Portland - Schlachtfeld für Trumps Wahlsieg?

  21 Juli 2020    Gelesen: 730
  Portland - Schlachtfeld für Trumps Wahlsieg?

Seit vergangener Woche eskalieren die Proteste in Portland an der US-Westküste. Ungebeten mischen sich dort Bundestruppen ein. Wegen schlechter Umfragewerte habe Trump seine "persönliche Armee" geschickt, poltert der Bürgermeister. Was steckt dahinter?

Es ist Samstagmorgen um 1.45 Uhr in Portland im Bundesstaat Oregon. Seit Ende Mai bereits protestieren Menschen in der Stadt. Keine großen Demos, dafür aber tägliche Kundgebungen. Eine Frau, bis auf eine Wollmütze und Atemschutzmaske nackt, schlendert auf eine Straßenkreuzung und legt sich vor eine Kette aus Uniformierten. Sie wirft ihre Beine in die Luft, tanzt Ballettfiguren, zeigt mit dem Finger auf sie und fordert sie auf zu schießen. Die Uniformierten antworten mit Pfefferspraykugeln. Ein Demonstrant positioniert sich mit einem Schild vor die "nackte Athena", wie sie inzwischen genannt wird, die jedoch zur Seite rückt und den Schutz absichtlich verlässt. Zehn Minuten später verlassen die Männer die Kreuzung.

Nach fast zwei Monaten der Proteste gegen Polizeigewalt in den USA, ausgelöst im Mai durch den Tod des Schwarzen George Floyd unter dem Knie eines weißen Polizisten, gerät genau diese Gewalt im Juli in Portland erneut außer Kontrolle. Die Demonstranten fordern mehr Aufsicht für Polizisten, eine Umwidmung des Polizeibudgets sowie eine Strafrechtsreform. Einer von ihnen ist Mark Pettibone. Am vergangenen Mittwoch war er mit einem Freund auf dem Weg zu einer Demonstration, als die Angst ihn packte. Personen in Militär-Tarnkleidung sprangen plötzlich aus einem zivilen Van und kamen auf ihn zu, erzählte er der "Washington Post". Weil Pettibone nicht wusste, wer die Bewaffneten ohne Abzeichen waren, sei er instinktiv losgerannt, aber habe sich kurz danach ergeben.

"Es war furchtbar", wird Pettibone zitiert, wie in einem dystopischen Roman: "Als ob ich gejagt würde." Der 29-jährige Aktivist sagte, er beobachte lediglich und sei aus Solidarität bei den Protesten. Pettibone ist nicht der einzige, der so in Portland von Uniformierten verfolgt wurde. In der vergangenen Woche haben Einsatzkräfte in Militär-Tarnkleidung ohne Abzeichen verschiedene Demonstranten ohne Angabe von Gründen festgenommen, in zivile Mietwagen gezerrt, vorübergehend eingesperrt, befragt, durchsucht und dann wieder freigelassen. Und in der Woche zuvor verletzten sie den 26-jährigen Donovan LaBella mit einem Kopfschuss schwer, als der sich nach einer in seine Richtung abgefeuerten Tränengaskartusche gebückt hatte.

Die Uniformierten, die so vorgehen, sind Einsatzkräfte der US-Regierung. Das Ministerium für Heimatschutz schickte die Spezialeinheiten der Grenzpolizei Anfang Juli in den Bundesstaat an der US-Westküste. Die Anweisung dazu kam offenbar von ganz oben, also von Donald Trump. Nun gibt es Diskussionen darüber, ob dies nötig war, der Präsident das überhaupt darf oder ob das der klare Zug eines autoritären Staatschefs ist, der mit seiner "Recht und Gesetz"-Vorgehensweise gegen "Black Lives Matter" ein weiteres Mal weit übers Ziel hinausgeschossen ist. Und offen ist auch noch, welche Ziele Trump damit verfolgt. Geht es dem Präsidenten um Symbolpolitik, so wie etwa im Juni, als er sich vor dem Weißen Haus den Weg für das mittlerweile berüchtigte Bibel-Foto gewaltsam freiräumen ließ?

Polizeieinsatz im Ausnahmezustand

In Portland haben die Behörden den Einsatz der Bundeseinheiten nicht angefordert, heißt es von offizieller Seite. Trotzdem greifen die Spezialeinheiten seit drei Wochen systematisch in die Proteste in der größten Stadt Oregons ein, schützen den Angaben der Regierung zufolge das Bundesgerichtsgebäude, von wo sie gegen die Demonstranten vorgehen, teilweise viele Häuserblocks entfernt. "Die Menschen wissen noch nicht einmal, wer sie in die Autos zerrt", sagte Portlands Bürgermeister Ted Wheeler: "Was die Bundestruppen hier tun, eskaliert die Situation", klagt er: "Ihre Anwesenheit führt zu mehr Gewalt und Vandalismus." Auch die beiden Senatoren des Bundesstaates und weitere Demokraten im Kongress forderten das Weiße Haus mit wütenden Äußerungen auf, die Bundestruppen zurückzuziehen.

"Falls es ihnen einen taktischen Vorteil gibt, werden sie einen Weg finden, [den Einsatz] zu rechtfertigen", wird ein Mitarbeiter des Heimatschutzministeriums im US-Magazin "The Nation" zitiert. Medienberichten zufolge ist der Einsatz der nicht gekennzeichneten Bundestruppen wahrscheinlich sogar legal abgesichert. Erstens, weil in den USA noch immer der Ausnahmezustand wegen des Coronavirus gilt. Zweitens, weil ein Dekret den Bundestruppen entsprechende Kompetenzen verleiht: Am 27. Juni hatte Trump das Papier unterzeichnet, damals, um Denkmäler und Statuen aus der Zeit der Sklavenhaltung zu schützen. Wenige Tage zuvor hatten Demonstranten vor dem Weißen Haus versucht, die Statue des ehemaligen Präsidenten Andrew Jackson zu stürzen. Das Dekret autorisiert die Staatsgewalt darüber hinaus, alle Bundesgebäude im Land zu schützen.

Wer wen zuerst provozierte? Darauf eine Antwort zu finden, ist nicht nur in Portland schwierig. Polizei und Demonstranten schildern die Ereignisse aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln. Portlands Bürgermeister Wheeler selbst steckt in einem Interessenskonflikt, da er zugleich Polizeichef der Stadt ist und damit die Verantwortung für den Umgang mit den seit mehr als 50 Tagen andauernden Protesten trägt.

Die Polizisten der Stadt gingen offenbar gemeinsam mit den Bundeseinheiten vor, um Demonstranten zu vertreiben. Ein Stadtratsmitglied, das die "Black Lives Matter"-Bewegung unterstützt, forderte den Bürgermeister bereits auf: "Wenn Sie die Polizei nicht unter Kontrolle haben, übertragen Sie sie mir."

Trump und sein Umfeld in Washington sehen unterdessen andere außer Kontrolle: "Anarchisten und linke Extremisten versuchen eine Randideologie voranzutreiben, welche die Vereinigten Staaten von Amerika als grundsätzlich ungerecht darstellt", hieß es schon im Dekret des Präsidenten: "Sie versuchen, den Amerikanern diese Ideologie durch Gewalt und Einschüchterung aufzuzwingen." Ähnlich äußerte sich vor wenigen Tagen der Grenzpolizeichef Mark Morgan, um die vorübergehenden Festnahmen zu begründen. Heimatschutzminister Chad Wolf sagte, Portland sei "eine Stadt unter Belagerung".

Demonstranten und auch die Journalisten vor Ort widersprechen diesen Darstellungen. Augenzeugen sagten im öffentlichen Rundfunk in Oregon, es gebe tatsächlich einen Belagerungszustand - aber Trumps Bundeseinheiten seien die Besatzungsmacht. Wheeler hat sich inzwischen ganz klar gegen Washington positioniert. Die Bundestruppen seien Trumps "persönliche Armee" und Teil einer koordinierten Strategie des Weißen Hauses, "um seine absackenden Umfragewerte zu verbessern", polterte er. Senator Ron Wyden, ein Politiker der Demokraten, der Oregon in der US-Hauptstadt vertritt, meinte, Trump und Wolf nutzten das Ministerium "als Besatzungsarmee, um Gewalt auf den Straßen meiner Heimatstadt zu provozieren, da sie denken, dass dies den rechten Medien gefällt."

"Wir beobachten auch Chicago und New York"

Oregons Generalstaatsanwältin reichte bereits Klage gegen das Heimatschutzministerium ein. Bundestruppen sollen niemanden mehr festnehmen dürfen, "ohne Warnung oder Erklärung, ohne Haftbefehl und ohne Möglichkeit zu sehen, wer verantwortlich ist". Die Bürgerrechtsorganisation ACLU nannte das Vorgehen der Bundespolizei verfassungswidrig: "Normalerweise nennen wir [das] Entführung." Ist das Vorgehen der Bundestruppen Teil einer Strategie, wie Wyden mutmaßt? Dienen die Aktionen nur dazu, Trumps Basis unter Strom zu setzen? Möglicherweise.

In Oregon hat Trump bei der Wahl im November ohnehin nichts zu verlieren, der Bundesstaat stellt nur sieben Wahlmänner und ging auch vor vier Jahren schon klar an die Demokraten. Zudem hat Trump bereits gedroht, dass es nicht bei Portland bleiben könnte. "Wir haben noch mehr Städte, die außer Kontrolle sind", referierte er: "Sie sind wie Kriegsgebiete." In einem vom Weißen Haus verbreiteten Interview von "Fox News" sagte er, welche Metropolen er meint. "Wir beobachten auch Chicago und New York. Alle werden von liberalen Demokraten regiert. Also tatsächlich von der radikalen Linken." Die Masse der Trump-Wähler wohnt woanders.

Quelle: ntv.de


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