Während Deutschland nur schleppend mit dem Impfen vorankommt und Neuinfektionen und Todeszahlen weiter steigen, kehren immer mehr Arbeitnehmer in die Büros zurück. Die Homeoffice-Nutzung ist in der Pandemie zwar laut einer repräsentativen Befragung der Hans-Böckler-Stiftung zunächst gestiegen. Im November vergangenen Jahres haben laut der Erhebung aber trotz eines Regierungsappells nur noch 14 Prozent von zu Hause gearbeitet - im April während des ersten Lockdowns sind es mit 27 Prozent noch knapp doppelt so viele gewesen.
Auch wenn es in manchen Branchen schlicht nicht möglich ist, aus dem Homeoffice zu arbeiten: Unternehmen haben gegenüber ihren Angestellten eine Fürsorgepflicht. In den USA hat Amazon die Regierung deshalb gebeten, seine Mitarbeiter bei den Corona-Impfungen zu bevorzugen. In einem Schreiben an die US-Seuchenbehörde CDC schrieb der hochrangige Manager Dave Clark, gerade die Kollegen aus den Warenlagern und Datenzentren bräuchten diesen Schutz.
Auf Nachfrage von ntv.de erklärt Amazon hierzulande sei solch eine Forderung kein Thema. Das Unternehmen teilte mit, man habe 2020 weltweit rund zehn Milliarden US-Dollar im Zusammenhang mit Covid-19 ausgegeben. "Allein in Deutschland haben wir mehr als 470 Millionen Einheiten Händedesinfektionsmittel, 21 Millionen Paar Handschuhe, 19 Millionen Masken, Gesichtsschutz oder anderen Mund-Nasen-Schutz und 39 Millionen Packungen Desinfektionstücher bestellt", sagt Pressesprecher Stephan Eichenseher ntv.de. Tatsache sei, dass man beim Corona-Schutz teilweise sogar über die einzelnen Länderregelungen hinausgehe. Bei Amazon gelte etwa ein Mindestanstand von zwei Metern.
Wettkampf um eine priorisierte Impfung
All diese Maßnahmen sind zwar ein Anfang. Eine Ansteckung mit dem Coronavirus können aber auch sie nicht zu hundert Prozent verhindern. Das kann nur eine Impfung. Die Deutsche Post wäre deswegen bereit, ihre Mitarbeiter auf eigene Kosten zu impfen, wenn der Konzern Zugriff auf den Impfstoff erhält. "Wir versuchen nicht selbstständig, Impfstoff zu kaufen", sagte Konzernchef Frank Appel. Aber: "Wenn wir Gelegenheit hätten, den Impfstoff über die Regierung zu bekommen, würden wir die Mitarbeiter zu unseren Kosten impfen", fügte er hinzu. Aktuell sei dies aber nicht der Fall. Die Post orientiere sich an Regularien und Vorgaben von Regierungen und wolle nicht in einen Wettbewerb eintreten, ihre weltweit rund 550.000 Mitarbeiter schneller zu schützen als andere Menschen.
In der Praxis würde sich das jedoch schwierig gestalten. Die derzeitige globale Verteilung des Impfstoffes zeigt laut dem Leiter Gesundheitswirtschaft Volker Nürnberg von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO, dass die gesamte Logistik, die Einhaltung der Kühlkette sowie die Koordination der Impftermine viele Risiken birgt. Diese müssten auch Unternehmen bewältigen, wenn sie selbst impfen wollten. Hinzu kämen mögliche Haftungsrisiken, wenn zum Beispiel keine ordnungsgemäße Auswahl des medizinischen Personals erfolge, die die Impfung durchführt. Ein weiterer Knackpunkt: Sollte es nicht ausreichend Impfdosen geben, müsste sichergestellt werden, dass keine Mitarbeiter benachteiligt würden.
Die Rahmenbedingungen in Deutschland und die Impfstoffknappheit erlauben einen Wettkampf um eine bevorzugte Impfung nicht. Das weiß auch der Gesundheitsdienstleister Medisinn. Das 2015 gegründete Unternehmen bereitet sich trotzdem schon darauf vor, Impfungen in Betrieben anzubieten. Online können sich Unternehmen seit Anfang dieses Jahres für einen priorisierten Termin für eine Covid-19-Impfung im Unternehmen vormerken lassen. Das selbsternannte Ziel: Eine koordinierte und geregelte Abwicklung.
"Wenn auch in Betrieben geimpft wird, erleichtert das den Zugang zu einer Impfung. Auch für Mitarbeiter, die solche Termine sonst mit Schichtarbeit oder Kinderbetreuung vereinbaren müssen", sagt Alexander Timm, Geschäftsführer des Gesundheitsdienstleisters Medisinn Plattform GmbH mit Hauptsitz in München ntv.de. Außerdem werde eine Covid-19-Impfung für viele Unternehmen essenziell, damit der Betrieb am Laufen bleiben könne. Man wolle dazu beitragen, dass jeder Arbeitnehmer möglichst schnell ein Impfangebot bekomme. "Arbeitgeber können damit einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag zur flächendeckenden Impfung leisten", sagt Timm. Inzwischen tragen sich laut Medisinn täglich neue Unternehmen ein. Wie viele und wer genau will das Unternehmen nicht verraten. Auf der Webseite des Unternehmens taucht unter "zufriedenen Kunden" neben dem Autobauer Tesla und dem Paketdienst DHL auch Amazon auf. Es wäre also nicht verwunderlich, sollte sich der Logistikriese bereits für eine Covid-19-Impfung vorgemerkt haben.
Amazon ist schon "ein zufriedener Kunde"
Auch wenn es noch Zukunftsmusik ist, das angekündigte Komplettprogramm des Unternehmens klingt vielversprechend: Von der Beschaffung, über die richtige Lagerung und Logistik bis hin zur Impfung - Medisinn verspricht, sich um alles zu kümmern. Das Unternehmen geht davon aus, dass der Impfstoff in den "nächsten Monaten" über den betriebsmedizinischen Weg verfügbar sein könnte. "Sobald die Impfstoffe entsprechend den Maßgaben der Nationalen Impfstrategie für die dezentrale, breite Routineverimpfung freigegeben sind, wollen wir als Gesundheitsdienstleister dazu beitragen, schneller eine Herdenimmunität in Deutschland zu erreichen", sagt Timm. Davor seien dem Unternehmen die Hände gebunden. Man gehe mit der nationalen Impfstrategie konform, die schon des Öfteren den Sommer 2021 als Start der Phase 2 erwähnt hat, in der dann Hausärzte und somit auch Betriebsärzte impfen dürfen. "Wir planen unseren Impfservice derzeit umfassend und vorausschauend. Daher sind wir mit den Vorbereitungen frühzeitig gestartet", erklärt Timm.
Ob das Unternehmen bereits mit Herstellern in Gesprächen ist, um eine Impfstoffversorgung garantieren zu können, möchte das Unternehmen nicht kommentieren. Nürnberg kann sich allerdings nicht vorstellen, dass Impfstoffhersteller in diesem Jahr für solche Gespräche offen sind. Als Zeithorizont sieht er eher 2022. Auch Angaben zu etwaigen Kosten könne Medisinn "aufgrund der derzeitigen Lage" noch nicht treffen. Nur so viel: Das Unternehmen will sich bemühen, mit deutschen Herstellern zu kooperieren.
Die Gesundheitsdienstleister haben es in der andauernden Pandemie schwer. Auch bei Medisinn lag das Kerngeschäft zu Beginn der Pandemie brach. "Da keine Gesundheitsmaßnahmen in den Betrieben stattfinden können, sind die Unternehmen auf der Suche nach neuen Produkten", sagt Nürnberg ntv.de. Aufgrund der Tatsache, dass noch nicht absehbar ist, wann Covid-Schutzimpfungen für Unternehmen verfügbar sein werden, sieht Nürnberg den Vorstoß von Medisinn kritisch und hält ihn sogar für "einen PR-Gag, der nicht seriös durchdacht ist". Für Nürnberg ist es durchaus vorstellbar, dass es in Zukunft weitere solcher Angebote geben wird. Er gibt aber auch zu bedenken: "Jenseits von Impfungen sollten Unternehmen sich zum aktuellen Zeitpunkt lieber auf die Testung ihrer Mitarbeiter oder die weitere Optimierung der Schutzmaßnahmen konzentrieren."
Quelle: ntv.de
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