Boykott überschattet Wahl in Serbien

  22 Juni 2020    Gelesen: 700
  Boykott überschattet Wahl in Serbien

Frei und fair sei sie nicht, beklagt die Opposition in Serbien und lehnt die Wahl ab. Einige Bürger folgen ihrem Vorbild: Die Beteiligung fällt deutlich niedriger aus als zuletzt. Präsident Vucic und seine Partei liegen wohl auch deshalb eindeutig vorne. Die Gegner sehen ihr Ziel trotzdem erreicht, das Regime sei bloßgestellt.

Unter mäßiger Beteiligung der Bürger hat die Partei von Präsident Aleksandar Vucic nach aussagekräftigen Teilergebnissen die Parlamentswahl in Serbien haushoch gewonnen. Bei der Abstimmung am Sonntag kam die rechtsnationale SNS (Serbische Fortschrittspartei) auf 63 Prozent der Stimmen und dürfte damit 179 der 250 Parlamentsmandate errungen haben, berichtete die Wahlforschungsgruppe Cesid nach Auszählung von 76 Prozent der Wahllokale. Die Wahlbeteiligung gaben die Wahlforscher mit 48 bis 49 Prozent an. Vor vier Jahren hatte sie noch bei 56 Prozent gelegen.

Die Wahl überschatteten ein Boykott der wichtigsten Oppositionsparteien sowie die Folgen der Corona-Pandemie. Die eigentlich am 26. April geplante Wahl wurde wegen des - inzwischen aufgehobenen - Ausnahmezustands verschoben. In der Corona-Krise vermochte Vucic, der als Präsident die Regierung anleitet und alle wichtigen Entscheidungen selbst trifft, noch mehr öffentliches Rampenlicht auf sich zu ziehen als sonst. Die wichtigsten Oppositionsparteien boykottierten die Wahl. Sie hatten schon vor der Corona-Krise die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen nicht für erfüllt gesehen.

Vucic regiert seit 2014 als Ministerpräsident und seit 2017 als Präsident zunehmend autoritär über das Balkanland. Die meisten Medien werden von ihm und seinen Geschäftsfreunden kontrolliert. Mit dem Zugriff auf die staatlichen Ressourcen sichern sich Vucic und die seit 2012 regierende SNS eine übermächtige Präsenz in der Öffentlichkeit. Das wirkte sich auch am Wahlsonntag aus. Nur zwei weitere Parteien dürften aus eigener Kraft den Einzug in die Volksvertretung geschafft haben. Dabei hatte der Gesetzgeber noch im Februar die Sperrklausel für den Parlamentseinzug von fünf auf drei Prozent herabgesetzt, um eine allzu monotone Zusammensetzung der Volksvertretung abzuwenden.

Die Sozialistische Partei Serbiens (SPS) kommt demnach auf 11 Prozent der Stimmen und wahrscheinlich 30 Mandate. Sie ist aber seit 2012 ohnehin in einer Koalition mit der SNS und stellt mit Ivica Dacic den Außenminister. Einziger Nutznießer der abgesenkten Sperrklausel dürfte die Partei Spas (Rettung) des Reformpolitikers und ehemaligen Wasserballers Aleksandar Sapic sein. Sie steht laut Cesid bei knapp vier Prozent und zehn Mandaten. Darüber hinaus sind einigen ethnischen Minderheiten, so etwa den Ungarn, Bosniaken und Albanern, Parlamentssitze zugesichert.

"Irrsinn, dem wir seit Jahren ausgesetzt sind"

Vucic, dessen Partei nicht mit ihrem Namen, sondern mit der blumigen Listenbezeichnung "Aleksandar Vucic - Für die Zukunft unserer Kinder" auf den Stimmzetteln stand, sprach am späten Sonntagabend von einem "historischen Triumph" seiner SNS. "Von 3,3 Millionen Stimmen haben wir mehr als zwei Millionen gewonnen", gab er sich euphorisch. Wahlberechtigt waren gut 6,6 Millionen Bürger. "Serbien hat heute unzweideutig Nein gesagt zum Regime von Aleksandar Vucic", sagte der Oppositionsführer Dragan Djilas, früher Bürgermeister von Belgrad. "Der Boykott hat sein Ziel erreicht, er hat das Regime bloßgestellt, den Irrsinn, dem wir seit Jahren ausgesetzt sind."

Zugleich war die serbische Wahl der erste Urnengang in einem europäischen Land, seit sich die Corona-Pandemie über den Kontinent ausgebreitet hat. In den fast 8400 Wahllokalen herrschte für das Wahlpersonal Maskenpflicht, den Wählern war das Tragen einer Maske empfohlen worden. Gewählt wurden auch die Abgeordnetenkammer der halbautonomen Nordprovinz Vojvodina sowie Gemeindevertretungen im ganzen Land.

Quelle: ntv.de, ibu/dpa


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