Charkiw: Vor dem Fest ist nach dem Fest
Der Tatort liegt am Nürnberger Hauptmarkt, als Tatzeit lassen sich zweifelsfrei die vier Adventswochen vor dem 24.Dezember eingrenzen. Seit dem 17. Jahrhundert bezieht hier das Christkind temporär seine „Stadt aus Tuch und Holz“, deshalb heißt dieser weltgrößte und wohl auch bekannteste Weihnachtsmarkt, ganz profan Christkindlesmarkt. Das alleine wäre ja noch kein Eklat, aber kaum mischen Auswärtige mit, gibt es bereits die ersten Scherereien.
Christkind sollte perfide unterwandert werden
Weltoffen wie Nürnberg schon immer war, unterhält man hier eine ganze Reihe an Städtepartnerschaften. Was liegt da näher, als einen Teilbereich des mit Lebkuchen- und Glühweinduft geschwängerten Terrains, als „Markt der Partnerstädte“ zu etablieren? Das harmonische Miteinander ging auch lange Zeit gut, venezianische Salami und schottischer Whisky beißen sich ja nicht unbedingt mit Bratwürsten und Bierschnaps. Jetzt ist es aber so, dass auch das ukrainische Charkiw eine Partnerstadt von Nürnberg ist. Also haben die da auch einen Weihnachtsstand.
Das wäre vorerst noch gar nicht das Problem gewesen. Das Problem lag sozusagen auf dem Verkaufstresen. Die Vorgabe für die Stände sind landestypische Produkte, am Besten noch aus der Region. Autsch, und hier wird’s eng für Charkiw. Was gibt es dort an regionaltypischen Besonderheiten, die sich gediegen verschenken lassen? Qietschbunte Lackmalerei auf Döschen und Tellerchen und eine handvoll Gesticktes. Auch hübsch gestaltete Ostereier, auch wenn wir jetzt eine geniale Brücke geschlagen haben, sind zwar landestypisch, aber dennoch nicht zwingend des Pudels Kern an Heiligabend.
Charkiw spricht Machtwort
Was weiß schon der Fremde, dachte man sich, und schwupps waren die Matrjoschkas auf dem Tisch. Die verkaufen sich gut, schauen typisch aus und alles ist prima. So dachte man sich das jedenfalls, bis, ja bis eben eine Delegation Ukrainer aus Nürnberg recht unfestlich auf die Barrikaden ging. Geradewegs empört haben sie sich wegen dem Verkauf der Schachtelpuppen. Denn, die kämen gar nicht aus Charkiw, nein, noch nicht einmal aus der Ukraine. Vielmehr seien es Erzeugnisse eines „Aggressor Staates“! Und auch der ganze Rest ließe sich nicht eindeutig Charkiw zuordnen und stammt daher, auweia ausgerechnet aus Russland.
Ja mei, was weiß ein Fremder. In der Heimat aber wissen sie nun was zu tun ist. Deshalb gab es zuallererst eine Pressekonferenz. Sollen doch alle Bescheid wissen, um diese teuflischen Aggressor-Matrjoschkas. Anschließend steckte man die Köpfe zusammen, bis sie rauchten. Der dabei gefasste Beschluss klingt eigentlich recht vernünftig. Künftig solle es eine öffentliche Ausschreibung geben, um sicherzustellen, dass nur noch hochwertige, typisch ukrainische Dinge aus Charkiw in Nürnberg angeboten werden und so Charkiw würdig vertreten würde.
Wir als Konsumenten können diesen Entschluss nur begrüßen, denn jetzt ist es amtlich. Quasi in Stein gemeißelt, dass wir ab sofort vor perfiden Aggressor-Geschenkartikeln beschützt werden. Überhaupt, was können wir den Charkiwern dankbar sein, Stellen Sie sich nur vor, wir würden geradewegs unter dem Christbaum vom Aggressor-Russen infiltriert. Heiliges Lametta, der Untergang des Abendlandes konnte gerade noch abgewendet werden, Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.Dafür können die Ukrainer jetzt ohne Bedenken ihre folkloristisch bemalten Eier auf dem Ostermarkt feilbieten, denn: Vor dem Fest ist nach dem Fest. Und ganz unter uns, dem Osterhasen ist Weihnachten eigentlich herzlich wurscht…