Wie viel hat eine Parteichefin, die ihren Rückzug spätestens zum Jahresende angekündigt hat, noch zu sagen? Schon einen Tag nach der überraschenden Ankündigung Annegret Kramp-Karrenbauers, die am Montag gleichzeitig ihren Verzicht auf die Unionskanzlerkandidatur erklärte, wird ihre verbliebene Autorität massiv infrage gestellt. Vor allem aus der Schwesterpartei CSU - aber auch in den Reihen der CDU wird Kritik an ihren Plänen für den Rest ihrer Amtszeit laut.
"Abwegig" sei der von Kramp-Karrenbauer skizzierte Zeitplan, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vor Journalisten in Berlin. Bei der CDU gebe es eine "offene Führungsfrage", die schnell geklärt werden müsse. "Krisenhafte Situationen bewältigt man nicht durch das Zelebrieren der Krise, sondern durch Handeln." Den Ton hatte am Tag zuvor bereits Dobrindts Parteivorsitzender Markus Söder gesetzt. "Ganz offen gesagt ist jetzt nicht die Zeit für Spielchen", sagte der bayerische Ministerpräsident am Montagabend im ZDF. Auf einem Empfang in Nürnberg meinte er: "Es kann jetzt kein Dreivierteljahr irgendwelche Personaldiskussionen geben."
Kramp-Karrenbauer hatte am Montag ihren Verzicht auf die Kanzlerkandidatur erklärt. Den Prozess, einen geeigneten Bewerber zu finden, wolle sie aber bis zum Sommer organisieren. Der Plan der Noch-Vorsitzenden: Der Kanzlerkandidat oder die Kanzlerkandidatin, auf die man sich gemeinsam mit der CSU einige, solle dann auf dem für Dezember geplanten Parteitag ihre Nachfolge an der CDU-Spitze antreten.
Söder und Dobrindt wollen keinen neuerlichen Konflikt mit der CDU
Aber CSU-Chef Söder hat nicht nur mit dem Tempo, sondern auch mit dem von Kramp-Karrenbauer vorgeschlagenen Ablauf ein Problem: Zunächst müsse die Frage des CDU-Vorsitzes geklärt werden, sagte Söder laut Teilnehmerangaben am Dienstagnachmittag in einer Sitzung seiner Landtagsfraktion in München. Erst dann könnten die Schwesterparteien gemeinsam die K-Frage klären.
Nichts ist also klar in der Union am Tag eins nach Kramp-Karrenbauers angekündigtem Rückzug.
Dass sie allerhöchstens noch eine halbe CDU-Vorsitzende ist, deutet sich bereits an. Auch wenn Söder und Dobrindt betonen, dass ihnen an einem neuerlichen Konflikt mit der Schwesterpartei nicht gelegen ist – Kramp-Karrenbauer wären sie öffentlich so bestimmt nicht in die Parade gefahren, wenn sie noch volle Prokura an der CDU-Spitze hätte.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass selbst aus Kramp-Karrenbauers eigener Partei bereits Kritik am Zeitplan geäußert wurde, unter anderem von den Bundesvorstandsmitgliedern Kai Wegner, CDU-Landeschef von Berlin, und Christian Baldauf, Fraktionsvorsitzender im rheinland-pfälzischen Landtag. Am Dienstag legten andere nach. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen mahnte eine Entscheidung "vor der Sommerpause" an. Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann äußerte Zweifel, dass die Partei bis Weihnachten warten könne. "Eine schnellere Entscheidung würde uns allen guttun." Und selbst Fraktionschef Ralph Brinkhaus wollte sich nicht auf den ursprünglich für Dezember geplanten Termin des Parteitags festnageln lassen: "Wenn es sich unterwegs ändert - wir sind zwar konservativ, aber auch flexibel - dann müssen wir einfach schauen, wo die Reise hingeht." Wenn man nun ein dreiviertel Jahr mit Personaldebatten verbringe, "ist das auch nicht gut".
Aber auch am grundsätzlichen von Kramp-Karrenbauer vorgeschlagen Prozedere gibt es Zweifel: Dem Plan zufolge hätte die CSU, falls sich die CDU mit der Schwesterpartei zunächst in der K-Frage verständigt und die gekürte Person dann an die Parteispitze wählt, eine Mitsprache in der Vorsitzendenfrage. Ist das vorstellbar?
Ein weiteres Problem, das mit der Ankündigung Kramp-Karrenbauers noch deutlicher geworden ist: die Trennung von Kanzleramt und CDU-Vorsitz. Diese Konstellation hat die Nachfolgerin von Angela Merkel an der Parteispitze als einen Grund für ihr Scheitern genannt, weshalb sie nun für ein und dieselbe Person als Kanzlerkandidatin/Kanzlerkandidat und CDU-Vorsitzende/-Vorsitzenden plädiert. Nur könnte, so lange Merkel weiter als Regierungschefin im Amt ist, diese Person bis zum Ende der Legislaturperiode das gleiche Schicksal erleiden wie Kramp-Karrenbauer. Gleichzeitig wandte sie sich am Montagabend bei mehreren TV-Auftritten gegen einen vorzeitigen Abschied Merkels aus dem Kanzleramt.
Die WerteUnion trommelt lautstark für ihren Liebling Friedrich Merz
Und dann ist da noch die Sache mit der ultrakonservativen WerteUnion. Im Bundesvorstand kam es am Montagvormittag Teilnehmern zufolge zu einer intensiven Debatte, in deren Verlauf prominente Christdemokraten wie Unionsfraktionschef Brinkhaus den Verbleib von WerteUnion-Mitgliedern in der CDU infrage stellten. Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble äußerte sich dem Vernehmen nach in dieser Art. Inzwischen gibt es Forderungen nach einem Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU zur WerteUnion.
Da ist man dann rasch in Thüringen, wo die CDU-Landtagsfraktion in der vergangenen Woche gegen die ausdrückliche Ansage der Bundespartei gemeinsam mit der AfD-Fraktion den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt hatte. Aber es geht noch weiter: Der in Erfurt zunächst von der AfD als Ministerpräsidentenkandidat aufgestellte Christoph Kindervater bezeichnet sich als der WerteUnion verbunden – zu der Gruppierung wiederum gehören etliche Mitglieder der Thüringer CDU-Landtagsfraktion.
Was im Erfurter Parlament passierte, ohne dass Kramp-Karrenbauer etwas dagegen auszurichten vermochte, hat ihre ohnehin angeschlagene Autorität so stark beschädigt, dass sie offenbar keinen anderen Ausweg mehr sah als den Teilrückzug. Die Frage des Umgangs mit der AfD auf der einen und der Linkspartei auf der anderen Seite ist weiterhin nur auf dem Papier geklärt.
Unterdessen trommelt die WerteUnion lautstark für ihren Liebling Friedrich Merz, der neben NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als möglicher CDU-Vorsitzender und Unionskanzlerkandidat gilt.
Merz, so argumentieren seine Anhänger, könnte Stimmen am rechten Rand für die Union zurückholen. Aber zu welchem Preis?
Es sind knifflige Fragen, die die CDU zu klären hat. Am Ende geht es um viel mehr als das Personal.
spiegel
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