Glyphosat in Lebensmitteln - wie gefährlich ist das?

  07 Oktober 2015    Gelesen: 790
Glyphosat in Lebensmitteln - wie gefährlich ist das?
Das Pflanzenschutzmittel Glyphosat galt mal als Segen der modernen Landwirtschaft: günstig und ohne Nebenwirkungen für Tiere und Menschen. Doch diese Zeiten sind vorbei: Immer mehr Kritiker bezweifeln die Harmlosigkeit des Pestizids und sehen einen Zusammenhang zwischen dessen Einsatz und gesundheitlichen Problemen bei Landwirten, schwer krank dahin siechenden Rindern und missgebildeten Schweinen.
Kürzlich hat nun die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) den Wirkstoff als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft. Eine Stellungnahme von enormer Sprengkraft, denn auch in Deutschland werden rund 40 Prozent der Ackerflächen mit Glyphosat besprüht - und das Mittel bleibt nicht nur dort: Selbst im menschlichen Urin wurde Glyphosat gefunden und zwar in 70 Prozent aller daraufhin untersuchten Proben in Europa. Aber was bedeutet das für uns?

Was ist Glyphosat eigentlich?

Der weltweit am häufigsten eingesetzte Wirkstoff in Unkrautvernichtungsmitteln wurde in den 70er Jahren von dem Unternehmen Monsanto entwickelt. Bekannt ist er vor allem unter dem Namen "Roundup". Glyphosat ist jedoch auch in vielen anderen Produkten zur Schädlingsbekämpfung enthalten, meist in Kombination mit anderen giftigen Stoffen.

Das Mittel stört den Stoffwechsel der (unerwünschten) Pflanze und bringt sie so zum Absterben. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr etwa 6000 Tonnen eingesetzt, in der Landwirtschaft, auf öffentlichen Grünflächen, Spielplätzen und auch in Privatgärten. Weltweit sollen es mehr als 700 000 Tonnen sein.

Warum wird gerade dieses Mittel weltweit so oft verwendet?

Vor allem die Einführung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen wie beispielsweise Soja in den USA und Südamerika hat zu einem starken Anstieg des Glyphosat-Einsatzes geführt: Diese Pflanzen wurden extra so gezüchtet, dass sie resistent gegen Glyphosat sind, daher kann es in den Anbaugebieten großflächig und in großer Dosis gegen Unkraut eingesetzt werden.

Lebensmittel-Siegel, und was sie bedeuten

Kritiker sahen das immer schon mit Unbehagen: So gibt es aus Regionen in Argentinien, wo im großen Stil Glyphosat für genverändertes Soja eingesetzt wird, Berichte über eine erhöhte Rate von Krebserkrankungen bei Kindern. Allgemein verbreitet ist auch ein Einsatz kurz vor der Ernte, um durch ein flächenmäßiges "Totspritzen" die gleichzeitige Reifung aller Pflanzen zu erreichen.

Diese "Sikkation" gilt als der Hauptgrund für die verbreiteten Glyphosat-Rückstände in Lebensmitteln. Sie ist seit 2014 in Deutschland nur noch eingeschränkt erlaubt, wird aber weiterhin weltweit praktiziert, auch bei Kartoffeln und Hülsenfrüchten. Und, nicht zuletzt: Da auch Unkraut Resistenzen gegen das Mittel entwickelt, muss jährlich immer mehr davon eingesetzt werden, damit es noch eine Wirkung entfaltet.
Glyphosat wurde als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft. Was heißt das genau?

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) ist die maßgebliche wissenschaftliche Autorität der Weltgesundheitsorganisation WHO zum Thema Krebsgefahren. Sie hat Glyphosat in die Stufe 2 A ("wahrscheinlich krebserregend für den Menschen") eingeordnet und dies mit über 200 Referenzen und Analysen belegt.

Nach Aussage des Leiters der Forschungsgruppe Aaron Blair wurde auch eine Einordnung in die Stufe 1 ("definitiv krebserregend") ernsthaft diskutiert, jedoch wegen einer etwas zu wackeligen Datenlage vorsichtshalber abgemildert. Die IARC sieht in jedem Fall erhebliche gesundheitliche Risiken, die weiter geprüft werden müssen.

In welchen Lebensmitteln wurde Glyphosat bislang gefunden?

Acht von zehn getesteten Brötchen sind nach Tests der Zeitschrift "Ökotest" mit dem Pflanzengift belastet, ebenso Brot, Mehl und Haferflocken, auch in Linsen und importiertem Soja für Tierfutter wurden Rückstände gefunden. Im Obst- und Weinanbau wird Glyphosat zwar auch eingesetzt, allerdings liegen hier bisher keine umfänglichen Messungen zu Glyphosat-Belastungen vor.

Verunsicherung erzeugte kürzlich eine kleine Studie im Auftrag der Grünen, nach der Glyphosat in der Muttermilch von 16 stillenden Müttern enthalten war, wenn auch in sehr geringer Konzentration. Für Umweltverbände und Verbraucherschützer sind die Funde in Urin und Muttermilch jedoch ein klarer Beweis dafür, dass wir alle Glyphosat regelmäßig aufnehmen.

Wie kann ich mich als Verbraucherin vor Glyphosat schützen?

Zuerst einmal: keine chemischen Pestizide im eigenen Garten verwenden. Zurzeit ist Glyphosat in Deutschland für den Hausgebrauch noch frei verkäuflich und wird auch von Hobbygärtnern gern und häufig eingesetzt. Auch ein Ausweichen auf ein anderes Pestizid wird von Umweltschützern nicht empfohlen. Die bessere Alternative ist, selbst zu zupfen, auch Abbrennen wäre nach Aussage der Verbraucherzentrale Niedersachsen immer noch besser als Chemie.

Wer absolut sichergehen will, dass in seinem Essen keine Glyphosat-Rückstände enthalten sind, muss Bio-Produkte kaufen, denn im ökologischen Anbau ist der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln generell verboten. Wer zu Bio greift, unterstützt auch den erhöhten Aufwand, den die ökologische Landwirtschaft (zum Beispiel mit der mechanischen Unkrautbekämpfung) betreibt, um den Boden nicht zu verunreinigen und die Artenvielfalt zu bewahren.

Wie viel Glyphosat gilt in Lebensmitteln noch als gesundheitlich unbedenklich?

Die Antwort darauf ist sehr umstritten. Derzeit liegt der empfohlene Grenzwert für Glyphosat-Aufnahme bei 0,3 mg pro Kilogramm Körpergewicht und Tag - und selbst die höchsten Glyphosat-Werte, die bislang in Lebensmitteln nachgewiesen wurden, liegen so weit darunter, dass man den Grenzwert durch Essen allein unmöglich erreichen kann.

Aber: Sollte Glyphosat, wie jetzt vermutet, eine hormonähnliche oder krebserzeugende Wirkung haben, "könnten schon kleinste Mengen davon ausreichen, um Krebs zu verursachen", sagt Britta Schautz von der Verbraucherzentrale Niedersachsen, die sich für ein vorsorgliches europäisches Verbot des Wirkstoffes ausspricht. Bedenken sollte man auch, dass in Gefahrenanalysen Glyphosat nur als Einzelwirkstoff getestet, tatsächlich jedoch meist als Wirkstoffkombination eingesetzt wird. "Und wie diese anderen Verbindungen kurz-, mittelund langfristig wirken, weiß kein Mensch", kritisiert die Biologin Angelika Hilbeck von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH).

Selbst das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) räumt mittlerweile ein, dass für nachweislich krebserzeugende Stoffe eine Schwellenwertangabe nicht sinnvoll ist, da sie auch schon in niedrigster Dosierung eine schädigende Wirkung entfalten können.
Wird Glyphosat nun bald vom Markt genommen?

Ein Verbot glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel für den Privatgebrauch wird in der Politik diskutiert, viele Baumärkte haben entsprechende Produkte schon aus dem Sortiment genommen. Derzeit prüft die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), ob sie die Zulassung für die europäische Landwirtschaft um weitere zehn Jahre verlängert - das Deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatte dafür bereits grünes Licht gegeben, nun wurde die Entscheidung aber zunächst einmal auf Herbst verschoben.

Beobachter wie Julia Sievers-Langer von der Organisation "Agrar Koordination" erwarten die Entscheidung mit Spannung: "Die Einstufung der Internationalen Agentur für Krebsforschung bestätigt, dass ein Glyphosat-Verbot dringend notwendig ist." Ob es dazu kommt? Angesichts der großen wirtschaftlichen Interessen an diesem Mittel wäre das eine Sensation.

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