In „Phase 3“ der Seuchenbekämpfung wählen gehen

  16 März 2020    Gelesen: 626
In „Phase 3“ der Seuchenbekämpfung wählen gehen

Die Republikaner warnten vor einem „Staatsstreich“, sollten die Kommunalwahlen verschoben werden – deswegen blieb es trotz der Corona-Krise bei dem Termin. Über einen Ausnahme-Wahlsonntag in Frankreich.

Einem „Staatsstreich“ käme es gleich, die Kommunalwahlen zu vertagen, warnte der Parteivorsitzende der Republikaner (LR), Christian Jacob. Senatspräsident Gérard Larcher (LR) drohte Präsident Emmanuel Macron: „Wenn Sie die Wahlen verschieben, dann werde ich öffentlich machen, dass ich total dagegen bin.“ Deshalb waren am Sonntag in allen 35.000 Kommunen 47,7 Millionen Franzosen und EU-Bürger aufgerufen, zu den Urnen zu gehen und ihren Bürgermeister zu bestimmen.
Der Präsident hatte entschieden, angesichts der „schwersten Gesundheitskrise seit einem Jahrhundert“ müsse die Nation zusammenstehen. Diese „nationale Union“ wolle er nicht durch einen Aufschub der Kommunalwahlen gegen den Widerstand der größten Oppositionsfraktion auf das Spiel setzen.

„Eine halbe Million könnte daran sterben“

Doch zwischenzeitlich legten Virologen und Infektionsforscher der Regierung dramatische Zahlen vor: Zwischen 300.000 und einer halben Million Franzosen könnten an den Folgen des Coronavirus sterben, heißt es in einem Bericht des wissenschaftlichen Beirates, aus dem „Le Monde“ am Sonntag Auszüge veröffentlichte. Die Krankenhäuser seien schon bald überlastet, es müsse alles getan werden, um die Ausbreitung der Pandemie zu verlangsamen, mahnte der Chef der staatlichen Gesundheitsbehörde, Jerome Salomon.
„Das Virus breitet sich nicht von selbst aus!“, sagte Premierminister Edouard Philippe in einer Fernsehansprache am Samstagabend. „Deshalb müssen wir alle unsere sozialen Kontakte auf ein Minimum reduzieren.“ Frankreich verfügt über 5000 Intensivbetten mit Beatmungsgeräten. Sollte das Szenario der Wissenschaftler eintreten, würden annähernd 100.000 Intensivbetten mit Beatmungsgeräten benötigt. Deshalb müsse alles getan werden, um die Zahl der Infizierten zu senken.

Louvre und Eiffelturm sind gesperrt

Die Warnungen der Wissenschaftler führten dazu, dass der Regierungschef „Phase 3“ der Seuchenbekämpfung ausrief: Alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte haben seither geschlossen, ebenso wie alle Restaurants, Cafés, Kinos, Theater und Diskotheken. Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, Tankstellen und Banken bleiben geöffnet. Der Louvre, der Eiffelturm, das Moulin Rouge und andere Touristenattraktionen waren bereits am Vortag für Besucher gesperrt worden. In allen französischen Skistationen standen die Lifte still, die Skisaison für beendet erklärt. Auch der Bahn- und Flugverkehr wird eingeschränkt.
Die Wahllokale hingegen öffneten am Sonntagmorgen wie geplant. Die Regierung hatte strikte Hygieneregeln verhängt wie einen Sicherheitsabstand zwischen den Wählern, Desinfektionsmittel in jedem Wahllokal und das Mitbringen eigener Kugelschreiber. Aber in den sozialen Netzwerken meldeten Wahlberechtigte aus allen Landesteilen, dass bei ihrem Urnengang die Regeln nicht respektiert wurden. Die Wahlbeteiligung fiel historisch niedrig aus. 54,72 Prozent der Wähler blieben im ersten Wahlgang den Urnen fern. Das sind 20 Prozentpunkte mehr als vor sechs Jahren.

„Notwendig, die Wahlen zu verschieben“

In der französischen Hauptstadt erzielte die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo mit 32 Prozent im ersten Wahlgang ein deutlich besseres Ergebnis als ihre beiden Herausforderinnen, die Republikanerin Rachida Dati und die frühere Gesundheitsministerin Agnès Buzyn von Macrons Partei La République en marche. Eine Entscheidung wird erst am 22. März in der entscheidenden Stichwahl erwartet – sollte diese stattfinden können.
Sechs Regionalratspräsidenten hatten die Regierung aufgefordert, die Kommunalwahlen abzusagen und zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. „Es war legitim, den demokratischen Geist unserer Nation zu bekräftigen. Aber fortan wird es vernünftig und sogar notwendig, die Kommunalwahlen zu verschieben“, äußerte etwa der Präsident der Mittelmeerregion PACA, Renaud Muselier (LR).

Wird das Wahlergebnis angezweifelt?

Die Sozialistische Partei teilte mit, es sei wahrscheinlich, dass das Votum angefochten werde. „Das Risiko einer niedrigen Wahlbeteiligung und damit einer mangelnden Glaubwürdigkeit des Wahlergebnisses besteht“, warnte der Nationalsekretär der grünen Partei Europe Ecologie Les Verts, Julien Bayou. Macron ließ sich hingegen bei der Stimmabgabe im Seebad Le Touquet filmen. Auf die von der Bundesregierung beschlossene Schließung der deutschen Grenze zu Frankreich reagierte er zunächst nicht. Er hatte zuvor an den Gemeinschaftssinn appelliert und sich dafür ausgesprochen, Grenzschließungen auf europäischer Ebene zu entscheiden. Das Virus kenne keinen Reisepass.

faz.de


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