So hatten sich Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß den Ausflug in den hohen Norden nicht vorgestellt. Als es bereits 23.25 Uhr war, saßen sie noch immer auf der windigen Tribüne von Kiel und mussten das Elfmeterschießen ertragen. Vermummt und eingehüllt in Wolldecken (und das auch noch im Design vom Pokalgegner Holstein Kiel) schützten sie sich vor der Kälte. Der Schneeregen peitschte ihnen entgegen.
"Spielt Fußball, spielt Fußball", forderte Rummenigge während der Partie immer wieder. Doch vieles von dem, was den FC Bayern München eigentlich ausmacht, war an diesem Mittwochabend nicht zu sehen. Ein gelungenes Kurzpassspiel? Der gezielte Pass in den Strafraum? Fehlanzeige! Stattdessen gab es viele lange Bälle und vermeidbare Fehler. "Was für Ballverluste …", haderte Rummenigge.
Schweinsteiger kritisiert Viererkette
Weder das 1:0 durch Serge Gnabry in der 14. Spielminute noch das 2:1 durch Leroy Sané in der 48. Minute gaben der Mannschaft Sicherheit. Im Gegenteil: Die Bayern-Abwehr, die im Ligabetrieb seit dem 24. Oktober nicht mehr zu Null gespielt hat, erwies sich weiterhin als anfällig. Ein tiefer Pass genügt, um die Viererkette bloßzustellen. Dies war bereits bei der 2:3-Niederlage am Freitagabend gegen Borussia Mönchengladbach der Fall und wiederholte sich nun beim zwischenzeitlichen 1:1 durch den Kieler Fin Bartels in der 37. Minute. Der ehemalige Bayern-Profi und heutige ARD-Experte Bastian Schweinsteiger kritisiert die Abwehr: "Beim Gegentor stehen sie an der Mittellinie. Es ist unnötig, so hoch zu stehen."
Trainer Hansi Flick sieht das anders. "Das hat nichts mit einer zu hochstehenden Viererkette zu tun", sagt er. Gleichwohl sei das Gegentor ein "Muster, welches wir bei vielen Gegentoren gesehen haben. Wir haben das angesprochen. Wir haben gesagt, dass wir die Mitte absichern müssen. Das haben wir gerade beim 1:1 nicht gemacht." Es dürfte die Bayern besorgt stimmen, dass selbst ein (wenn auch sehr ambitionierter) Zweitligist die Schwächen des Triple-Siegers offenlegt. Kiels Trainer Ole Werner verrät seine Taktik: "Wir mussten davon ausgehen, dass Bayern mehr im Ballbesitz ist und nach Ballverlusten in unserer Hälfte sehr aggressiv gegenpresst. Dazu braucht es diese hohe Viererkette. Daher haben wir die Bälle früher als sonst direkt in den Rücken gespielt."
"Besetzung in der Box war nicht optimal"
Auch beim Gegentreffer zum 2:2, erzielt in der Nachspielzeit durch den Kieler-Kapitän Hauke Wahl, gab die Hintermannschaft des FC Bayern kein gutes Bild ab. "Die Besetzung in der Box war nicht optimal", kritisiert Flick. "Gerade kurz vor Spielschluss muss ich versuchen, erst einmal die Flanke zu unterbinden, ansonsten den Ball im Zentrum zu klären und die Zuordnung im Eins-gegen-Eins zu haben."
Auch die Offensive wies Probleme auf. Bezeichnend ist, dass das erste Tor der Bayern eigentlich wegen Abseits nicht hätte zählen dürfen und dass das zweite Tor durch einen Freistoß zustande kam. "Wenn ich die Möglichkeiten sehe, die wir über die Flügel kreiert haben, da hätten wir den letzten Pass besser spielen müssen. Da haben wir auch noch Luft nach oben", sagt Flick.
Der Übungsleiter möchte sich allerdings nicht allzu lange mit dem Misserfolg aufhalten: "Es geht weiter. Wir müssen nach vorne schauen, wir müssen viel arbeiten." Die mögliche Titelverteidigung im DFB-Pokal mag die Mannschaft verspielt haben. Als Tabellenführer der Bundesliga und Achtelfinal-Teilnehmer der Champions League bestehen aber weiterhin Chancen auf Titel. Zumal im Februar auch noch die Klub-WM in Katar stattfindet.
"Zu viele Spiele, zu wenig Urlaub, das ist jetzt vorbei"
Um die Trophäen-Sammlung zu erweitern, müssen die genannten Fehler allerdings abgestellt werden. "Es gibt jetzt keine Entschuldigungen mehr", stellt Flick klar. Unter mangelnden Kraft-Reserven würde seine Mannschaft jedenfalls nicht leiden. "Wir haben über 120 Minuten gezeigt, dass wir fit sind und marschieren können. Zu viele Spiele, zu wenig Urlaub, das ist jetzt vorbei. Der Blick richtet sich jetzt auf unsere Aufgabe, wieder erfolgreich Fußball zu spielen."
Hoeneß und Rummenigge dürften genau das von der Mannschaft erwarten. Als das Elfmeterschießen beendet war, weil Marc Roca den entscheidenden Strafstoß vergab, gratulierten sie Kiel-Präsident Steffen Schneekloth und marschierten davon. Vor dem Stadion spielten sich währenddessen Szenen ab, die eher an eine Weltmeisterschaft als an ein Zweitrunden-Spiel im DFB-Pokal erinnern. Mit einem Auto-Korso, ständigem Hupen und Feuerwerkskörper feierten die Kieler Fans den überraschenden Erfolg ihrer Mannschaft. "Ich glaube, an dieses Erlebnis werden wir und alle, die mit Kiel verbunden sind, noch viele Jahre denken", sagt Holstein-Trainer Ole Werner.
Quelle: ntv.de
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