Die Formel 1 ist ein Sport der Rekorde: Die meisten Führungskilometer, der jüngste Fahrer mit einer schnellsten Rennrunde, die meisten zehnten Plätze - es wird alles Erdenkliche gezählt. Sebastian Vettel findet sich auch in den Rekordlisten (beispielsweise als jüngster Weltmeister). Zu seiner derzeitigen Situation passt, dass er am Sonntag beim Großen Preis von Spanien in Barcelona die Rekordmarke von 3000-WM-Punkten knackte. Allerdings als zweiter Fahrer in der Formel-1-Historie hinter Lewis Hamilton.
Das Duell der beiden besten Piloten der vergangenen zehn Jahre ist keines mehr. Hamilton hat das mit Abstand beste Auto zur Verfügung. Er macht kaum Fehler. Und ist deshalb auf dem besten Weg, zum siebten Mal Formel-1-Weltmeister zu werden. Vettel dagegen sitzt mittlerweile nur noch im fünftbesten Rennwagen. Er leistet sich in erstaunlicher Regelmäßigkeit entscheidende Fahrfehler. Und wird deshalb schon dafür gefeiert, wenn er wie in Barcelona dank einer riskanten Strategie und seines herausragenden Reifenmanagements sechs WM-Punkte einsammelt.
Dabei ist es völlig unerheblich, was Vettel in seinem unterlegenen Ferrari abliefert. Er wird stets genau beobachtet. Das ist die Krux eines vierfachen Weltmeisters, der im vermutlich einzigen Team fährt, ohne dass die Formel 1 nicht vorstellbar ist. Die Scuderia ist seit der Premierensaison 1950 dabei, die Fangemeinde ist groß und besonders leidenschaftlich, kein Rennstall holte mehr WM-Titel.
Leclerc ist die Zukunft von Ferrari
Nun ist es aber bekanntlich so, dass Vettel Ferrari zum Ende der Saison verlassen wird. Was zunächst als normale - und aufgrund der Misserfolge der vergangenen Jahre nachvollziehbare - Entscheidung eingestuft wurde, entwickelt sich zusehends zum Politikum. Vettel dementierte vor dem ersten Saisonrennen in Österreich Ferraris Darstellung einer einvernehmlichen Trennung, seitdem beschränkt sich die öffentliche Kommunikation auf das Nötigste.
In sportlicher Hinsicht steht Vettel in dieser Saison klar im Schatten seines Teamkollegen Charles Leclerc. Der Monegasse, der 2022 im neuen Regelwerk den ersten WM-Titel nach 15-jähriger Pause gewinnen soll, hat dank seiner starken Ergebnisse in Spielberg und Silverstone 29 Punkte mehr geholt als Vettel. Die beiden Rivalen bevorzugen völlig unterschiedliche Grundeinstellungen bei ihren Autos. Vettel mag es nicht, wenn der Ferrari untersteuert; er benötigt ein stabiles Heck, dann fährt er sicher durch alle Kurven. Leclerc tickt anders, er kommt mit einer unruhigeren Hinterachse viel besser zurecht.
In den vergangenen Wochen wurde spekuliert, ob Ferrari Vettel wegen der angespannten Stimmung absichtlich ein schlechteres Auto hinstellen würde. Nein, der SF1000 ist einfach kein Vettel-Rennwagen, er kommt Leclerc entgegen - und das wird natürlich nicht zurückgenommen. Es gab sogar Gerüchte über eine vorzeitige Trennung, doch dem hat Teamchef Mattio Binotto in der "Bild am Sonntag" widersprochen: "Das ist komplett falsch", sagte der in Italien selbst stark in der Kritik stehende Binotto. "Wir brauchen ihn für unseren Erfolg. Um mehr Punkte in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft zu holen, brauchen wir zwei erfolgreiche Fahrer."
Für Ferrari wäre Platz fünf inakzeptabel
Ein Blick in die WM-Wertung bestätigt Binottos Argumentation. Nach Leclercs Ausfall in Barcelona - sein Auto ging wegen eines technischen Defekts mitten im Rennen aus - und Vettels siebtem Platz liegt Ferrari (61 Punkte) in der Konstrukteurswertung hinter Mercedes (221), Red Bull (135), Racing Point (63) und McLaren (62) auf dem fünften Platz. So ein Endergebnis würde für die Scuderia erhebliche finanzielle Einbußen bedeuten (2018 betrug der Unterschied zwischen Platz drei und fünf über zehn Millionen Euro). Bei mindestens noch sieben ausstehenden Rennen kann sicherlich noch viel passieren - auch wenn der Geschwindigkeitsnachteil von Ferrari in dieser Saison wohl nicht mehr behoben wird.
Das Rennen in Barcelona hat gezeigt, wie angespannt das Binnenverhältnis innerhalb des Teams ist. "Ich war etwas angekratzt", sagte Vettel im Anschluss bei Sky. Der 33-Jährige hatte nach dem Reifenwechsel im Boxenfunk gefragt, wie schnell er fahren solle. "Ich sollte pushen", sagte Vettel, ein klares Zeichen für einen weiteren Boxenstopp. "Drei Runden später hieß es, dass wir mit den Reifen durchfahren wollen." Eine Kommunikationspanne, die derzeit typisch für Ferrari ist.
Es bleibt die Frage nach der Zukunft von Vettel. Aston Martin hätte ihn gern als Zugmaschine für die Racing-Point-Nachfolge. Angesichts der nahezu unveränderten Autos für die kommende Saison könnte Vettel dann um Podestplätze fahren. Er hofft allerdings wohl weiterhin auf eine Rückkehr zu Red Bull. Das wurde vonseiten des Teams vor Wochen ausgeschlossen, allerdings wächst bei Red Bull die Unzufriedenheit über Verstappens Teamkollegen Alex Albon, der in Barcelona hinter Vettel auf Platz acht landete. Eine Entscheidung wird daher nicht so schnell erwartet.
spiegel
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