Verbrechen in Kolonialzeit

  06 Oktober 2015    Gelesen: 785
Verbrechen in Kolonialzeit
Herero fordern finanzielle Entschädigung für Völkermord von Deutschland

Der deutsche Völkermord am namibischen Volk der Herero begann am Rand der Omaheke-Wüste. Hier versammeln sich die Nachkommen der Herero zum Gedenken in farbenfrohen Trachten. Nach über 100 Jahren fordern sie von Deutschland finanzielle Wiedergutmachung.


Mit Stolz präsentieren sich die Herero in Namibia in Uniformen und Trachten ihrer früheren Peiniger: Die Frauen tragen ausladende viktorianisch anmutende Kleider, die Männer Uniformen der von Kaiser Wilhelm II. nach Südwestafrika entsandten "Schutztruppe". Hunderte Frauen und Männer vom Stamm der Herero reisten am Wochenende aus allen Landesteilen an, um des Völkermords an ihren Vorfahren zu gedenken. Vor 111 Jahren, am 2. Oktober 1904, gab der damalige Generalleutnant Lothar von Trotha hier in Ozumbo Zovindimba am Rande der Omaheke-Wüste den Befehl, alle Herero zu töten.
"Das hat die Deutschen damals immer geärgert"

Die Deutschen machten die Sache gründlich. Experten gehen davon aus, dass rund 65.000 von 80.000 Herero und mindestens 10.000 von 20.000 Menschen vom Volk der Nama getötet wurden. Die "Schutztruppe" trieb die Herero in die Omaheke-Wüste nordöstlich der Hauptstadt Windhuk, schnitt die Fluchtwege ab und ließ Zehntausende verdursten. Historiker sehen darin den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts.

"Das hat die Deutschen damals immer geärgert: Sobald die Herero deutsche Soldaten getötet hatten, haben sie sich die Uniformen angezogen", sagt Jonathan Katjimune. "Jetzt sind sie Teil unserer Kultur." Die rot-schwarze Tracht trägt Adolfine Vihanga normalerweise nur zu Beerdigungen. Wer ein bisschen in die Wüste hinaus wandere, könne immer noch Knochen der dort verendeten Herero finden, sagt die 48-Jährige. "Das hier ist die
Geschichte unseres Volkes." Es sei wichtig, dies auch den nachfolgenden Generationen mit auf den Weg zu geben.

Uniformen sehen unfreiwillig komisch aus

Noch während sie spricht, marschiert ein Dutzend uniformierter Jugendlicher im Stechschritt vorbei, sie trainieren das Exerzieren - ganz so, als müsste schon morgen wieder gegen die Truppen des Kaisers gekämpft werden. Uniformierte Reiter traben ebenfalls mit ernstem Blick um das Versammlungszelt, vor allem wirbeln sie viel Sand auf.
Manche der historischen Uniformen der Männer sehen heutzutage unfreiwillig komisch aus. Die Kleider der Frauen im viktorianischen Stil wurden wohl zuerst von deutschen Missionaren ins Land gebracht. Die Herero, traditionell ein Volk von Rinderhirten, passte die Tracht an - etwa mit dem sperrigen Hut, dessen Form an Rinderhörner erinnern soll.
"Wir fordern von Deutschland eine Entschuldigung von höchster Stelle"

Das Stammesoberhaupt der Herero, Paramount Chief Vekuii Rukoro, kniet vor einem Massengrab nieder. Es ist ein Moment der Stille für die Opfer. Dann folgt seine Ansprache. "Wir fordern von Deutschland eine Entschuldigung von höchster Stelle", sagt Rukoro. "Wir fordern auch Wiedergutmachung für den Schaden, der unserem Volk zugefügt wurde." Umringt von örtlichen Stammesführern, warnt er, die Geduld seines Volkes sei aufgebraucht.

Die Herero starteten eine internationale Kampagne gegen Deutschland, um bei den Vereinten Nationen, der Afrikanischen Union und anderen Foren Druck zu machen. Rukoro ist ein studierter Anwalt und leitet in Windhuk eine Fleischfirma. Während mancher Reden schielt er auf sein iPad. Er weiß, wie im 21. Jahrhundert Politik gemacht wird. "Unsere Kampagne gegen deutsche Interessen wird von solcher Natur sein, dass Deutschland es nicht durchhalten kann."

"Es kann nicht ohne uns über uns verhandelt werden"

Jahrzehntelang vermied es die Bundesregierung, das Schicksal der Herero als "Völkermord" zu bezeichnen, wohl vor allem aus Angst vor möglichen Reparationsforderungen. Erst in diesem Sommer rang sich das Auswärtige Amt zu einer neuen Haltung durch: "Der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 war ein Kriegsverbrechen und Völkermord", heißt es nunmehr. Seit längerem schon gibt es Verhandlungen mit der namibischen Regierung, um eine Lösung zur Aufarbeitung der brutalen deutschen Kolonialherrschaft zu finden. Doch selbst wenn sich Windhuk und Berlin in den kommenden Monaten einigen sollten, werden die Herero nicht zufrieden sein.
"Es kann nicht ohne uns über uns verhandelt werden", sagt Mike Nguvenjengua. Der Konflikt könne nur beigelegt werden, wenn die Herero als dritte Partei mit am Verhandlungstisch säßen. Der 40-Jährige hat einen besonderen Blick auf die komplizierte deutsch-namibische Vergangenheit: Seine Urgroßmutter gebar das Kind eines deutschen Soldaten, die Familie geht von einer Vergewaltigung aus. Wegen des deutschen Blutes in seiner Familie habe er auch eine etwas hellere Hautfarbe, sagt Nguvenjengua.

Herero misstrauen der Bundesregierung

"Die Menschen unseres Volkes wurden vergewaltigt, eingesperrt und getötet. Deutschland muss sich jetzt zu seiner Verantwortung bekennen", fordert Nguvenjengua. Es gehe nicht um Zahlungen an Einzelpersonen, betont er. "Was wir wollen für unser Volk, sind eine bessere Infrastruktur, bessere Bildung und höhere Lebensstandards."

Die Bundesregierung vertritt den Standpunkt, dass sie nur mit der namibischen Regierung und nicht direkt mit einer Volksgruppe verhandeln kann. Die Herero misstrauen jedoch der Regierung in Windhuk, da sie von der rivalisierenden Volksgruppe der Ovambo dominiert wird. Stammesoberhaupt Rukoro argumentiert, Deutschland habe zur Entschädigung der Holocaust-Opfer auch mit der nicht-staatlichen Jewish Claims Conference Zahlungen ausgehandelt. Rukoro will keine genaue finanzielle Forderung nennen. All dies müsse in direkten Gesprächen mit dem Auswärtigen Amt geklärt werden.

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