Gerade einmal vier Minuten sind gespielt, da hätte sich Neymar bereits zum Spieler der Partie krönen können. Völlig allein läuft der Brasilianer auf den gegnerischen Torwart zu - er muss nur noch einnetzen. Niemand hätte sich gewundert, wenn der 222-Millionen-Euro-Transfer im Champions-League-Viertelfinale den Underdog Atalanta Bergamo niedergerungen hätte. Doch der 28-Jährige in Diensten des Favoriten Paris St. Germain vermasselt den Abschluss, aus elf Metern in zentraler Position zieht Neymar den Ball deutlich rechts am Tor von Atalanta-Keeper Marco Sportiello vorbei. Nichts ist es mit der frühen Führung, nichts mit dem Jubel von Neymar.
Es ist eine Szene, die früh mehr über das Spiel erzählt. Ein Spiel, in dem Neymar zwar auffällt, das aber unglücklich. Gute Aktionen - schlechte Abschlüsse. Ja, auch die Vorlage für den Ausgleich und die Einleitung des Siegtreffers, aber: Zum Helden taugt das an diesem Abend nicht. Der wird erst in der 79. Minute eingewechselt und heißt Eric Maxim Choupo-Moting. Als er kommt, steht es 0:1 für sein Team, mit Abpfiff steht es 2:1 - die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel zieht ins Halbfinale ein. Erstmals seit 25 Jahren. Nicht dank Rekord-Transfer Neymar, nicht dank des Mannes, der einen Marktwert von 180 Millionen Euro hat, französischer Weltmeister ist und Kylian Mbappé heißt. Sondern weil Choupo-Moting in seinen 16 Minuten auf dem Platz glänzend auftritt.
"Ein verrücktes Spiel"
Der 31-Jährige, der noch nie einen Klub eine Ablöse gekostet hat, kam 2018 von Stoke City nach Paris. Er kam, weil Tuchel ihn aus gemeinsamen Tagen beim FSV Mainz 05 kennt. Und wusste, was er an ihm hat: robust, schnell, dribbelstark. Keiner, der die Scouts um sich schart. Einer, bei dem man im Zusammenhang mit einem Transfer eher an die kuriose Geschichte mit dem Fax-Gerät denkt: Der HSV wollte Choupo-Moting 2011 an den 1. FC Köln verkaufen. Am 31. Januar faxt also ein Verantwortlicher den Vertrag an die DFL - leider zwölf Minuten zu spät. Der Transfer platzt, weil das Fax-Gerät streikte. Er ist keiner, den man im Pariser Starensemble erwartet. Aber einer, von dem Tuchel weiß, dass auf ihn Verlass ist. Freilich, dass es so gut läuft wie gegen Atalanta, ist nicht immer der Fall. In der 90. Minute leitet Choupo-Moting das 1:1 durch Marquinhos ein, drei Minuten später trifft er selbst - Halbfinale sicher.
Nach Abpfiff fallen die Teamkollegen über ihn her, herzen ihn, auch der durch seinen Fußbruch gehandicapte Tuchel kommt später an den Matchwinner heran, zieht ihn in eine Umarmung. Eine große Geste kommt von Neymar, der offiziell als "Man of the Match" ausgezeichnet wird. Eine Trophäe, die er direkt an Choupo-Moting weiterreicht. Der Kapitän der Nationalmannschaft von Kamerun, der bis zur U21 im deutschen Trikot spielte, hat eine ganz logische Erklärung für seinen Erfolg: "Als ich eingewechselt wurde, habe ich mir gedacht: Wir können nicht verlieren, wir können nicht so nach Hause fahren." Er bekennt aber auch: "Es war ein verrücktes Spiel."
Eins, das bitter für den Gegner endet, der so gebeutelt vom Coronavirus ist, wegen dem Trainer Gian Piero Gasperini um sein Leben bangt, das die ganze Stadt über Wochen im Griff hat. Eben jenes Atalanta Bergamo lässt zu Beginn vergessen, dass es ein K.-o.-Duell ist, bei dem zuvor ein klarer Favorit ausgemacht wurde. Auch später, als Mbappé (62.) schon eingewechselt ist und PSG deutlich die Spielführung übernimmt, kämpfen die Italiener noch aufopferungsvoll. Doch dann kommt Choupo-Moting zu seinen 16 Minuten Glanz, die alles überstrahlen. Eine sportliche Geschichte, die womöglich sogar das Fax-Gerät zumindest für einige Tage vergessen lässt.
Quelle: ntv.de
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