Körperlich und mental sei er bereit für einen Einsatz, erklärte Harry Maguire jüngst im Interview mit der BBC, doch um seine Verfassung geht es nicht im Moment. Englands Nationaltrainer Gareth Southgate hat den Abwehrchef und Kapitän von Manchester United aus dem Aufgebot für die Spiele in der Nations League auf Island (Samstag, 18 Uhr, Stream: Dazn) und in Dänemark (Dienstag, 20.45 Uhr, Stream: Dazn) gestrichen. Grund dafür ist ein Zwischenfall, in den Maguire im Urlaub auf Mykonos verwickelt war.
Was genau sich zugetragen hat auf der griechischen Partyinsel, liegt im Nebulösen. Fest steht, dass Maguire nach einer Auseinandersetzung zwei Nächte im Gefängnis verbringen musste und von einem griechischen Gericht zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr, neun Monaten und zehn Tagen verurteilt wurde. Die Vorwürfe lauten mehrfache Körperverletzung, Gewalt gegen Polizisten und versuchte Bestechung der Beamten. Im Prozess hatte ein Zeuge ausgesagt, dass der Fußballer nach seiner Festnahme von sich gegeben habe: "Wissen Sie, wer ich bin? Ich bin sehr reich, ich kann Ihnen Geld geben."
Der Fall schlägt hohe Wellen
Maguire bestreitet die Anschuldigungen. Seine Seite legte Berufung ein, der Prozess wird neu aufgerollt. Bis dahin ist der 27 Jahre alte Abwehrspieler offiziell unschuldig.
In England wird stets besonderer Wert auf das Betragen der Fußballer neben dem Platz gelegt. Und das obwohl - oder gerade weil - es eine lange Tradition hat, dass sich die Kicker Ihrer Majestät in der Öffentlichkeit danebenbenehmen, sehr zum Vergnügen der Boulevardpresse.
Unter Trainer Southgate soll die Zeit der Eskapaden vorbei sei. Er versucht, eine moderne, sympathische und disziplinierte England-Auswahl zu bauen. Im November hatte er Raheem Sterling nach einem Handgemenge mit seinem Nationalmannschaftskollegen Joe Gomez für ein Spiel suspendiert. Das wirkte konsequent. Nur geht es im Fall Maguire nicht um ein Handgemenge, die Vorwürfe sind um einiges schwerwiegender.
Eigentlich genießt Maguire das Image eines zurückhaltenden, hart arbeitenden Profis. Und das, obwohl er der teuerste englische Fußballer überhaupt ist seit seinem Wechsel von Leicester City zu Manchester United im vergangenen Jahr für kolportierte 87 Millionen Euro.
Beim Rekordmeister ist er in seiner ersten Saison zum Kapitän aufgestiegen. Auch Southgate schätzt seine Führungsqualitäten. Maguire gilt als jemand, der Klartext spricht und sich seiner Verantwortung bewusst ist. In der Coronakrise war er mit Liverpool-Kapitän Jordan Henderson angeblich treibende Kraft hinter einer Kampagne von Premier-League-Spielern, die Geld für den englischen Gesundheitsdienst NHS sammelt.
Passend zu seiner wenig prätentiösen Erscheinung begann auch Maguires Karriere unspektakulär. Er stammt aus der früheren Arbeiterstadt Sheffield und wurde bei Sheffield United zum Profi. Allerdings spielte er dort und bei seinen Folgestationen Wigan Athletic und Hull City überwiegend in der zweiten und dritten Liga. Zum Star stieg er erst bei der WM 2018 auf, als er England zum überraschenden Halbfinal-Einzug verhalf, unter anderem mit einem Tor im Viertelfinale gegen Schweden.
Maguire trägt den Spitznamen "Slabhead", was in etwa Quadratschädel bedeutet, und ist einer dieser Profis, die sich nicht von der Außenwelt abschotten wollen. Die EM 2016 zum Beispiel besuchte er noch mit Freunden und seinen Brüdern als Fan.
Fußballprofis wird oft vorgehalten, in einer Blase zu leben, abgeschottet von der Normalbevölkerung und ohne Bodenhaftung. "So will ich nicht leben. Ich war immer sehr offen", sagte Maguire gerade im BBC-Interview. Möglicherweise werde er künftig über Bodyguards nachdenken. Was Bodyguards mit dem Vorwurf, Gewalt gegen Polizisten verübt oder Beamtenbestechung versucht zu haben, zu tun haben, das bleibt offen.
Die weiteren Folgen des Zwischenfalls in Griechenland werden sich noch zeigen, doch dass Maguires Karriere einen "freien Fall" erlebt, wie es der "Guardian" mutmaßte, ist unwahrscheinlich. Vielleicht liegt es auch an seinem Image als nahbarer, bodenständiger Typ, aber der britische Boulevard ging verhältnismäßig gnädig mit ihm um. Das war in Bezug auf englische Nationalspieler längst nicht immer so gewesen. Doch Maguire genießt offenbar andere Privilegien.
Zudem können es sich Verein und Nationalmannschaft wohl schlicht nicht erlauben, ihn dauerhaft auszubooten. Er ist zu wichtig. Bei Manchester United war es unter Sir Alex Ferguson Tradition, Probleme intern zu klären. Der aktuelle Trainer Ole Gunnar Solskjaer, ein Ferguson-Schüler, plant in Maguires Fall offenbar das gleiche Vorgehen. Der Verein stellte sich schützend vor seinen Kapitän.
Auch seine Auszeit in Sachen Nationalmannschaft ist nur vorübergehend. Nationaltrainer Southgate plant, Maguire schon bald wieder für seinen Kader zu nominieren. "Wir werden unbedingt zusehen, dass wir ihn im Oktober wieder dabei haben", sagte er am Freitag der "BBC".
spiegel
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