Finanzministerium informierte Kanzleramt über Ermittlungen gegen Wirecard

  21 Juli 2020    Gelesen: 725
Finanzministerium informierte Kanzleramt über Ermittlungen gegen Wirecard

Nach SPIEGEL-Informationen setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel sich in China für den inzwischen gescheiterten Finanzdienstleister ein, obwohl ihr Amt von den Sonderermittlungen der Bankenaufsicht gegen Wirecard wusste.

Von Sven Becker, Rafael Buschmann, Nicola Naber, Gerald Traufetter, Christoph Winterbach und Michael Wulzinger

Auf ihrer Chinareise Anfang September vergangenen Jahres sprach die Bundeskanzlerin mit der Staatsführung auch über den geplanten Zusammenschluss von Wirecard mit dem Pekinger Finanzunternehmen AllScore Payments. Nach der SPIEGEL-Enthüllung vom vergangenen Freitag musste das Bundeskanzleramt nun einräumen, dass Merkel persönlich für den umstrittenen Konzern aus Aschheim bei München im Reich der Mitte lobbyiert hat.

Bereits am vergangenen Samstag hatte der SPIEGEL deshalb im Bundesfinanzministerium nachgefragt: Hat sich das Kanzleramt vor Merkels China-Reise über die Ermittlungen gegen Wirecard im Haus von Olaf Scholz (SPD) informieren lassen?

Nun liegt die Antwort der Behörde vor, und sie ist eindeutig: "Am 23. August 2019 hat das Bundesfinanzministerium auf Anfrage des Kanzleramts per E-Mail verschiedene Informationen zum Fall Wirecard weitergegeben", erklärte ein Sprecher. Das war rund zwei Wochen, bevor die Kanzlerin nach Peking aufgebrochen war.Mitgeteilt wurde auch, dass Wirecard offensichtlich in den Fokus der deutschen Aufsichtsbehörden geraten war. "Das Bundesministerium der Finanzen hat an das Bundeskanzleramt auf Arbeitsebene auf - im Übrigen öffentlich bekannte – Vorwürfe gegen das Unternehmen Wirecard hingewiesen", so der Sprecher. Übermittelt worden seien zusätzlich auch unter anderem Bundestagsdrucksachen mit Parlamentsanfragen zu den Anschuldigungen gegen Wirecard.

Das Bundesfinanzministerium ist laut eines Sachstandsberichts bereits seit Februar 2019 über Ermittlungen der Aufsichtsbehörde Bafin gegen Wirecard informiert worden. Auf der Bundespressekonferenz dementierte eine Sprecherin des Kanzleramts, dass Merkel zu diesem Zeitpunkt ebenfalls Kenntnis von Unregelmäßigkeiten bei Wirecard hatte. Auf Nachfrage wollte die Sprecherin allerdings nicht sagen, wann die Bundeskanzlerin Kenntnis davon erlangt habe, stattdessen antwortete sie mit einer Phrase: Wirecard "ist ein großes und wichtiges Thema, bei dem die Bundesregierung sich um umfassende Aufklärung bemüht."

Durch die Antworten des Bundesfinanzministeriums an den SPIEGEL hat das SPD-geführte Haus nun den Druck auf Angela Merkel erhöht. Denn offensichtlich hat die Arbeitsebene im Kanzleramt vor dem Chinabesuch Erkundigungen über Wirecard eingeholt. Das Finanzministerium teilt in seiner Stellungnahme nicht die konkreten Informationen mit, die es dem Kanzleramt zur Verfügung gestellt hat. Aus Regierungskreisen heißt es dazu allerdings, dass man auch Unterlagen geteilt habe über die laufenden Untersuchungen der BaFin sowie ein mögliches Fehlverhalten von Verantwortlichen der Wirecard AG.

Damit stellen sich für den Fortgang der politischen Aufklärung der Wirecard-Affäre eine Reihe bislang unbeantworteter Fragen an das Kanzleramt: Warum hatte sich Merkel im September beim Staatsbesuch für Wirecard eingesetzt, obwohl das Fintech-Unternehmen nach Erkenntnissen der Regierung keinen einwandfreien Leumund mehr gehabt hatte? Was wusste die Bundesregierung und das Kanzleramt zudem über die chinesische Firma, die Wirecard übernehmen wollte?

Für die Konzernleitung von Wirecard war die Hilfe der Bundesregierung sicherlich wichtig für das eigene, bereits arg angekratzte Image. Es könnte neben den bis April dieses Jahres von den Wirtschaftsprüfern testierten Geschäftsberichten auch eine Erklärung sein, warum Investoren so lange an dem Unternehmen festhielten – und Anleger weiterhin die heute nahezu wertlosen Wirecard-Aktien kauften. 

Den Einsatz Merkels für das Fintech-Unternehmen in China hatte unmittelbar vor der Reise der Ex-Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg eingefädelt.

Übernahmekandidat AllScore Payments hat zweifelhaften Ruf
Wie das Kanzleramt vorigen Freitag auf Anfrage des SPIEGEL einräumte, hatte der über eine Plagiatsaffäre gefallene CSU-Star am 3. September vergangenen Jahres mit Merkel über Wirecards China-Expansionspläne gesprochen. Offenbar mit Erfolg: Noch am selben Tag schickte Guttenberg eine Email an den zuständigen Abteilungsleiter für Wirtschaft im Kanzleramt, Lars-Hendrik Röller, zu dem Thema.

Das Kanzleramt sagte Guttenberg "weitere Flankierung" für den Deal zu. Unmittelbar nach der Rückkehr aus China informierte der Merkel-Vertraute Röller Guttenberg in einer Mail darüber, dass Wirecard bei den Gesprächen in Peking ein Thema gewesen sei.

Wirecard verkündete zwei Monate später, die Firma AllScore Payments übernehmen zu wollen. Bei AllScore handelt es sich um ein skandalumwittertes Unternehmen, allein 2020 musste es in China eine Rekordstrafe wegen Verflechtungen in die Glücksspielbranche zahlen. Auch im Jahr zuvor war die Firma ins Visier der chinesischen Behörden geraten, weil sie bei der Abrechnung von Online-Glücksspielen mitgewirkt hat.

Die Opposition setzte gestern durch, dass eine Sondersitzung des Finanzausschusses am Mittwoch kommender Woche stattfinden soll. Dort sind Bundesfinanzminister Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eingeladen, um ihr Wissen über die erfolglose Ermittlung der Behörden gegen Wirecard zu teilen. Gut möglich, dass die Opposition jetzt auch einen Vertreter aus dem Kanzleramt zu der außerordentlichen Sitzung einladen wird.

spiegel


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