Wieler stemmt sich gegen zweite Welle

  28 Juli 2020    Gelesen: 402
Wieler stemmt sich gegen zweite Welle

Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, bangt angesichts steigender Infektionszahlen um bisherige Erfolge im Kampf gegen das Coronavirus. Er warnt die Bevölkerung eindringlich vor sorglosem Verhalten. Seine Devise: AHA statt "Oh-oh!".

Private Feiern, große Partys, Urlaubsreisende und immer wieder Corona-Ausbrüche in landwirtschaftlichen Betrieben: Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, sieht es im Kampf gegen die Corona-Pandemie an allen Ecken und Enden brennen. "Die neueste Entwicklung in Deutschland macht mir und uns allen im Robert-Koch-Institut große Sorgen", sagt er während seines ersten RKI-Pressebriefings seit fünf Wochen. Diese einst regelmäßigen Informationsrunden des Instituts finden seit Mai nur noch statt, wenn es eine veränderte Pandemie-Lage gibt. Das ist aus Wielers Sicht nun der Fall: "Wir müssen jetzt verhindern, dass das Virus sich wieder rasant ausbreitet."

Um die ganze Dramatik des Geschehens zu unterstreichen, kommt Wieler zunächst auf die weltweite Lage zu sprechen, bevor es um Deutschland geht. Global gebe es 16,2 Millionen gemeldete Infektionen und 646.000 offizielle Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19. "Weltweit nehmen die täglich neu gemeldeten Fälle stark zu", sagt Wieler. "Wir sind mitten in einer sich rasant entwickelnden Pandemie."

Folgt Deutschland Australiens Beispiel?

Direkt im Anschluss stellt er eine Beziehung her zwischen dem Virussturm, der in vielen Ländern tobt, und der Pandemielage in der Bundesrepublik und nennt Australien, Japan und Spanien. Länder, die das Virus zwischenzeitlich in den Griff bekommen zu haben schienen, und nun mit wachsenden Ansteckungszahlen zu kämpfen haben. "Ausschlaggebend" sei in diesen Ländern gewesen, dass "individuelle Schutzmaßnahmen nicht mehr so gut befolgt werden".

Und damit nach Deutschland: Noch ist das Land glimpflich durch die Pandemie gekommen. Das belegen die vergleichsweise niedrigen Zahlen von rund 206.000 Infektionsfällen und rund 9100 Covid-Toten. "Dieser Erfolg zeigt uns, dass wir das Virus eindämmen können", sagt Wieler. "Seit einigen Tagen sehen wir, dass diese Zahlen wieder deutlich steigen" - zuletzt auf 3611 Neu-Infizierte binnen sieben Tagen. Dass es zurzeit viele kleine Ausbrüche an verschiedenen Orten Deutschlands gebe, sei "wirklich sehr beunruhigend", sagt Wieler.

Sorge lässt nach

Er hat Zweifel daran, dass die Bevölkerung seine Einschätzung der Lage teilt. Begründete Zweifel, wie er unter Verweis auf die Cosmo-Umfrage zur Stimmung in der Bevölkerung erklärt. Diese hatte zu Wochenbeginn festgestellt, dass die Risikowahrnehmung und die Akzeptanz von Schutzmaßnahmen auf das Niveau von vor dem Lockdown gesunken seien.

Für Wieler ist das beunruhigend, weil die seines Erachtens nach wichtigsten Maßnahmen immer weniger eingehalten würden: Die AHA-Regeln - Abstand von 1,50 Meter zu anderen halten, Hygiene beachten und Alltagsmaske tragen, wo der Abstand nicht eingehalten werden kann. "Diese dürfen nie infrage gestellt werden", sagt Wieler. Im Verlauf des Briefings nennt Wieler immer wieder "AHA", damit es niemand vergessen möge. Wieler appelliert: Die Menschen hätten es weitgehend selbst in der Hand, wie die Pandemie sich in Deutschland weiter verbreite.

Dabei legt Wieler Wert darauf, dass die neuen Infektionen bisher nur zu einem kleinen Teil von Reiserückkehrern herrühren. Im Detail erklärt das Ute Rexroth, eine der Leiterinnen des RKI-Corona-Lagezentrums: Im Unterschied zur jüngsten Zeit mit einzelnen großen Ausbrüchen sei die Lage derzeit diffus. Beobachtet würden Fallzahlenanstiege in unterschiedlichen Kommunen und Gemeinden. Es bestehe die Sorge, dass sich eine Trendumkehr andeuten könne.

Sorge vor Kontrollverlust

Ob es sich um den Beginn einer möglichen zweiten Welle handle, könne man nicht wissen - aber es könne sein, sagte Wieler. Die große Sorge der Experten besteht darin, dass das Infektionsgeschehen plötzlich nicht mehr nachverfolgbar ist, wenn sich Gruppen potenziell Infizierter zu überschneiden beginnen und Träger des Virus aus einer begrenzten Gruppierung wie Familienverbänden oder Betrieben heraus Sars-Cov2 anderswo einschleppen.

Zum Reisegeschehen sagt Wieler, noch gebe es keine Belege dafür, dass sich Passagiere in relevanter Zahl in Flugzeugen bei Mitreisenden infizierten. Dabei würden womöglich die Hightech-Filter und die permanente Belüftung helfen. Im Ausland seien die gleichen Vorsichtsmaßnahmen wie daheim geboten: "Erste goldene Regel ist, sich im Urlaub vernünftig zu verhalten. Es ist irrelevant, ob Sie sich im Urlaub befinden oder zu Hause", sagt der RKI-Präsident. Heimkehrer aus Covid-19-Schwerpunktregionen sollten nach ihrer Rückkehr niemanden treffen: "Wer aus Risikogebieten kommt, ist verpflichtet, sich in Quarantäne zu begeben. Und das sollten sie auch tun."

Schulen ja, Partys nein

Weil aber die Urlaubssaison in einigen Bundesländern auch bald zu Ende geht, nahm Wieler auch die Schulen in den Blick. "Die Schulen werden geöffnet und sie müssen auch geöffnet werden", sagte er. "Aber sie müssen geöffnet werden unter bestimmten Regeln." Gemeint ist etwa die Ausgestaltung der Schulklassen und Fachunterrichte: "Es darf nicht dazu kommen, dass sich die Schüler alle irgendwie mischen", sagt Wieler. Hierfür müssten an den Schulen feste Gruppe gebildet werden, sodass die Schüler nicht alle miteinander in Kontakt kommen.

Dabei räumt Wieler ein, dass die Schulregeln wenig Sinn ergeben, wenn sich die Kinder nach der Schule wild mischten. Das Verhalten junger Menschen ist Wieler allgemein ein Anliegen, weil sie zwar selbst weniger gefährdet seien aber das Virus weitertragen können, ohne es zu merken. Zu Tausenden wilde Partys zu feiern, sei "rücksichtslos" und auch "fahrlässig".

Quelle: ntv.de


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