In der EU wächst der Unmut gegen den Pharmakonzern AstraZeneca: Dieser hat seine Lieferzusage für die Mitgliedsstaaten deutlich nach unten korrigiert, während andere Weltregionen ihre Chargen wie geplant erhalten sollen. Doch nun wird die Verärgerung darüber noch überlagert von der Frage, ob der Impfstoff überhaupt hält, was die bisherigen Daten des Unternehmens versprechen.
Woher kommt die Sorge?
In ihrer Dienstagsausgabe berichtete die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf interne Gespräche zwischen Bundesregierung und Ländern, die Bundesregierung erwarte eine eingeschränkte Zulassung in der EU: Der Impfstoff von AstraZeneca könnte demnach nur für Menschen zugelassen werden, die jünger als 65 Jahre sind. Grund sei eine geringe Wirksamkeit bei älteren Menschen. Das „Handelsblatt“ berichtete unter Berufung auf Koalitionskreise, in dieser Altersgruppe weise das Vakzin eine Wirksamkeit von lediglich acht Prozent auf.
Dieser Darstellung widersprach das Bundesgesundheitsministerium am Dienstagvormittag: „Auf den ersten Blick scheint es so, dass in den Berichten zwei Dinge verwechselt wurden: Rund acht Prozent der Probanden der AstraZeneca- Wirksamkeitsstudie waren zwischen 56 und 69 Jahren, nur drei bis vier Prozent über 70 Jahre“, teilt ein Sprecher mit. „Daraus lässt sich aber nicht eine Wirksamkeit von nur acht Prozent bei Älteren ableiten.“
Was sagt der Hersteller?
AstraZeneca wies diese Berichte als „komplett falsch“ zurück. Eine Sprecherin verwies auf Daten, die im November im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlicht worden waren. Danach habe das Immunsystem älterer Personen stark auf den Impfstoff von AstraZeneca reagiert. Bei 100 Prozent der älteren Erwachsenen seien nach der zweiten Impfdosis spezifisch gegen das Coronavirus gerichtete Antikörper registriert worden.
Was geht aus den Daten hervor?
An der Wirksamkeitsstudie der Phase III in Großbritannien und Brasilien nahmen hauptsächlich Probanden zwischen 18 und 55 Jahren teil: Aus dieser Altersgruppe wurde gut 10.000 Menschen das Vakzin verabreicht, zusätzlich nur etwa 1.400 Älteren. In einem „The Lancet“-Artikel vom Dezember heißt es, nach der Zwischenanalyse der Daten könne man noch keine Aussage über die Wirksamkeit bei älteren Erwachsenen treffen.
In der vorangegangenen Phase-II-Studie mit 560 Teilnehmenden waren anteilig mehr Ältere vertreten. Dort fielen laut einem im November in „The Lancet“ veröffentlichten Artikel die verschiedenen Messwerte der Immunantworten quer durch alle Altersgruppen ähnlich aus.
Was ist anders am AstraZeneca-Impfstoff?
Fest steht, dass der Impfstoff von AstraZeneca zwar leichter zu handhaben ist als jene von Biontech/Pfizer und Moderna, weil er auch bei normaler Kühlschranktemperatur gelagert werden kann. Jedoch beruht er auf einer anderen Technik: In dem von der Universität Oxford entwickelten Vakzin werden sogenannte Vektoren verimpft, also unschädlich gemachte Viren oder Virenbestandteile. Anhand dieser Vorlage baut das Immunsystem der Geimpften dann Antikörper nach, die bei einer Infektion mit dem echten Coronavirus den Angriff abwehren sollen.
Bei Biontech/Pfizer und Moderna werden statt Vektoren einzelne Erbgutabschnitte des Virus verabreicht, die aus sogenannter mRNA bestehen. Sie enthalten den Bauplan für die Virusbestandteile, an denen später die Antikörper andocken sollen. Nachdem diese im Körper nachgebaut werden und die Immunantwort trainiert wird, löst sich die mRNA wieder auf. Die mRNA-Technologie gilt gegenüber der älteren Methode als überlegen – den beiden Impfstoffen wurde eine Wirksamkeit von mehr als 94 Prozent in der Altersgruppe der 18- bis 55-Jährigen bescheinigt, AstraZeneca erreicht in dieser Gruppe 62 Prozent.
Wie geht es weiter mit der Zulassung?
AstraZeneca hatte in der EU vergleichsweise spät einen Zulassungsantrag gestellt. Deshalb ist der Wirkstoff in der EU noch nicht auf dem Markt, während beispielsweise Großbritannien ihn längst verimpft. Bis Freitag will die Europäische Arzneimittelbehörde EMA nun ihre Zulassungsempfehlung aussprechen.
Sollte die EMA die Älteren davon ausnehmen, könnte das auch Auswirkungen auf die Impfstrategie in Deutschland haben: Laut „Handelsblatt“ würden dann möglicherweise mehrere Millionen Dosen fehlen, die für die Altersgruppe der 65- bis 75-Jährigen bestimmt waren.
Ein Totalausfall wäre der Impfstoff jedoch selbst dann nicht. Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU) sagte im ZDF-Morgenmagazin: „Wir werden den Impfstoff auf jeden Fall gut gebrauchen können.“ Man werde auf Basis der Erkenntnisse in der kommenden Woche entscheiden, welche Altersgruppen auf Basis der Zulassungsentscheidung mit dem Wirkstoff von AstraZeneca geimpft würden. Spahn sagte, er halte wenig davon, darüber jetzt in Überschriften zu spekulieren.
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