Wenn sich der FC Bayern München in Oberammergau eine Skulptur von sich selbst in Perfektion schnitzen lassen würde, er würde wohl trotz der vielen überragenden Ergebnisse und Erfolge in der ruhmreichen Vergangenheit genau dieses Team des Über-Jahres 2020 als Vorlage wählen. Nie hat es der "Mia san mia"-Verein beeindruckender geschafft, den eigenen großen Ansprüchen gerechter zu werden als im Moment. Der FC Bayern München spielt ein Fabeljahr, das, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, als das fantastischste aller Zeiten - und das soll, wie wir alle wissen, was heißen - in die Geschichte des deutschen Fußballs und ja, auch des Weltfußballs, eingehen wird.
Ein einziges Mal spielten die Bayern in diesem Jahr nur unentschieden. Es war Anfang Februar gegen RB Leipzig. Seitdem hat das Team jedes einzelne Spiel gewonnen - egal, wie der Gegner auch hieß. Das 8:0 am Freitagabend gegen den FC Schalke 04 haben viele Zuschauer von Anfang an als "Testspiel" wahrgenommen. Champions League gegen Kreisliga. Profis gegen Freizeitkicker. Fast schon verheerend für die gesamte Liga war der gezeigte Klassenunterschied. Der Satz - "der FC Bayern kann sich nur selber schlagen" - geistert schon länger durch die Gazetten und durch die Fußballanhängerschaft. Doch mittlerweile ist klar: Er stimmt zu 100 Prozent.
Das Gefühl, dass da eine Truppe ist, die so felsenfest von sich selbst und den eigenen Fähigkeiten überzeugt ist, hat es in dieser Form in der Ligageschichte noch nie gegeben - und es haben, weiß Gott, viele wunderbare Teams in der langen Historie der Bundesliga groß aufgespielt. Doch zumeist haben sich selbst von kleineren Störfeuern irgendwann aus der Bahn werfen lassen. Das ist dieses Mal auf frappierende Art und Weise anders.
Die Bayern des Jahres 2020 kann scheinbar nichts von ihrem beeindruckenden Weg abbringen. Kleinere und größere Skandale um Manuel Neuer oder Robert Lewandowski und öffentlich ausgetragene Probleme bei Vertragsverlängerungen wie bei David Alaba werden einfach weggelächelt. Am darauffolgenden Spieltag steht dann wieder eine Mannschaft auf dem Platz, die sich einfach nicht aus dem Konzept bringen lässt. Vollgas-Fußball vom Feinsten und wechselnde Protagonisten an vorderster Front, die mit breiter Brust vorangehen. Wenn dieses Team und sein Trainerstab genau wüssten, woher der Erfolg und diese Selbstverständlichkeit des Siegens kommen, dann würde sie dieses Geheimnis in Tüten abfüllen lassen und teuer hinaus in die Welt verkaufen.
Was ist denn hier genau passiert?
Denn eine präzise Erklärung dafür, warum eine Mannschaft, die noch im Herbst des vergangenen Jahres in fast identischer Besetzung wie heute auflief und häufig katastrophal an sich selbst scheiterte, sich innerhalb so kurzer Zeit so phänomenal entwickeln kann, gibt es nicht. Natürlich wird es vor allem auch am Trainertausch von Niko Kovac hin zu Hansi Flick gelegen haben - aber als einziger Grund für diesen unglaublichen Turnaround kann und darf dieser Wechsel nicht gelten. Es sind eine Reihe von Dingen, die momentan auf eine so perfekte Art und Weise ineinander greifen, dass wohl auch im Innersten des Vereins niemand weiß, was genau zu dieser spektakulären Situation geführt hat. Vielleicht ist es am Ende auch nur ehrlich, wenn man sachlich-nüchtern feststellt: So ist Fußball eben.
Denn, wie es präzise andersherum laufen kann, erfährt gerade der Gegner der Bayern vom Freitagabend, der FC Schalke 04. Dort will seit Monaten nichts, aber auch rein gar nichts mehr gelingen. Dabei hatte die vergangene Saison unter Trainer David Wagner doch so vielversprechend begonnen. Nach dem 17. Spieltag standen die Königsblauen mit 30 Zählern punktgleich mit dem BVB auf Rang fünf der Tabelle. In den weiteren siebzehn Partien sollten im Jahr 2020 dann allerdings nur noch neun Punkte dazu kommen. Ein sportliches Desaster ungeahnten Ausmaßes - und genau wie beim FC Bayern München stellt man sich in Gelsenkirchen die alles entscheidende Frage: Was ist denn hier genau passiert?
Obwohl die Schalker im Augenblick selbst jeden Cent für sich benötigen, würden sie wohl eine größere Summe demjenigen in die Hand drücken, der zielgenau erklären könnte, wo der Schuh drückt und an welcher Stelle der Verein ansetzen muss, damit das Ruder schnellstmöglich herumgerissen werden kann. Aber diesen Menschen wird es - trotz vieler einzelner Dinge, die man natürlich aus dem Stegreif anführen könnte - nicht geben. Die Zeit allein wird die Probleme lösen.
Und auch beim FC Bayern werden sie tief im Inneren wissen, dass es eines (fernen) Tages auch mal wieder etwas anders sein wird. Wie genau sich das anfühlt, das werden sie im Moment wohl fast schon vergessen haben. Aber wenn es dann doch irgendwann einmal so weit sein sollte, werden sie sich an dieses Fabeljahr 2020 zurückerinnern und wissen: Es war der perfekteste FC Bayern, den es je gab.
Quelle: ntv.de
Tags: