Der Druck auf die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY ist riesig. Anleger schließen sich für mögliche Milliarden-Schadensersatzklagen zusammen. Namhafte Konzerne wollen sie für Prüfaufträge nicht mehr berücksichtigen. Banken und Analysten zeigen mit Finger auf EY und geben dem Unternehmen die Hauptschuld daran, dass der offenkundige Bilanzbetrug bei Wirecard so lange unentdeckt blieb. Lange äußerte EY sich nicht, doch jetzt geht der Chef der gemessen am Umsatz drittgrößten Prüfgesellschaft der Welt in die Offensive.
Zwar drückt EY-Chef Carmine Di Sibio in einem Brief an die Kunden sein Bedauern aus, dass der Betrug nicht früher aufgedeckt wurde. Jede Mitverantwortung oder gar den Vorwurf der Mitwirkung von EY-Prüfern am Betrug weise er jedoch "entschieden zurück". Dieser Betrug seit durch ein "hochkomplexes kriminelles Netzwerk" entworfen worden, um alle zu täuschen - Investoren, Banken, Aufsichtsbehörden, Anwälte, Experten und Prüfgesellschaften. Di Sibio behauptet gar, dass "wir den Betrug erfolgreich aufgedeckt haben".
Damit stellt der EY-Chef die Geschichte auf den Kopf. Denn seine Prüfer, denen er "hochprofessionelle" Arbeit bescheinigt, hatten die Wirecard-Bilanz jahrelang abgesegnet. Erst eine Sonderprüfung durch die Konkurrenz von KPMG, die sich mit den vorgelegten, letztendlich gefälschten Bankbelegen zu den asiatischen Barreserven nicht zufriedengab, holte den Betrug ans Licht.
Wirecard musste im Juni Insolvenz anmelden, nachdem bei einer Sonderprüfung durch KPMG Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro entdeckt wurden. Die Aktien stürzten ab, private Investoren und Profianleger verloren Milliarden. Der Zahlungsabwickler aus dem Münchner Vorort Aschheim war zwei Jahre lang im deutschen Leitindex Dax gelistet.
Auf Testat "muss man sich einfach verlassen können"
Chancen, mit seiner Version durchzudringen und damit den Imageschaden für EY zu begrenzen, hat Di Sibio kaum. "Auf eine testierte Bilanz muss man sich einfach verlassen können", sagte der Präsident des Bankenverbandes BdB, Hans-Walter Peters, dem "Handelsblatt". "Das ist die Basis für alles Weitere. Darauf haben viele Investoren in Gesprächen mit uns über Wirecard immer wieder verwiesen."
Goldman-Sachs-Deutschlandchef Wolfgang Fink sieht bei Analysten, die Anlegern Wirecard-Aktien zum Kauf empfohlen haben, keine Schuld: "Natürlich verlassen sich Investoren und Marktteilnehmer auf das, was veröffentlicht wird, und dazu gibt es Wirtschaftsprüfer und Testate. Wenn die Information des Unternehmens grundsätzlich falsch ist und man hat aber Testate und Bilanzen, die die Richtigkeit bestätigen, wird es bei jedem Unternehmen schwierig sein, festzustellen, ob Betrug vorliegt oder etwas falsch lief."
Nach Ansicht von BdB-Präsident Peters braucht es strengere Regeln für die Wirtschaftsprüfer. "Es darf kein Stein auf dem anderen bleiben. Wenn die Prüfer - wie im Fall Wirecard - keinen Zugriff auf alle Daten und Dokumente bekommen, dürfen sie eine Bilanz auch nicht testieren."
Der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz erklärte, Banken müssten sich aber auch an die eigene Nase fassen. "Ein wenig mehr Selbstkritik in Sachen Wirecard würde auch der Bankenbranche gut tun." Es habe Banken gegeben, die trotz der Prüfberichte eine eigene kritische Bewertung von Wirecard vorgenommen hätten. "Und dann gab es auf der anderen Seite Analysten bei Banken, die bis zuletzt die Wirecard-Aktie bis in den Himmel gelobt haben."
Quelle: ntv.de, mbo/dpa/rts
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