Klamauk im Landtagswahlkampf. Aber die Botschaft ist klar: Kretschmann braucht dieser Tage viel Mut und Hoffnung.
Wird seine Partei am 13. März stärkste Kraft, dann geht der 67-Jährige nicht nur als der Grüne in die Geschichtsbücher ein, der erstmals die SPD zum Juniorpartner degradiert und eine Landesregierung geführt hat. Er wird auch der Mann sein, der erstmals eine grün-schwarze Koalition in der Bundesrepublik zustande gebracht hat.
Ein Blick auf die Umfragewerte lässt erahnen, dass Kretschmann dieser historischer Schritt gelingen könnte. Einige Institute sehen die Grünen gleichauf mit der Union, andere erwarten gar einen Vorsprung von bis zu fünf Prozentpunkten. Doch auf die fragilen Zahlenspiele kann sich der Grüne nicht verlassen. Und bekommt die Union am Ende nur einen Prozentpunkt mehr als die Grünen, verliert Kretschmann politisch wohl alles.
Eine Fortsetzung seiner Koalition mit der SPD ist angesichts der schwächelnden Genossen nur eine Hoffnung. Gegen eine Ampel wiederum sperrt sich die wiedererstarkende FDP. Und als einfacher Minister unter einem schwarzen Ministerpräsidenten will Kretschmann schlicht nicht weitermachen. Im vergangenen Jahr sagte er in einem Interview: "Wenn ich die Wahl verliere, höre ich mit der Politik auf." Für Kretschmann geht es also um alles oder nichts. Am 13. März entscheidet sich die Zukunft einer in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten politischen Karriere. Die Karriere eines Mannes, der die klassische politische Farbenlehre kräftig durcheinandergemischt hat, ein Mann, der zuletzt sogar von CDU-Politikern als "Merkel-Stalker" bezeichnet wurde.
Angst vorm Untergang des Autolandes
Als Kretschmann 2011 ins Staatsministerium einzog, fragten sich noch viele: Kann ein Grüner das überhaupt? Zum einen, weil eine fast 60 Jahre andauernde Liaison zwischen schwarzer Regentschaft und Unternehmertum endete. Zum anderen angesichts des Schreckensszenarios einer Wirtschaftspolitik im Zeichen des Ökoidealismus. Zu Beginn befeuerte Kretschmann diese Sorge, als er sagte, die Stückzahlen der Autoindustrie müssten sinken, weil dies besser für die Umwelt sei. Ein Kardinalsfehler im Land, in dem es heißt: "Wer beim Daimler schafft, der isch was." Manch einer fürchtete den Untergang des Autolandes. Doch von der Panik ist wenig geblieben.
Nachdem der Heidelberger Hardchor ausgesungen hat - er gibt auch "Don`t stop me now" von Queen - tritt Kretschmann selbst auf die Bühne. Er berichtet von der Haushaltspolitik seiner Landesregierung. "Viermal in fünf Jahren haben wir es geschafft, eine schwarze Null hinzubekommen", sagt er. Den Schwarzen sei das in 50 Jahren nicht gelungen. Er sagt: "In jedem Schwarzwaldtal gibt es bei uns einen Hidden Champion." Zugleich sei die Zahl der Kitaplätze um 50 Prozent gestiegen und der Betreuungsschlüssel trotzdem der beste in der ganzen Republik. All das ist nicht nur Gerede. Selbst der Arbeitgeberpräsident von Baden-Württemberg, Rainer Dulger, stellte der Landesregierung ein Dreierzeugnis aus - mit einem Plus. Eine bemerkenswerte Note dafür, dass es unter Wirtschaftslobbyisten lange eine fast schon angeborene Aversion gegen grüne Politik gab.
Im Heidelberger Theaterhaus wirkt es sogar so, als müsste Kretschmann die überwiegend grünen Zuschauer dieses Wahlkampftermins davon überzeugen, dass noch ein bisschen Idealismus in ihm schlummert. Er bezeichnet es als "Kollateralnutzen", dass der Tourismus aufblühe, weil im Schwarzwald der erste Nationalpark des Landes entstanden ist. "Eine tolle Sache, dass man sagen kann, die Natur hat einen Eigenwert." Eine fast schon absurde Vorstellung, dass so ein Satz von einem Mitglied der Ökopartei kommt.
Der diebische Pole ist schon mal für einen Lacher gut
Kretschmann hat seiner ersten Amtszeit gewissermaßen eine Überschrift gegeben: "die Politik des Gehörtwerdens". Neben mehr Bürgerbeteiligung an politischen Prozessen manifestiert sich diese auch darin, dass Kretschmann sehr bedacht darauf achtet, worauf es der überwiegend gutsituierten und etwas konservativen Wählerschaft im Ländle ankommt. Und worauf eben nicht. Das gilt insbesondere für das Thema, das seine Amtszeit wie keine zweite bestimmen sollte: die Flüchtlingskrise.
Ein Samstagvormittag in Fellbach: Brezen, Spätzle in einer kräftigen Fleischbrühe - Bierzelt-Athmosphäre. Der Kabarettist Christoph Sonntag hat zu seiner Show "Das jüngste Ger(i)ücht" geladen. Der CDU-Mann Guido Wolf, der SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid und natürlich Kretschmann - an den Bänken in der ersten Reihe sitzt die Spitze der baden-württembergischen Politik.
Beim Einklatschprogramm wärmt Kabarettist Sonntag das Klischee des diebischen Polen auf, dann erzählt er einen Pissoir-Witz über einen Italiener. Ein Teil des Publikums johlt, Vertreter der Lokalpresse verdrehen die Augen, eine Claudia Roth hätte an dieser Stelle vielleicht den Saal verlassen. Auf die Frage, was er von Sonntags Show hält, wird Kretschmann auf dem Weg zum nächsten Termin ein paar Stunden später sagen, dass die Veranstaltung doch ganz gut zu ertragen gewesen sei. Mit linker Hypermoral erreicht man im Ländle nichts. Also bloß nicht übertreiben, wenn es um politische Korrektheit geht.
Fast schon wie ein Bundespräsident versucht Kretschmann, abgesehen von der AfD-Klientel, alle mitzunehmen. Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" titelte deswegen über ihn: "Geliefert wird, was der Bürger bestellt". Im Falle der Flüchtlingspolitik besteht die Bestellung offenbar in einem "pragmatischen Humanismus", wie es Kretschmann formuliert. Eine Haltung, die sich wohl am ehesten in der Debatte über sichere Herkunftsstaaten zeigt.
Ein Gebet für Merkel
Bei der Entscheidung, mehreren Balkanstaaten diesen Status zu verleihen, war es Kretschmann, der mit seiner Stimme die notwendige Mehrheit im Bundesrat besorgte. Obwohl es in seiner eigenen Partei heftigen Widerstand gab. Er begründete den Schritt auch damit, dass er der Bundesregierung mit seinem Ja Zugeständnisse bei legalen Zugangswegen für Wirtschaftsflüchtlinge aus diesen Ländern abtrotzte. Jetzt ist Kretschmann im Begriff, auch den Maghreb-Staaten diesen Titel zu verleihen - im Tausch für bessere Bedingungen für geduldete Flüchtlinge, die schon lange in Deutschland leben.
Die Floskel "Der Mensch steht im Mittelpunkt", wandelt Kretschmann gern mal ab in: "Für uns steht immer die Verantwortung im Mittelpunkt." Und da er Katholik ist, fügt er hinzu: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Er meint damit, dass Deutschland sich nicht überfordern dürfe.
Kretschmann zählt zu den lautesten Unterstützern der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Auch er pocht auf eine europäische Lösung. Auch er will so schnell wie möglich den verstärkten Schutz der EU-Außengrenzen, obwohl noch nicht klar ist, was mit den Flüchtlingen, die dann an Europa abprallen, passiert. In einem Interview mit dem "Tagesspiegel" sagte Kretschmann gar: "Ich bete jeden Tag für Angela Merkel." Kretschmann verkörpert mittlerweile wie kein Zweiter den konservativen Realpolitiker in den Reihen der Grünen.
Die Union muss sich gehörig verrenken
Sein Wahlkampf ist so auf die Bedürfnisse der Baden-Württemberger und die Strategie der Kanzlerin abgestimmt, dass Herausforderer Wolf gar nicht mehr weiß, von welcher Seite er ihn überhaupt noch angreifen soll. Seine Verzweiflung manifestierte sich kürzlich, als er die Kanzlerin aufforderte, sich öffentlich von ihrem grünen "Stalker" zu distanzieren. Kretschmann tue ja nur so, als ob er ganz bei ihr wäre, bremse in Wirklichkeit aber diverse Verschärfungen des Asylrechts aus. Wolf mutet sich damit eine gewaltige argumentative Verrenkung zu. Er selbst wirft Merkel schließlich indirekt einen zu laschen Umgang mit Flüchtlingen vor. Er forderte zusammen mit der CDU-Spitzenkandidatin von Rheinland Pfalz, Julia Klöckner, Tageskontingente und stellte sich damit gegen Merkels Kurs der offenen Grenzen in Europa.
Die linke "taz" schrieb bei Kretschmanns Amtsantritt: "Es scheint die historische Aufgabe von Winfried Kretschmann zu sein, das Wort konservativ neu zu definieren." Es lässt sich darüber streiten, ob die Verlegenheit, in die er die Union im Ländle nun bringt, ein Indiz dafür ist, dass er auf dem besten Weg dazu ist. Klar ist aber: Bei den Wählern kommt er mit seinem Kurs an. Könnten die Baden-Württemberger ihren Ministerpräsidenten direkt wählen, würden sich laut einer Umfrage des SWR aus dem Februar 63 Prozent für ihn entscheiden, nur 21 für CDU-Mann Wolf. Diese Gewissheit dürfte es für Kretschmann noch schwerer machen, wie ein Fischstäbchen weiterzukrabbeln, sollte es bei der Wahl dann doch nicht klappen.
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