Super-Bayern ein Armutszeugnis für die Bundesliga

  05 Oktober 2015    Gelesen: 1025
Super-Bayern ein Armutszeugnis für die Bundesliga
Dortmund erlebt nach gutem Beginn ein Debakel im Spitzenspiel. Der Sieg des FC Bayern ist eine Vorentscheidung im Titelrennen. Die Liga verliert den Meister bereits am achten Spieltag aus den Augen.
Eine knappe halbe Stunde war noch zu spielen. 75.000 Zuschauer waren ins ausverkaufte Münchner Stadion gekommen, in 207 Ländern saßen angeblich eine knappe Milliarde Menschen vor den Fernsehgeräten. Doch was der FC Bayern und Borussia Dortmund auf dem Rasen veranstalteten, war nicht mehr als ein Auslaufen. Ein verfrühter Cool Down nach 65 intensiven Minuten.

Es war kein taktisches Abtasten oder die Verabredung auf eine Punkteteilung, die den Schongang im Spitzenspiel bewirkte. Es war das Innehalten des sonst so nimmersatten Rekordmeisters, das den eingeschüchterten Dortmundern ein noch größeres Debakel ersparte. Der Blick auf die Anzeigetafel lieferte die Antwort: 5:1 (2:1).

24 Punkte weist die perfekte Bilanz der Münchner nun auf. Vizemeister Wolfsburg kommt auf die Hälfte, Leverkusen ist auf elf Punkte distanziert, die Lücke zum FC Schalke beträgt acht Zähler, und auch Borussia Dortmund hat den Tabellenführer bei nun sieben Punkten Unterschied aus den Augen verloren. Das Spitzenspiel zementierte die im Vorfeld – je nach Sichtweise – geäußerten Hoffnungen und Befürchtungen: zumindest national ist der FC Bayern eine eigene Spielklasse.

"Das war ein Big Point", sagte Thomas Müller. Und BVB-Trainer Thomas Tuchel antwortete auf die Frage, ob eine Mannschaft in Deutschland den Bayern gefährlich werden könne, mit: "Nein. Natürlich nicht."

Die Suche nach echten Gegnern kann für diese Saison, möglicherweise gleich für die kommenden Jahre, abgeblasen werden. "Deutscher Meister wird nur der FCB", skandierten die Fans – am achten Spieltag, und es waren weder eine Kampfansage noch Hoffnungen oder Sehnsüchte herauszuhören. Es war der pure Realitätssinn. "Es sind noch 26 Spiele", erinnert Franz Beckenbauer zwar, "aber die Bayern sind gefestigter als im vergangenen Jahr." Langeweile in der Bundesliga, der FC Bayern ist mehr denn je einsame Spitze.

Dortmunds Startserie wie Sand in den Augen

All jene, die nach dem berauschenden Auftakt des BVB mit elf Pflichtspielerfolgen in Folge schon das Ende der bajuwarischen Dominanz ausgerufen hatten, erlebten in München ein böses Erwachen. Ja, unter ihrem neuen Trainer Tuchel hatten die Dortmunder sich wieder ihr in der verloren gegangenes Selbstbewusstsein zurück erarbeitet, hatten Vertrauen in ihr Spiel und damit Sicherheit und Selbstverständnis wiedererlangt. Und selbst nach zuletzt drei Unentschieden in Hoffenheim, gegen Darmstadt und im Europa-League-Gruppenspiel bei PAOK Saloniki, sah sich Hans-Joachim Watzke noch einmal genötigt, um die Kräfteverhältnisse auch für den letzten Träumer korrekt einzuordnen: "Ich kann ja die Sehnsucht über einen Zweikampf verstehen", sagte Dortmunds Geschäftsführer vor der Partie: "wer am 34. Spieltag deutscher Meister wird, ist Bayern München."

Tatsächlich lag die Ursache für den fulminanten Saisonstart seiner Borussen neben der Rückkehr zu spielerischer Klasse und einem Pierre-Emerick Aubameyang in Topform auch am aus Sicht der Westfalen überaus wohlwollenden Spielplan. Nüchtern betrachtet waren die Erfolge gegen Chemnitz, Odds BK, Wolfsberg, Hertha BSC oder Hannover erwartbare Ergebnisse, mitunter Pflichtsiege. Die Bayern aber entpuppten sich als zwei Nummern zu groß. Mindestens.

Ernst genommen hatten sie dieses Duell in München gleichwohl. Beide Trainer schonten im Europapokal unter der Woche einige Spieler. So rückten bei den Bayern Thomas Müller, Xabi Alonso und Javi Martinez wieder in die Startelf. Kingsley Coman, Joshua Kimmich und Juan Bernat rotierten raus, der Spanier fiel sogar aus dem Kader. Dortmunds Trainer Thomas Tuchel wechselte seine halbe Mannschaft aus und nahm sechs Wechsel vor. Überraschend allein, dass auch Marco Reus zunächst auf der Bank Platz nahm und bis zur 53. Minute auf seinen Einsatz warten musste.

Dortmunds starke 20 Minuten

Gonzalo Castro übernahm seinen Part – ein erstes Indiz für eine defensivere Ausrichtung des BVB, der dann tatsächlich auch die eigenen Reihen vor der Abwehr mit der Dreierkette Gündogan-Weigl-Castro verdichtete. Dortmund stellte dem Rekordmeister knifflige Aufgaben und verteidigte geschickt. "Wir haben da gut verteidigt, waren sehr mutig mit eigenem Ballbesitz und hatten eine gute Präzision, einen guten Rhythmus, gute Passabstände", lobte Tuchel. Nach 20 Minuten war die Fehlpassquote der Münchner mit 22 Prozent auf das doppelte des Normalmaßes gestiegen.

Werte, die auch Jerome Boateng gefühlt haben dürfte. Münchens Innenverteidiger jedenfalls ignorierte das Rasenschach, indem er mit einer lang geschlagenen Flanke das Mittelfeld überwand und sein Pass den zwischen Lukasz Piszczek und Sven Bender in die Schnittstelle der Abwehr gestarteten Thomas Müller fand. Müller, zuletzt in den Schatten des Stürmerduelles Lewandowski/Aubameyang gerückt, traf so unkonventionell wie gewöhnlich und überwand Roman Bürki zum 1:0 (26.). "Ich habe einfach den Raum gesehen, und Jerome hat ihn super gespielt", fasste Müller zusammen.

Ein Tor, das die taktischen Fesseln auf beiden Seiten löste. Bis zur Pause ergaben sich nun für beide Mannschaften einige gute Einschussmöglichkeiten. Da Müller nach einem Strafraum-Zweikampf zwischen Henrikh Mkhitaryan und Thiago den fälligen Elfmeter verwandelte (35.) und Aubameyang eine Direktkombination nur eine Minute später zum 2:1 abschloss, gingen die Münchener mit knapper Führung in die Kabine.

Spitzenspiel gerät zum Dortmunder Debakel

Es sollten die letzten 15 spannungsgeladenen Minuten der Partie bleiben. Lewandowski traf nur 20 Sekunden nach Wiederanpfiff und einem erneut langen wie exakten Pass Boatengs zur Vorentscheidung. "Ein Tor nach einem 60-Meter-Flugball darf nicht passieren", schimpfte Tuchel: "Wir müssen die Schnittstelle da früher schließen. Das ist viel zu einfach."

Mit seinem zwölften Saisontor, davon sieben in den vergangenen drei Partien, legte der Pole kurz darauf noch nach (58.). Die Dortmunder zerfielen nun in ihre Einzelteile. Ex-Borusse Mario Götze machte das Dortmunder Debakel perfekt: 5:1 (66.). Das Spiel war faktisch beendet – und das Titelrennen gefühlt auch. Beim BVB haben sie jetzt andere Probleme: "Wir müssen zurück in die Bissigkeit, zurück zur Aufmerksamkeit, zurück zu einer eigenen Positionsdisziplin", wie Tuchel sagte. Und zunächst mal zurück nach Dortmund.

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