“Wir waren Ausländer der ersten Stunde“
Heute ist der Wahl-Berliner bekannt als Wiederentdecker der historischen Kunst des Panoramas; er schuf vielbeachtete Darstellungen der Leipziger Völkerschlacht, des Feuersturms über Dresden, aber auch des antiken Pergamons. Und der Berliner Mauer, von Westen aus gesehen. Dabei verbrachte Asisi seine Kindheit, Schulzeit und das erste Studium in der SED-Diktatur, in Halle, Leipzig und Dresden.
Anfang der 50er-Jahre war Persien eine Diktatur unter dem noch jungen Schah Mohammad Reza Pahlavi. Gegen sein Regime wandte sich der Offizier Nemat Olah Asisi Namini, der auch Mitglied der verbotenen kommunistischen Tudeh-Partei war. Er wurde enttarnt und zusammen mit 19 weiteren Männern 1955 hingerichtet.
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Für die Hinterbliebenen war eine Zukunft unter dem autokratischen Herrscher undenkbar. "Die reaktionären Hofkreise und die Regierung versuchten, auf sie Druck auszuüben, um sie vom richtigen Weg abzubringen", zitiert der Historiker Patrice G. Poutrus ein Schreiben des Zentralkomitees der Tudeh-Partei an die SED. "Das Zentralkomitee der Volkspartei" habe deshalb beschlossen, "einen Teil dieser Familien nach den Ländern der Volksdemokratie zu bringen".
Noch im selben Jahr ergriff Asisis Witwe Mah Monir Saremi mit ihren vier Kindern die Flucht nach Europa, Ziel: DDR. Sie folgte dem Angebot des sozialistischen Verbündeten. Auf dem Weg kam in Wien Yadegar auf die Welt, der jüngste Sohn von Asisi Namini.
Über Polen reiste die nun sechsköpfige Familie nach Ostdeutschland weiter. Dort wurde schnell deutlich: "Die DDR kannte sich damit nicht aus. Wir waren Ausländer der ersten Stunde", erzählt Yadegar Asisi 60 Jahre später in seinem Kreuzberger Atelier: "Die haben uns erst einmal in eine Villa gesteckt und wir hatten eine eigene Köchin."
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Für Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge war die Volkssolidarität in Halle zuständig, für die Erziehung das Ministerium für Volksbildung. So hatte es die Abteilung Außenpolitik und internationale Beziehungen des SED-Zentralkomitees festgelegt. Um ihnen einen schnellen Berufseinstieg zu ermöglichen, bot die DDR Deutschkurse an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät der Karl-Marx-Universität in Leipzig an.
Natürlich nicht, ohne an ihren eigenen Nutzen zu denken. Aufgrund der starken Fluchtbewegung in den Westen bis zum Mauerbau 1961 herrschte in der DDR akuter Arbeitskräftemangel. Außer politischen Emigranten wurden auch ausländische Vertragsarbeitnehmer in DDR-Betrieben beschäftigt, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.
In die DDR kamen verhältnismäßig weitaus weniger Migranten als in die Bundesrepublik. 1989 lebten in Ostdeutschland nur 191.200 ausländische Staatsbürger, davon 93.500 Vertragsarbeiter. In der damaligen Bundesrepublik waren es 4,64 Millionen, also 24-mal so viele bei knapp der vierfachen Bevölkerung.
Obwohl er also einer kleinen Minderheit angehörte, hat Yadegar Asisi in der DDR nie Diskriminierung oder Rassismus erlebt: "Bis ins Teenageralter war ich ein DDR-Kind", sagt er. Nicht anders als in der DDR geborene Mitschüler engagierte sich Asisi bei den Jungen Pionieren und war zeitweilig in der Freien Deutschen Jugend aktiv.
"Als denkender Mensch habe ich dann begriffen, früher instrumentalisiert worden zu sein", erzählt Asisi. "Das hat mich dann gekränkt." Schließlich distanzierte er sich gänzlich von den SED-Organisationen.
Ausgegrenzt wurde er zwar nicht – dennoch schwang vielleicht ein wenig Neid auf die vermeintliche Freiheit der "politischen Emigranten" mit. Oder war es Sehnsucht? "In der Diskothek haben die Mädchen erst mal nach den Ausländern gesehen – da stand immer die Frage im Raum, ob man mit denen vielleicht in den Westen kann?"
Ein Trugschluss. Denn auch mit einem roten Ausweis für Ausländer mit ständigem Wohnsitz in der DDR ließ sich die Grenze gen Westen nicht ohne Weiteres passieren. Im Gegenteil mussten auch "politische Emigranten" ein Ausreisevisum beantragen. Außerdem blieb den persischen Flüchtlingen die Rückkehr in ihr Heimatland verwehrt – von Privilegien keine Spur mehr.
Nach seinem Architekturstudium in Dresden fordert die Regierung Yadegar Asisi 1978 zur Ausreise auf. Das kam nicht überraschend: Nach Ausbildungsende die DDR zu verlassen, war fester Bestandteil des Vertrages über seinen Aufenthalt. Die DDR hatte nach Meinung des Zentralkomitees ihre Schuldigkeit getan.
Asisi ging nach West-Berlin: "Hätte ich vorgehabt, in der DDR zu bleiben, hätte ich wohl kaum Architektur studiert." Dominierten doch ab den 70er-Jahren die industriell vorgefertigten Plattenbauten die Bauwirtschaft in Ostdeutschland. So verstand er die Ausweisung als Chance.
Außerdem veränderte die Revolution im Iran 1978 die politischen Verhältnisse grundlegend. Nach dem Sturz des Schahs übernahm der fundamentalistische Ajatollah Ruhollah Chomeini die Macht in Teheran. Für ein Jahr lebte Yadegar Asisi im Heimatland seiner Eltern, dann kehrte er nach West-Berlin zurück.
"Ich habe in Ostdeutschland eine schöne Kindheit verbracht – ganz unabhängig von der Gesellschaftsform", resümiert Asisi: "Die Menschen und die DDR sind ein Teil meiner Entwicklung, den ich nicht missen will."
Der Historiker Patrice G. Poutrus freilich zeichnet ein anderes Bild über die Situation der Flüchtlinge in der DDR, ein viel weniger harmonisches. So beschrieben SED-Funktionäre die Migranten aus Persien als angeblich "privilegiert", schmähten sie allerdings zugleich als "mangelhaft diszipliniert" und als Arbeitsverweigerer. Wenn allerdings Iraner in paramilitärischen Vereinigungen der DDR wie den "Kampfgruppen der Arbeiterklasse" oder der Kasernierten Volkspolizei mitwirken wollten, blieb ihnen das verwehrt.
Viele Migranten wurden wegen ihrer Abstammung vom Rest der DDR-Bevölkerung ausgegrenzt. Dass Yadegar Asisi inmitten der Gesellschaft ohne wesentliche Benachteiligungen aufwachsen konnte, verdankte er vor allem dem für ihn selbstverständlichen Lernen der deutschen Sprache. Dem "A und O der Integration", betont er.
Quelle : welt.de