Wenn Bundesligisten bei Neuverpflichtungen - egal ob Verantwortliche oder Spieler - von Stallgeruch und Vereins-DNA sprechen, dann meist, um den Fans und der Öffentlichkeit zu zeigen: Da kommt einer, der kennt sich hier aus. Der weiß, wie der Hase hier läuft. Der braucht keine Anlaufzeit. Für die Bundesligisten Schalke 04 und den FSV Mainz 05 war genau das der Ansatz, um im Dezember neue Impulse im Abstiegskampf zu setzen. Was sich bei den Königsblauen so langsam zur Slapstick-Nummer entwickelt, scheint bei den Rheinhessen genau den gewünschten Effekt zu haben.
Mitte Dezember 2020 sieht es sowohl für Schalke als auch für Mainz düster aus. Vier beziehungsweise sechs Punkte nach 13 Spieltagen machen selbst die größten Optimisten zu Schwarzsehern. In der kurzen Winterpause sollen Kräfte gebündelt und auf den entscheidenden Positionen nachgebessert werden. Schalke verpflichtet Trainer Christian Gross, der die Bundesliga noch aus Zeiten beim VfB Stuttgart kennt, die letzten Jahren aber bei Klubs in Saudi-Arabien und Ägypten verbracht hat. Dazu kommen Ex-Spieler wie Sead Kolasinac und Klaas-Jan Huntelaar, zwei echte Identifikationsfiguren und Fanlieblinge. Der ehemalige Trainer Huub Stevens wird Aufsichtsratsmitglied, der eher glücklos agierende Vorstand Sport, Jochen Schneider, darf aus Mangel an Alternativen weitermachen - schließlich verkündete der Verein bereits seinen Abgang im Sommer.
Bei Mainz 05 wird vor allem an dem chaotisch agierenden Personal mit Entscheiderfunktionen gerüttelt. Der erfolglose Interimstrainer Jan-Moritz Lichte muss wieder gehen, mit Bo Svensson kommt ein ehemaliger Spieler und Jugendtrainer der 05er - ebenfalls ein Liebling der Fans. Dazu besetzt der Ex-Trainer Martin Schmidt das Amt des Sportdirektors, der ehemalige Manager Christian Heidel wird neuer Vorstand Sport. Eine ganz Menge 05-DNA, die den Abstieg noch verhindern soll. Mit Rouven Schröder geht der alte Sportvorstand, obwohl sich besonders Heidel um einen Verbleib bemüht hatte. Beim Spielermaterial rüsten die Mainzer mit Danny da Costa, Dominik Kohr (beide Eintracht Frankfurt) und Robert Glatzel (Cardiff City) nach - allerdings alles Leihspieler. Die 05-DNA nominiert der neue Trainer Svensson gleich selbst und holt Verteidiger Stefan Bell aus der Versenkung und Stürmer Adam Szalai aus der Verbannung zurück.
Schalkes Spirale falscher Entscheidungen
Rein sportlich funktionierte der Rettungsversuch, mit Bundesliga-erfahrenen und mit königsblauen Genen versehenen Fußballakteuren die Klasse zu halten, bislang noch gar nicht. Das muss man gar nicht auf die Punkteausbeute unter Gross reduzieren, die mit fünf Zählern und dem damit verbundenen ersten Saisonsieg nicht gerade den Erwartungen entspricht. Vielmehr zeigt sich, dass die Neuverpflichtungen nicht die nötigen Impulse liefern. Hunterlaar, der bei Ajax Amsterdam nur noch Edeljoker war, kommt verletzungsbedingt auf magere zehn Minuten Einsatzzeit. Verletzt war er allerdings schon zum Zeitpunkt seiner Verpflichtung. Enttäuschend sind bislang auch die Auftritte von Kolasinac, der als kraftvoller Linksverteidiger auch Offensivaktionen haben soll. Gleich mit der Kapitänsbinde versehen, scheint der Druck den bosnischen Nationalspieler deutlich zu hemmen. Er besinnt sich darauf, in seiner Rolle nichts falsch zu machen - die Risikobereitschaft sinkt auf null, seine Offensivqualitäten bleiben außen vor.
Von mangelnden Impulsen der Neuen angestachelt, verliert sich der Verein im Aktionismus. Schwierige, aber hoch veranlagte Spielertypen wie Amine Harit oder Nabil Bentaleb, die wiederholt gezeigt haben, dass sie nicht die nötige Mentalität für den Abstiegskampf besitzen, werden abermals begnadigt - und sollen den blau-weißen Karren aus dem Dreck ziehen. Zumindest Harit hängt sich rein und scheint begriffen zu haben, dass es um seine Karriere geht, schließlich läuft sein Vertrag noch bis Sommer 2024.
Lage und Stimmung könnten bei beiden Klubs keinen größeren Kontrast darstellen. Der von Mainz' Sportdirektor Schmidt ausgerufene "geilste Abstiegskampf aller Zeiten" entwickelt sich auch so. Nach elf Punkten in den acht Spielen unter Neutrainer Svensson wittern die Rheinhessen wieder Morgenluft, der Relegationsplatz und gar das rettende Ufer sind wieder in greifbare Nähe gerückt. Svensson beweist, dass die Vereins-DNA eine Frage des Mannschaftsgefüges ist und nicht eine der Vereinszugehörigkeit. Er selbst betont ständig, dass der Impuls, härter zu arbeiten, aus der Mannschaft selbst gekommen sei.
"Als Schalker musst du an Wunder glauben"
"Es ist wieder unangenehm, gegen uns zu spielen. Das haben uns die Gegner nach dem Spiel bestätigt", erklärt auch Sportvorstand Heidel im 05-Podcast "Uffgebast & Rangeklotzt". Svensson habe einen Plan entwickelt und das Training umgestellt. "Spieler sagen: Wir haben hier in den letzten Monaten nicht ein einziges Mal so intensiv trainiert wie unter Svensson. Die Art des Trainings hat sich geändert", bestätigt Heidel. Wie gut man im Abstiegskampf wirklich sei, werden man erst wissen, wenn Negativphasen kommen. "Dann darf man nicht alles infrage stellen. Das ist die Kunst, wenn man nicht absteigen will."
Während die Mainzer den Abstiegskampf leben, verfallen die Schalker auf und abseits des Platzes immer wieder in alte Muster. Schneider rechtfertigte sich jüngst noch für die Transferpolitik aus den Vorsaisons, die königsblauen Kicker bauen spielerisch Woche für Woche ab. Sportliche Lichtblicke wie der Nachwuchs-Stürmer Matthew Hoppe gehen da schon fast unter. "Es wurden schon vorher viele falsche Entscheidungen getroffen", analysiert Ex-Schalke-Stürmer Kevin Kuranyi die Situation gegenüber den "Ruhr Nachrichten". "Dann setzt eine Negativspirale ein, die nur unterbrochen werden kann, wenn die richtigen Gegenmaßnahmen getroffen werden. Das hat Schalke leider nicht geschafft". An Wunder müsse man als Schalker laut Kuranyi aber immer glauben.
Quelle: ntv.de
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