Anfang September gab es einen Eindruck von den Bildern, die Hassan Moustafa liebt. Bei der Gruppen-Auslosung zur Handball-Weltmeisterschaft waren im Hintergrund die Pyramiden von Gizeh zu sehen und auf einer Bühne davor stand der Präsident der Internationalen Handball-Föderation (IHF) und kündigte ein "great tournament" und "great emotions" an. "Great", also großartig, muss das Turnier am Nil aus Sicht des Präsidenten mindestens werden, denn für den Ägypter ist die Veranstaltung in seiner Heimat eine Art Geschenk an seine Landsleute - und eine Art Geschenk an sich selbst. Doch das Virus hat die ganz großen Pläne zunächst einmal vernichtet.
Das hatte sich Moustafa, der seit mehr als 20 Jahren im Amt befindliche IHF-Präsident, anders vorgestellt. Der mächtige Handball-Boss wollte starke Bilder bei seinem "Heim-Turnier" produzieren. Starke Emotionen und Begeisterung sollten in Wellen aus Nordafrika in die Welt schwappen. Heute startet das "Mammut-Turnier" mit der Partie zwischen Gastgeber Ägypten und Chile, am 31. Januar soll der neue Weltmeister gekürt werden.
Mehr Teilnehmer, mehr Geld - mehr Risiko
Im Grunde ist es eine einfache Rechnung. Wenn 32 Nationen an einer Weltmeisterschaft teilnehmen, gibt es für den Weltverband 32 Mal die Möglichkeit, die TV-Rechte ideal zu vermarkten. Vor zwei Jahren bei der WM in Deutschland und Dänemark umfasste das Teilnehmerfeld 24 Mannschaften, sodass diesmal 33 Prozent höhere Erlöse möglich sind und eine deutlich höhere Reichweite für den Sport generiert werden kann - zumindest theoretisch. "Wir möchten den Handball weiterentwickeln", sagte Moustafa, als er vor zweieinhalb Jahren dafür votierte, mehr Ländern aus der "Familie" die Möglichkeit zu eröffnen, beim globalen Kräftemessen dabei zu sein.
"Das bringt nicht nur Europa etwas, sondern gibt auch anderen Kontinenten die Chance, sich weiterzuentwickeln", sagte Michael Wiederer, der Präsident des europäischen Verbandes (EHF). Die Europäer waren den Weg vorausgegangen, denn bei der Europameisterschaft vor einem Jahr waren erstmals 24 Mannschaft statt zuvor 16 dabei. Die simple Mathematik der größeren Vermarktungschancen setzte sich bei der EHF wie bei der IHF durch.
An der "Mega-WM" haben die Verantwortlichen festgehalten, auch wenn die Voraussetzungen angesichts der Corona-Pandemie kompliziert geworden sind. Zuletzt mussten die Organisatoren ihre Pläne begraben, wenigstens 20 Prozent der Hallenkapazität auszunutzen. Nach Beschwerden der Spieler aus Europa war der Druck zu groß geworden, sodass die Partien jetzt, wie bei anderen Veranstaltungen derzeit üblich, ganz ohne Fans in den Hallen stattfinden werden.
Mindestens zwei Teams schaffen es nicht in die Bubble
Die Vorzeichen haben sich aber geändert, im Moment wird in erster Linie über Hygienekonzepte und Infektionsgefahren gesprochen als über das erste Spiel der Ägypter in der 18.000 Zuschauer fassenden Arena in Kairo. Wochenlang rangen der Weltverband, der Ausrichter und die europäischen Nationen um ein schlüssiges Konzept, wie der Covid-19-Erreger möglichst von der WM ausgeschlossen werden soll. Helfen soll eine "Bubble", in der sich alle Beteiligten während des Turniers begeben müssen.
Spieler, Trainer, Schiedsrichter, Offizielle und Medienvertreter werden von der Außenwelt abgeschottet - sie dürfen die Hotels nur für Fahrten zum Training oder Spiel verlassen. Der Aufwand ist riesig, alle an der WM beteiligten Personen dürfen die Blase ("Bubble") erst betreten, wenn sie mindestens zwei negative Corona-Tests vorlegen können und werden während der Weltmeisterschaft alle drei Tagte auf den Covid-19-Erreger getestet.
So sollen Infektionen und negative Publicity verhindert werden. Das Ziel: Möglichst rasch soll sich die Berichterstattung auf die Geschehnisse zwischen den beiden Toren konzentrieren. Der Sport will sich die Aufmerksamkeit zurück erkämpfen. Doch die Realität hat die Hoffnungen schon vor Turnierstart überholt: Mit den USA und Tschechien sind zwei Teams aufgrund von Corona-Ausbrüchen gar nicht erst angereist, auch im Kader Brasiliens gibt es zahlreiche Fälle. Möglich, dass es die Südamerikaner gar nicht erst in die Bubble schaffen. Auch beim deutschen Vorrundengegner Kapverden soll es sieben positive Fälle geben. Für die Tschechen und die USA rücken die Schweiz und Nordmazedonien nach.
Handball ist europäisch
Im Grunde ist Handball seit jeher ohnehin eine europäische Sportart und die Versuche, sie außerhalb es "alten Kontinents" zu etablieren, brachte nur kleine Erfolge. In Nordafrika hat sich die Sportart durch die frankophilen Einflüsse etabliert, in den vergangenen Jahren hat sie zudem im Nahen Osten an Einfluss gewonnen. Darüber hinaus ist Handball im Rest der Welt eine Randsportart. Vor etwa zehn Jahre scheiterte eine Charme-Offensive in den USA, sodass es keinen Durchbruch auf dem lukrativen Markt in Nordamerika geben wird, obwohl die Vereinigten Staaten nicht zuletzt wegen der Aufstockung auf 32 Teilnehmer in Ägypten vertreten gewesen wären. Nun sind sie auch in diesem Jahr wieder nicht dabei.
Sportlich wird sich an den Kräfteverhältnissen in den zweieinhalb Wochen in den Arenen in und um Kairo nichts ändern. Wenn die Medaillen ausgespielt werden, dürfte neben den Top-Nationen aus Europa nur Ägypten eine Außenseiterchance haben, dabei zu sein, sofern man der Statistik glaubt. Nur zwei Mal war eine außereuropäische Nation unter den besten Vier einer WM, jeweils gelang es dem Gastgeber. Tunesien (2005) und Katar (2015) stießen bei ihren Heimspielen ins Halbfinale vor, nur Katar gewann eine Medaille (Silber).
Vermutlich bleiben die Europäer am Ende unter sich. Titelverteidiger Dänemark, Europameister Spanien, Rekord-Champion Frankreich oder die Geheimfavoriten Norwegen und Slowenien rechnen sich Chancen aus, am Ende den WM-Pokal überreicht zu bekommen.
Quelle: ntv.de
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