Johnsons riskanter Brüssel-Trip

  09 Dezember 2020    Gelesen: 339
Johnsons riskanter Brüssel-Trip

Großbritanniens Premier Johnson will höchstpersönlich den Brexit-Knoten zerschlagen. Sein Spielraum bei den Verhandlungen über einen Handelsvertrag mit der EU ist jedoch minimal.

Es war im Oktober vergangenen Jahres: Die Verhandlungen zwischen Brüssel und London über ein Austrittsabkommen waren hoffnungslos verfahren, beide Seiten spekulierten offen über eine schmutzige Scheidung – als Boris Johnson kurz entschlossen zu einem Hochzeitshotel südlich von Liverpool aufbrach.

Dort traf der frisch gekürte britische Premierminister den irischen Regierungschef Leo Varadkar. Stundenlang rangen beide Männer miteinander, und am Ende hatten sie den Brexit-Prozess tatsächlich gerettet. Fürs Erste.

Zwar hatte Johnson um der Einigung willen etwas getan, was nach den Worten seiner Vorgängerin Theresa May »kein britischer Premierminister« jemals tun würde: Er hatte einer faktischen Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs zugestimmt. Aber in diesem aufgewühlten Herbst fiel das kaum ins Gewicht. Johnson hatte, wie versprochen, die EU zu einer Änderung des bereits geschriebenen Vertrags bewegt. Das zählte für seine Brexit-beseelte Partei. Sonst nichts. Wieder einmal lagen die Tories ihrem Anführer zu Füßen.Die Bühne ist bereitet für ein letztes Gefecht

In den kommenden Tagen nun wird Boris Johnson erneut verreisen. Diesmal nach Brüssel, wo EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihn empfangen wird. Wieder könnte die Lage heikler nicht sein. In drei Wochen wird der Brexit endgültig vollzogen sein, die Verhandlungen über einen Handelsvertrag, der die schlimmsten Verwerfungen diesseits wie jenseits des Ärmelkanals verhindern könnte, stecken in einer Sackgasse. Firmen sind im Panikmodus, Politiker ratlos. Das Treffen auf höchster Ebene gilt als wirklich allerletzte Chance, den Brexit-GAU abzuwenden.

Wieder einmal ist die Bühne für ein letztes Gefecht bereitet. Genauso wie Johnson das wollte.

Wird er nun noch einmal das Unmögliche tun? Wird man ihn daheim in London dann wieder feiern? Und wenn ja: wofür? Dafür, dass er dem Klub der 27 einige Last-minute-Zugeständnisse abgerungen und so eine gütliche Trennung ermöglicht hat? Oder dafür, dass er viereinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum gruß- und vertragslos die Tür hinter sich zuschlägt? Niemand weiß es, vielleicht nicht mal Johnson selbst.

Klar ist, dass der 56-Jährige dringend einen politischen Erfolg braucht – oder wenigstens etwas, das sich als solcher verkaufen lässt. Exakt ein Jahr nach seinem fulminanten Wahlsieg steht der Regierungschef unter gewaltigem Druck. Das desaströse Management der Corona-Pandemie und mehrere peinliche Affären haben seinem Ansehen erheblich geschadet. Nicht nur die Briten wenden sich laut Umfragen von ihm ab, sondern zunehmend auch seine eigene Partei. Dort heißt es, den Brexit dürfe er nicht auch noch in den Sand setzen. Mehrere Tories drohen bereits offen mit einem Misstrauensvotum.

spiegel


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