Großbritannien und EU-Staaten einigen sich auf Reformpaket

  20 Februar 2016    Gelesen: 873
Großbritannien und EU-Staaten einigen sich auf Reformpaket
18 Stunden haben die Verhandlungen gedauert, jetzt steht ein "vernünftiger Kompromiss". Die Vereinbarung soll einen Austritt Großbritanniens aus der EU verhindern.
Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich bei ihrem Gipfel in Brüssel auf ein Reformpaket für Großbritannien verständigt, mit dem ein Austritt des Landes aus der Union verhindert werden soll. Das teilte zuerst die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite auf Twitter mit. "Vereinbarung steht. Drama vorbei", schrieb sie. Der EU-Gipfelchef Donald Tusk und der britische Premierminister David Cameron bestätigten kurze Zeit später, dass ein Kompromiss gefunden wurde.

Zuvor hatten Tusk und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker den Kompromissvorschlag auf den Tisch gelegt. "Es ist ein sehr fairer und ausgewogener Vorschlag", berichteten Diplomaten am Rande des EU-Gipfels. Auf dieser Basis nahmen die Staats- und Regierungschefs mit fast zwölf Stunden Verspätung ihre Beratungen über die Reformforderungen Großbritanniens wieder auf.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Einigung mit dem britischen Premier begrüßt. Manche Kompromisse seien ihr aber nicht leicht gefallen, sagte Merkel am späten Freitagabend. Das gelte vor allem für das Ziel einer "immer engeren Union", von dem sich London nun verabschiedet hat. "Das ist eine emotionale Frage. Ich gehöre zu denen, die dafür sind, dass die Integration fortschreitet."

Auch beim Thema Sozialmissbrauch hätte sie sich andere Lösungen vorstellen können, sagte Merkel. Insgesamt aber stellte sie fest: "Ich glaube, dass wir Großbritannien nicht zu viel gegeben haben." Die Kanzlerin schloss ihre Pressekonferenz mit den Worten: "Nun wünsche ich David Cameron das Allerbeste."
Umstrittene Forderungen

Besonders umstritten war Camerons Wunsch, EU-Ausländern Sozialleistungen vorzuenthalten und für ihre nicht in Großbritannien lebenden Kinder weniger Kindergeld zu zahlen. Nach Angaben eines EU-Parlamentsunterhändlers soll die Kappung nun sieben Jahre lang angewendet werden können und pro Arbeitnehmer für je maximal vier Jahre gelten.

Cameron hatte auch auf ein Mitspracherecht bei Entscheidungen der Eurozone gepocht, falls diese Auswirkungen für London haben könnten. Dem Kompromiss zufolge muss sich der EU-Gipfel nun mit einem entsprechenden Anliegen Großbritanniens befassen und nach einer Lösung suchen. Ein direktes Vetorecht erhält der Premier nach Angaben von Parlamentsunterhändlern aber nicht.

Insbesondere mittel- und osteuropäische Länder zeigten sich kritisch gegenüber Camerons Forderungen. EU-Parlamentschef Martin Schulz sagte: "Das führt dazu, dass Regierungen, die befürchten müssen, dass Bürgerinnen und Bürger ihrer Länder wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden, bei dieser Ausnahmesituation dreimal nachfragen."
Ursprünglich sollte der EU-Gipfel bereits am späten Freitagvormittag zusammentreffen. Das geplante Frühstück wurde wegen Meinungsverschiedenheiten unter den EU-Mitgliedern abgesagt. Vorgespräche und bilaterale Treffen dauerten den ganzen Tag über an.

Referendum möglicherweise noch im Juni

Cameron will seine Landsleute möglicherweise noch im Juni über den Verbleib in der EU abstimmen lassen. Auf Twitter schrieb der Premier, dass er den Deal morgen seinem Kabinett empfehlen werde. "Ich werde mich mit meinem ganzen Herzen und meiner ganzen Seele einsetzen, um die Briten zu überzeugen, in der reformierten EU zu bleiben", sagte er nach den Verhandlungen vor Journalisten in Brüssel.

Sein Land werde aber seinen Sonderweg weitergehen: "Großbritannien wird nie Teil eines europäischen Superstaates sein." Auch die Euro-Währung solle nicht eingeführt werden.
Nach der Einigung haben EU-Gegner in London Cameron attackiert. Die Vereinbarung sei "nicht das Papier wert, auf der sie geschrieben ist", sagte Nigel Farage von der rechtspopulistischen UKIP bei einer Veranstaltung von Brexit-Befürwortern in London.

Zugleich berichteten britische Medien, dass sich mindestens vier Minister gegen Cameron stellen und beim geplanten Referendum für einen EU-Austritt werben wollten. Darunter sei auch Justizminister Michael Gove, ein bisheriger enger Vertrauter Camerons. Bis zu einem Fünftel der Tory-Abgeordneten seien Brexit-Befürworter.

Auch der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn äußerte sich kritisch. Camerons Verhandlungen in Brüssel seien lediglich eine "theatralische Sideshow...mit dem Ziel, seine Gegner in der konservativen Partei zu beruhigen", sagte Corbyn kurz vor dem Durchbruch in Brüssel. Er werde sich aber für einen Verbleib in der Gemeinschaft einsetzen, fügte Corbyn hinzu.

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