschland den Euro verlassen könne, weil ein Austritt etwa Italiens das Land an seinen Schulden zerbrechen lassen würde. Dies hätte verheerende Folgen für die ganze Euro-Zone, es würde zum ungeordneten Zerfall kommen. Der Euro-Austritt Italiens würde „den Rest Europas und den Rest der Welt in eine unkontrollierbare finanzielle Kernschmelze treiben“.
Damit befindet sich Soros in fundamentalem Widerspruch zu Wolfgang Schäuble: Der hatte bereits vor 20 Jahren gesagt, Italien dürfe nur in eine gemeinsame Währung, wenn es seinen Haushalt konsolidiert.
Mody kommt in seinem Vorschlag interessanter Weise zur selben Schlussfolgerung wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Jahr 1994: Er sieht eine Währungsunion Deutschlands mit den Niederlanden, Österreich, Belgien und Finnland als Möglichkeit, damit der Rest-Euro noch stärker abwerten könnte und damit die Produkte des Südens wettbewerbsfähiger würden. Der entscheidende Unterschied zum Schäuble-Ansatz: Frankreich sollte demnach im Euro bleiben und nicht dieselbe Währung haben wie Deutschland.
Ob eine geordnete Auflösung der Euro-Zone angesichts der bereits bei der EZB vergemeinschafteten Schulden der Euro-Staaten möglich ist, kann heute nicht beurteilt werden. Immerhin zeigt die Entwicklung, dass die Geldschwemme den Arbeitsmärkten in der Eurozone (ohne Deutschland) nicht geholfen hat:
De facto hat die EZB damit Eurobonds geschaffen, genauso, wie mit dem ESM Eurobonds entstanden sind. George Soros hatte seine Überlegungen zum Euro-Austritt Deutschlands zu einer Zeit angestellt, in der gerade die Debatte über die Eurobonds tobte. Soros damals: „Es ist die Entscheidung Deutschlands, ob es der Einführung von Eurobonds zustimmen will. Aber Deutschland hat kein Recht, die massiv überschuldeten Staaten davon abzuhalten, ihre Misere dadurch zu überwinden, dass sie gemeinsame Eurobonds einführen. Mit anderen Worten: Wenn Deutschland Eurobonds ablehnt, sollte es überlegen, den Euro zu verlassen und zulassen, dass die anderen Staaten die Eurobonds einführen.“
Über die EZB-Käufe hinaus sind außerdem faktische Eurobonds mit dem ESM geschaffen worden.
Doch die Tatsache allein, dass nun nicht mehr über den „Grexit“ als einem isolierten Ereignis gesprochen wird, sondern offen eine komplette Neuordnung in Europa diskutiert wird, zeigt: Es gibt keine Tabus mehr, weil die fortgesetzte Leugnung der strukturellen Diskrepanz von Kredit-Orgie und tatsächlichem Erfolg der Wirtschaft in den Euro-Staaten nur Verlierer erzeugt. Es ist jedoch gut möglich, dass Deutschland der Austritt wegen der bereits vergemeinschafteten Schulden bereits versperrt ist. Mangelnde Kenntnis der Finanzpolitik führt eben nicht zur moralischen Reinheit, sondern geradezu in die Alternativlosigkeit.