Putin hat Grund, nervös zu werden

  22 Januar 2021    Gelesen: 353
Putin hat Grund, nervös zu werden

Nawalnys Rückkehr und seine Recherche zur angeblichen Luxusvilla von Wladimir Putin stellt den Kreml vor große Herausforderungen. Die für Samstag angekündigten Straßenproteste sind zwar vorerst keine Gefahr für Putin. Doch die Zeit tickt gegen ihn.

Über Jahre wurde dem russischen Oppositionellen Alexej Nawalny vorgeworfen, bei seinen zahlreichen Recherchen über die Machenschaften in der Umgebung von Wladimir Putin habe er kein belastendes Material gegen den russischen Präsidenten selbst gefunden. Am Dienstag, zwei Tage nach seiner Festnahme am Moskauer Flughafen Scheremetjewo nach der medizinischen Behandlung in Deutschland, gelang dem 44-Jährigen sein bisher größter Coup: Er veröffentlichte ein Video über einen Luxus-Palast am Schwarzen Meer, der angeblich Putin gehört. Alleine in den ersten 24 Stunden wurde das Video mehr als 23 Millionen Mal geklickt und ist inzwischen das Thema Nummer eins im russischen Internet.

"Das ist eine Zusammenstellung von wertlosen Aussagen und Unsinn", reagierte Putins Sprecher Dmitrij Peskow genervt auf die Recherche. "Die Autoren des Videos bitten um Spenden. Wir warnen alle Bürger: Denken Sie zehnmal nach, bevor Sie Geld an solche Gauner überweisen." Dabei wird über den Palast seit Anfang der 2010er Jahre spekuliert. Neu sind dagegen die im Laufe von fast zwei Stunden dargestellten farbenreichen Details. So präsentiert Nawalny eine Berechnung des Gesamtpreises, der bei 1,1 Milliarden Euro liegen soll. Er erklärt zudem, der Bau sei von Putins engsten Verbündeten wie zum Beispiel dem Chef des staatlichen Ölkonzerns Rosneft, Igor Setschin, finanziert worden. Außerdem ist Nawalny nach eigenen Angaben an den ausführlichen Plan des Palastes gekommen. Auf dem Palastgelände befinden sich demnach ein Hubschrauberlandeplatz, ein vollwertiger Eispalast sowie eine Kirche. Im dreistöckigen Gebäude findet man unter anderem eine waschechte Theaterhalle, eine luxuriöse Shisha-Lounge und sogar ein Casino.

Für Nawalny ist die Veröffentlichung des Videos die ultimative Kampfansage an den Kreml. "Dieses Video wurde vor der Rückkehr von Alexej nach Russland gedreht", heißt es von seinem Team. "Wir haben aber gleich vereinbart, dass wir es erst danach veröffentlichen. Alexej wollte nämlich nicht, dass Wladimir Putin denkt, wir hätten Angst und erzählen darüber lediglich aus dem Ausland." Vorerst landete Nawalny aber tatsächlich in den Händen des Kremls. Am Montag wurde der Oppositionelle im Rahmen einer selbst für Russland ungewöhnlichen, improvisierten Gerichtssitzung auf einer Polizeistation im Norden Moskaus zu 30 Tagen U-Haft verurteilt. Ende Januar soll der Prozess beginnen.

Wirklich gute Optionen hat Putin nicht

2013 war Nawalny in einem Betrugsprozess zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, die dann zur Bewährung ausgesetzt wurden. Dieses Urteil wurde vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof 2017 als willkürlich bezeichnet. Während seiner Behandlung in Deutschland soll Nawalny nun nach Auffassung des russischen Staates gegen die Meldeauflagen verstoßen haben. Deswegen könnte die Bewährungsstrafe durch eine Freiheitsstrafe ersetzt werden. Unwahrscheinlich ist diese Entwicklung nicht. Die Frage ist dennoch, ob Putin davon profitiert.

Dass Nawalnys Rückkehr nach Russland nach dem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok im letzten Jahr für ihn ein Risiko ist, war von Anfang an klar. Aufgrund der großen politischen Ambitionen des 44-Jährigen gab es aus seiner Sicht trotzdem keine andere ernsthafte Option. Aus Berlin oder London kann er bei weitem nicht so effektiv agieren wie aus Russland. Womöglich ist seine Verhaftung sogar eine Art Investition in die eigene politische Zukunft. Zwar ist er schon seit einem Jahrzehnt Putins wichtigster Widersacher. Nawalnys Vergiftung machte ihn jedoch bekannter als je zuvor, was aufgrund der Vollignoranz der großen staatlichen Propagandamaschine nicht unwesentlich ist. Sie machte ihn aber auch zum Gegenstand der russischen Außenpolitik. Muss Nawalny tatsächlich für längere Zeit hinter Gitter, bekommt Russland seinen bisher prominentesten politischen Häftling, der die Beziehungen Moskaus zu den westlichen Staaten noch stärker belasten würde.

Wirklich gute Optionen hatte der Kreml jedoch nicht. Nawalny nach seiner Ankunft in Russland erstmal in Ruhe zu lassen, wäre für Putin aufgrund der steigenden Bekanntheit des Oppositionellen ebenfalls gefährlich gewesen. Seine Verhaftung macht ihn aber noch mehr zum Märtyrer und offenbart die Angst Putins vor der direkten politischen Konkurrenz kurz vor den für den Herbst angesetzten Parlamentswahlen. Es ist nahezu ausgeschlossen, dass eine von Alexej Nawalny angeführte Partei zu diesen zugelassen wird. Allerdings setzte Nawalny zuletzt auch auf das sogenannte Smart Voting, demzufolge unzufriedene Wähler für den aussichtsreichsten Kandidaten stimmen sollen, der nicht zur Regierungspartei "Einiges Russland" gehört. Diese Strategie führte in einigen Regionen zu kleinen Erfolgen, und die aktuellen Umfragewerte der Putin-Partei sind mit knapp über 30 Prozent alles andere als atemberaubend.

Es ist daher gut möglich, dass Nawalnys Verhaftung für "Einiges Russland" nach hinten losgeht und die Enthüllung zum Putin-Palast in Südrussland ebenfalls für die Fortsetzung des negativen Trends sorgt. Vorerst geht es aber für Nawalny und seine Mitstreiter um den kommenden Samstag. Am 23. Januar sollen die landesweiten Proteste gegen die Nawalny-Verhaftung stattfinden. Die Erwartungen sind trotz der astronomischen Klickzahlen auf Youtube zurückhaltend. Weder die eigentliche Rückkehr Nawalnys noch der Kurzprozess auf der Polizeistation konnten vor Ort Menschenmassen mobilisieren. Neben den Minustemperaturen bis zu 20 Grad gehört die immer stärker werdende Unterdrückungsmaschine zu den Hauptgründen. So gelten seit Kurzem selbst die Schlangen zu den sogenannten Einzeldemos, die früher geduldet wurden, als Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Die Menschen haben deswegen noch mehr Angst vor politischen Demonstrationen als zuvor.

Daher ist die Hoffnung illusorisch, dass Putins Stuhl in den nächsten Wochen und Monaten ernsthaft wackelt. Jedenfalls würde das nicht durch Straßenproteste passieren. Allerdings ist ein großer Teil der jungen Menschen in Russland tatsächlich enttäuscht, dass Putin durch die letztjährige Verfassungsreform theoretisch auch über die aktuelle Amtszeit bis 2024 hinaus Präsident bleiben könnte. Hinzu kommen die Vergiftung und Verhaftung von Nawalny, seine neue Recherche und auch die Enthüllungen anderer Medien, die unter anderem das frühere Tabu-Thema, das Privatleben von Putin, detailliert beleuchteten. Das deutet indirekt darauf hin, dass nicht alle in Putins Umgebung mit der aktuellen politischen Ausgangslage zufrieden sind und offenbar einige Informationen leaken. Und so könnte eine Krise im Kreml auch unabhängig von Nawalny früher als erwartet ausbrechen.

Quelle: ntv.de


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