Machtloser Vettel verdient Lob und Mitleid

  20 Juli 2020    Gelesen: 803
  Machtloser Vettel verdient Lob und Mitleid

In seinem nicht konkurrenzfähigen Ferrari fährt Sebastian Vettel abgeschlagen hinterher. Der 33-Jährige muss sich dermaßen machtlos von Sieger Lewis Hamilton überrunden lassen, dass die Schmach beim Formel-1-Rennen in Budapest überdeutlich ist. Besser drauf ist Red Bull - trotz Schreckminuten bei Max Verstappen vor dem Start.

Ferrari verzweifelt völlig: Teamchef Mattia Binotto war sich der Symbolhaftigkeit bei der Video-Pressekonferenz in einem kleinen Räumchen des Ferrari-Motorhomes vermutlich nicht bewusst. Er nahm Platz auf einem roten Stuhl und rollte immer weiter nach hinten - er saß mit dem Rücken zur Wand. Überrundete Fahrer, ein gedemütigtes Team, maßlos enttäuschte Tifosi - und er ist der Verantwortliche. "Jeder wird seine Arbeit analysieren und den Mut haben müssen, den Kurs zu wechseln, wenn das notwendig ist, denn die aktuelle Dynamik ist nicht akzeptabel", sagte Binotto. Was genau er damit meinte, führte der 50-Jährige nicht aus. Binotto fügte stattdessen unmissverständlich hinzu: "Es gibt keine andere Lösung, um diese Situation in den Griff zu kriegen."

Vettel verdient Lob und Respekt: Vor dem so respektlos aufs Abstellgleis geschobenen Sebastian Vettel muss man allerdings den Hut ziehen. Was der 33-Jährige aus einer kaum zu kontrollierenden Fehlkonstruktion auf vier Rädern rausholt, ist aller Ehren wert. Immerhin Platz sechs, trotz abbauender Reifen und einer bestenfalls bescheidenen Aerodynamik, fünf Plätze vor dem hochgelobten Jungstar Charles Leclerc, der in Ungarn eigentlich nur dadurch auffiel, dass er sich ständig über sein Auto beschwerte. Auch der Umstand, dass Vettel von Hamilton überrundet wurde, darf nicht als Demütigung verstanden werden, der Ferrari anno 2020 gibt einfach nicht das her, was die Tradition verspricht. Vettel darf sich glücklich schätzen, die Garagenband aus Maranello Ende des Jahres verlassen zu dürfen.

Hamilton sprengt Superlative: Er sagt, er musste pushen. Ja, um am Ende auch noch den Zusatzpunkt für die schnellste Rennrunde zu kassieren. Hamilton hatte sich bei seiner gemütlichen sonntäglichen Ausfahrt im schwarz lackierten Silberpfeil aber so viel Vorsprung rausgefahren, dass er für die Attacke auf die Rundenbestzeit sogar noch mal entspannt an die Mercedes-Box kommen und sich frische schnelle Reifen aufziehen lassen konnte, um immer noch mit über acht Sekunden Vorsprung zu gewinnen. Die Superlative gehen einem schnell aus, wenn man versucht, die Leistung des Weltmeisters treffend zu beschreiben. Hamilton wirkt entrückt, er thront über allen anderen Fahrern, von denen keiner auf Augenhöhe mit ihm ist. Auch nicht sein Teamkollege Valtteri Bottas, der trotz seines Auftaktsieges in Spielberg wohl kaum jemals über die Rolle des Wingman hinauskommen wird. Bottas macht Fehler, die Hamilton eben nicht macht.

Beim Auftakt in Spielberg mit Platz vier war Hamilton noch nicht ganz dabei, schon beim zweiten Grand Prix in Österreich fuhr er sein eigenes Rennen. Es wiederholte sich in Budapest. Sieg Nummer 86 nach Pole Nummer 90. Titel Nummer sieben wird für den Briten in dieser Form nur eine Frage der Zeit.

Mercedes hat unschlagbares Gesamtpaket: Natürlich ist der Fahrer nur die halbe Wahrheit - um so dominant aufzutreten wie Lewis Hamilton, braucht es auch ein Auto, das dabei mitmacht. Der Mercedes ist so ein Auto, Motor, Aerodynamik, Reifenmanagement - der nachtschwarze Silberpfeil ist ein unschlagbares Gesamtpaket. Hinzu kommt eine überragende Boxenstrategie, Motorsportchef Toto Wolff, Technikguru James Allison und Hamiltons Renningenieur Peter Bonnington wecken Erinnerungen an Michael Schumachers legendäre Ferrari-Troika mit Teamchef Jean Todt, Technik-Mastermind Ross Brawn und Chefdesigner Rory Byrne.

Red Bull bitte nicht unterschätzen: Es schien gar nicht zu laufen und dann raste Max Verstappen an einem für ihn dramatischen Sonntagnachmittag doch noch auf den zweiten Platz. Startplatz sieben nach der ersten Karrierepole vor einem Jahr an gleicher Stelle. Abflug in der Aufwärmrunde - ein reichlich ramponierter Bolide. Stresstest für die Mechaniker, die den Schaden in gut 20 Minuten in einer veritablen Hau-Ruck-Aktion reparierten. Und dann ein Verstappen in Topform, der Hamilton jagte und am Ende dessen Teamkollegen Bottas abwehrte. "Ich bin ein Verstappen-Fan", sagt Red Bulls Motorsportchef Helmut Marko unverblümt. Vielleicht sollte sich Vettel gut überlegen, ob er tatsächlich zurück will. Der Niederländer widmete den Podiumsplatz den Mechanikern, Teamchef Christian Horner lobte: "Max hat die Reifen vom Auto gefahren."

Racing Point im Rampenlicht: Es ist das Team der Stunde. Platz drei und vier im Qualifying durch Lance Stroll und Sergio Pérez, ein Protest von Renault gegen die Rechtmäßigkeit der Bremsbelüftung und mediales Dauerfeuer als möglicher neuer Arbeitgeber von Sebastian Vettel: Die "Pink Panther" können sich über mangelnde Aufmerksamkeit nicht beklagen. Sollte der Protest abgewiesen und die Autos als regelkonform bestätigt werden, wäre die Tür für Vettel weit geöffnet. Weichen müsste wohl Pérez, der im Rennen auch nicht viel tat, um sich als unverzichtbar zu positionieren. Zudem ist es kaum vorstellbar, dass der milliardenschwere Teameigner Lawrence Stroll seinen überschaubar talentierten Sohn Lance opfern würde.

Formel 1 präsentiert sich souverän: Drei Rennen an drei aufeinanderfolgenden Wochenenden unter den Corona-Bedingungen: Die Motorsport-Königsklasse hat diesen Härtetest schon mal hinter sich - und bestanden. Die Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen wurden weitgehend eingehalten und wenn mal nicht, gab es entsprechende Ansagen. Positive Fälle: bislang zwei, sie und ihre Kontakte wurden umgehend in Ungarn isoliert. Es soll sich nicht um Mitglieder irgendeines Teams handeln.

Quelle: ntv.de, ara/sid/dpa


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