Dieser Grundsatz gilt nicht mehr. Die meisten Bürger trauen der EU nicht mehr zu, dass diese schon irgendwie in ihrem Interesse handelt. Die EU kann nicht mehr behaupten, erfolgreich zu sein im Umgang mit Migrationsbewegungen, Finanzblasen und Terrorplänen. Europa sucht verzweifelt nach neuen Wegen, die eigene Politik zu legitimieren und einen Draht zu seinen Bürgern zu finden.
Das erklärt, dass nationale Referenden über europapolitische Themen auch jenseits von Dänemark und Irland, wo sie in bestimmten Fällen vom Gesetz vorgeschrieben sind, immer beliebter werden.
Vor einigen Monaten wurden die griechischen Bürger per Referendum darum gebeten, einen Kompromiss zu unterstützen, den die Regierung mit ihren europäischen Schuldnern ausgehandelt hatte. Im April werden die Niederländer gefragt werden, ob sie dem Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine zustimmen. Im Juni steht dann das Referendum in Großbritannien darüber an, ob die Briten in der EU bleiben wollen oder nicht. Auch in Ungarn wird es ein Referendum geben, und zwar darüber, ob die Bürger verpflichtende EU-Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen akzeptieren.
In all diesen Fällen wird nur ein kleiner Teil der europäischen Wählerschaft über Dinge abstimmen können, die Europa als Ganzes betreffen. In all diesen Fällen werden die Bürger mit einer komplizierten, europäischen Frage konfrontiert, die auf eine vereinfachte Wahl zwischen Ja und Nein reduziert ist. In all diesen Fällen wird die siegreiche Mehrheit nicht nur über die Minderheit in diesem einem Referendum triumphieren, die siegreiche und oft knappe Mehrheit innerhalb eines einzelnen Landes wird auch eine Politik beschädigen können, die in vielen anderen europäischen Ländern überwältigende Unterstützung genießt.
Eine solche Art der Entscheidungsfindung ist nicht intelligent, nicht fair und nicht effektiv. Sie kann auch kaum als demokratisch bezeichnet werden, trotz all der Symbolik, die im Akt des Wählens liegt, trotz der Ermächtigung der Bevölkerung. Ein bekannter italienischer Wissenschaftler, Giovanni Sartori, nannte das Referendum einst die "Tyrannei der Mehrheit", basierend auf "einem Nullsummen-Mechanismus der Entscheidungsfindung: Die siegreiche Mehrheit bekommt alles, die Minderheit verliert alles." Er schrieb das über Referenden, die nationale Angelegenheiten betreffen. Ein nationales Referendum über europäische Angelegenheiten können wir eine "Tyrannei der Minderheit" nennen, die provinzielle Demagogen belohnt.
All die genannten Referenden wurden von kleinen Gruppen nationaler Politiker orchestriert, um eine öffentliche Abstimmung für ihre parteipolitischen Ziele zu instrumentalisieren. Sie werden keines der europäischen Probleme lösen. Sie werden das Vertrauen der Menschen in Europa nicht stärken. Sie werden Meinungsverschiedenhepiten zwischen einzelnen Ländern und ihren Bürgern nicht überbrücken. Es liegt in der Natur eines Referendums, Konflikte zu maximieren und so die Suche nach konsensualen, überparteilichen, grenzüberschreitenden Lösungen zu erschweren. Die vereinfachte Schwarz-Weiß-Zweiteilung, die ein Referendum erzwingt, bevorzugt populistische Politiker, die einfache Lösungen für komplizierte Probleme anbieten.
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