Warschau habe bei den „koordinierten Informationstätigkeiten“, auch aus Deutschland, „mit verschiedenen Regierungsstellen zu tun, die vereinbarte Aktionen mithilfe von Informationstools durchführen“, gab Żaryn gegenüber dem Nachrichtenportal „CyberDefense24“ bekannt. Hiermit meine er geschichtspolitische Informationskampagnen, wo Warschau „konsequente und systematische Bemühungen“ sehe, dass nicht die Deutschen, sondern einige „verstaatlichte Nazis den Krieg begonnen, Polen angegriffen, die Polen getötet und den Holocaust begangen haben“.
Leider würden so auch zunehmend die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs interpretiert, bemängelte Żaryn dabei. Eine Analyse deutscher Nachrichten, so der Sprecher, zeige eine systematische Herangehensweise an die Geschichtserzählung, mit der man der moderne deutsche Staat die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs revidieren wolle. Diese Informationsaktivitäten Deutschlands würden sich nachteilig auf die Interessen der Republik Polen auswirken, sagte der Sprecher, ohne dabei konkrete Beispiele anzuführen.
Dass Russlands Polens Lieblingsfeindbild ist, liegt nahe, aber Deutschland..?
„Wir sollten Stanisław Żaryn verstehen: Wenn sein Land, Polen, mit seiner national-konservativen - wohl richtiger: nationalistischen - PiS–Regierung unter Druck steht, dann ist es gut, nach äußeren Feinden Ausschau zu halten“, kommentiert der Historiker und Politikwissenschaftler Dr. Stefan Bollinger auf Nachfrage von Sputnik.
Es gibt laut Bollinger genug Themen, die Polens PiS-Führung unsicher mache – Die Dauerproteste der Frauen gegen das restriktive Abtreibungsrecht, der Frust der LGBT-Gemeinde, die Kritik der EU an polnischer Rechtsstaatlichkeit etwa wegen der „Justizreform“, die die Rechtsprechung zum verlängerten Arm der PiS-Regierung degradiert und nicht nur der Brüsseler Unwille wegen der fehlenden Solidarität Polens in der Flüchtlingsfrage. Daraus ergebe sich dann etwa die Blockade Polens gegen einen EU-Haushalt.
Dass Russlands Polens Lieblingsfeindbild sei, liege nahe, kommentiert der Historiker weiter - schließlich hätten die Rote Armee und polnische Kommunisten „das schöne, reaktionäre, bürgerliche und vom kleinen Landadel geprägte, gar nicht so demokratische, sondern autoritäre Zwischenkriegspolen“ beerdigt.
„Moskau wirkt hier fast schlimmer als die deutschen Faschisten. Und die eigenen polnischen Kommunisten, die vierzig Jahre lang mit Erfolg und Misserfolg ein modernes Polen aufzubauen suchten, sind als Jahre der ‚Kommune’ längst aus den polnischen offiziellen Geschichtsbüchern gestrichen oder als Verräter gebrandmarkt“, erklärt Bollinger.
Warum sind aber auch die Deutschen auf einmal wieder eine Bedrohung? Die von Żaryn vorgebrachte Kritik an einer neuen deutschen Geschichtspolitik gegenüber Polen sei zwiespältig, sagt Bollinger dazu. Ende Oktober diskutierte der Deutsche Bundestag über einen Berliner Ort des Erinnerns an die besondere deutsch-polnische Geschichte. Der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, in Polen geboren, bemängelte, dass Polen „zum Friedhof der europäischen Zivilisation“ wurde. Einig zeigten sich die meisten, dass gemeinsames Erinnern bzw. Lernen aus der Geschichte notwendig sei.
Jedoch forderte nur die Linksfraktion ein „binationales deutsch-polnisches Museum“ ein. Dafür schwang sich der AfD-Sprecher Marc Jongen zum vehementen Apologeten Warschaus auf – der dortigen patriotische Regierung sollte Berlin mit weniger Arroganz entgegentreten und diese nicht als rechtspopulistisch diffamieren, hieß es von ihm.
Auf der offiziellen Ebene, wie auch Außenminister Heiko Maas betont, heißt es jedoch: die Schuld Nazideutschlands am Überfall und der mörderischen Politik in Polen ist unstrittig. Die Forderungen der PiS-Regierung nach zusätzlichen Reparationen lehnt Berlin jedoch ab.
„Der Zwist wird angefeuert“
Jedoch muss der Experte gestehen, dass Żaryns kritische Beobachtung einer gewissen schleichenden, aber erfolgreichen Neubewertung der Kriegsgeschichte nicht völlig verkehrt sei. Allerdings verschweige der polnische Geheimdienstler dabei, dass sein Land heute an diesem Prozess der Umschreibung, vor allem gegen die Sowjetunion mittels der Konstruktion eines vermeintlich gemeinsamen Angriffs auf die Republik Polen im September 1939, nicht unschuldig sei. Der Nichtangriffsvertrag von Nazideutschland und Sowjetunion mit seinem Geheimprotokoll werde vorgeschoben, um die Appeasement-Politik der Westmächte und den Verrat an der Tschechoslowakei 1938 vergessen zu machen. An letzterem nahm auch Polen militärisch teil.
„Wie zu sehen ist, wenn historische Argumente und Vorwürfe in den politische Kampf eingeführt werden, dann geht es meist nicht um die historische Wahrheit, sondern um politische Konstellationen heute – gegen vermeintliche äußere Bedrohungen, gegen innenpolitische Opponenten. Die Wahrheit bleibt meist auf der Strecke und Zwist wird fortgeschrieben und angefeuert“, sagt der Historiker zum Abschluss.
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