Jetzt ist wirklich Schicht im Schacht

  08 März 2021    Gelesen: 562
  Jetzt ist wirklich Schicht im Schacht

Ein Sieg gegen den FSV Mainz am Freitagabend hätte das Fußball-Wunder des FC Schalke in der Bundesliga minimal möglicher erscheinen lassen. Aber dafür hätte die Mannschaft das machen müssen, was sie seit Monaten nicht mehr tut.

Am Freitagabend, um 20.33 Uhr, da sah die Fußball-Welt des FC Schalke 04 wirklich prima aus. Sieben Mal mehr Pässe als der FSV Mainz 05 hatten die Gelsenkirchener gespielt, sie hielten zu 88 Prozent den Ball an den eigenen Füßen und sie gewannen dreimal so viele Zweikämpfe wie der Tabellen-17. der Bundesliga. Zahlen, wie eine geschriebene Dominanz. Einziger Makel: Um 20.33 Uhr war noch kein königsblauer Torschuss verbucht, es stand 0:0. Und das Beste an diesem 0:0 aus Schalker Sicht: Es hatte auch gegen 22.20 Uhr noch Gültigkeit, denn da war das Abstiegs-Duell der beiden schlechtesten Teams der Saison zum Glück gerade beendet.

Wichtigste Erkenntnis an diesem Remis: Auch Dimitrios Grammozis, der fünfte Schalker Trainer der Saison, ist kein Rumpelstilzchen. Auch er kann aus Königsblau kein Gold spinnen. Auch er kann dieser Mannschaft, deren Einzelkönner in der (etwas weiteren) Vergangenheit durchaus schöne Dinge mit dem Ball angestellt haben, die Angst vor ihrem Beruf nicht nehmen. Auch er wird den Abstieg in die 2. Bundesliga nicht vermeiden können. Zu erschreckend war das, was sich nach 20.33 Uhr auf dem Rasen der heimischen Arena abspielte (spielte ist eigentlich ein zu großes Wort): Zwei (!) zu 19 (!) Torschüsse sagte die Statistik am Ende aus. Zwar waren sowohl der Kopfball von Weltmeister Shkodran Mustafi als auch der Schuss von Nationalspieler Suat Serdar gute Chancen, aber eben nicht zielerreichend.

Ein kolossal schwieriges Bauprojekt

Nun trifft Grammozis die allergeringste Schuld an diesem Chaos. Nach nur zwei Tagen bei der Mannschaft, am dritten wurde bereits gespielt, konnte er freilich nicht das kitten, was sich in den vergangenen 14 Monaten an Rissen aufgetan hatte. Was er selbst wohlmeinend verkündete: "Wir können keine Wunderdinge in zwei Tagen vollbringen." Aber was ihn bei aller Einsatzbereitschaft seiner Fußballer wirklich aufschrecken wird, neben der Tatsache, dass das Offensivspiel komplett in Schutt und Asche liegt: Das Team hat ein offenkundiges konditionelles Problem. Nur mit reichlich Glück stolperten die Spieler das Remis humpelnd und japsend über die Zielelinie. Die Gestaltung von Trainings- und Rehaarbeit unter Ex-Trainer Christian Gross und Ex-Athletiktrainer Werner Leuthard soll mehrere Spieler verwundert haben (ungeachtet der angeblichen Revolte). Geäußert wurden Beschwerden schon nach der Ära von Schalkes erstem Trainer in dieser Spielzeit, David Wagner.

Das Gute für Grammozis ist: Nachdem die Abrissbirne am Freitagabend nun auch die letzte Wand des brüchigen Erstliga-Hauses Schalke in Trümmer geschlagen hat, muss er sich mehr nicht mit statischen Sinn- und Hoffnungslosigkeiten aufhalten. Der 42-Jährige kann ohne jede Umschweife mit dem Neubau beginnen. Der wird wegen innerbetrieblicher Restriktionen indes schwierig genug. Die Rahmendaten des Bauprojekts: Wenig Geld, große Ambitionen. Denn der nun ja unvermeidliche Abstieg – auf Relegationsrang 16 beträgt der Rückstand quasi schon zehn Punkte (neun Zähler plus ein absolut katastrophales Torverhältnis) – soll und darf (wegen der Kohle) wohl lediglich als ein peinlicher Ausrutscher durchgehen.

Grammozis liefert kleinen Vorgeschmack

Die Mannschaft, die sich ab Sommer in Liga zwei beweisen muss, sie wird kaum noch etwas mit der ohne Sinn und Verstand erkauften, völlig überschätzten zu tun haben, die seit Anfang 2020 gnadenlos und ohne Auszeit dem totalen Untergang entgegenstümpert. Das kann durchaus zu einer dringend nötigen und sicher sehr willkommenen Kaderhygiene führen. Denn eine Reihe von massiv überbezahlten Stars (im Selbstbild) aus den Amtszeiten von Christian Heidel und Jochen Schneider werden den Klub verlassen. Zu ihnen zählen ganz sicher Spieler wie Harit, Serdar, Salif Sané, Omar Mascarell oder aber Mark Uth. Bleiben werden Talente aus der Knappenschmiede, unter ihnen mit Matthew Hoppe und Malick Thiaw die derzeit mutmaßlich größten, und eventuell noch der eine oder andere Gestandene, wenn er denn seinen Teil zu einem würdevollen Saisonfinale beiträgt.

Anders als sein Vorgänger Gross, der immer wieder dieselben erfahrenen Spieler in derselben Formation aufgeboten hatte, experimentierte Grammozis - taktisch und personell. Wie so (s)eine neue Mannschaft aussehen könnte, nun, davon gab es am Freitag (auch aus der Verletzungsnot heraus) eine erste Ahnung: Mit Thiaw, Hoppe, Debütant Kerim Calhanoglu und Can Bozdogan standen vier Spieler in der Startelf, die noch in der U19 spielen dürften. Hinzu kommt Timo Becker, der bereits im Lauf der Saison den Sprung aus der U23 in die Stammformation der Profis geschafft hat. Und mit Sead Kolasinac stand sogar noch ein sechster Mann auf dem Rasen, der im Unterbau ausgebildet wurde. Die Leihgabe vom FC Arsenal auch in Liga zwei an den Klub zu binden, das wäre der spektakulärste und emotional wirkungsvollste Coup, den Grammozis und der neue sportliche Leiter Peter Knäbel landen könnten.

Grammozis bereitet radikalen Umbau vor

Nach der nun wohl endgültig letzten vergeigten Chance auf das Wunder, rüstet der neue Trainer auch bereits verbal für den radikalen Umbau auf. Der Klub habe "eine der besten Jugendabteilungen überhaupt, dann wäre es für mich als Trainer doch fatal, wenn ich darauf nicht zurückgreifen würde", sagte der Coach den Zeitungen der Funke Mediengruppe am Sonntag. Auch fußballerisch strebt der 42-Jährige einen Neustart an. Wobei Neustart ja beinhalten würde, dass es zuletzt überhaupt eine fußballerische Idee gegeben habe: "Wir wollen in Zukunft keine Mannschaft sein, die nur ackert und die Bälle rausschlägt", verkündete Grammozis. "Wir wollen auch Torchancen kreieren und attraktiv sein für die Menschen, die irgendwann wieder ins Stadion kommen. Das ist unser Auftrag für die Zukunft."

Auch strukturell geht der Blick nach unten: "Hauptschwerpunkt ist natürlich, wenn man sich die Situation anguckt, die Planung für die Zweite Liga", bekannte Knäbel im Sport1-"Doppelpass" am Sonntag. "Wir müssen uns natürlich angucken, welche Qualitäten in der Zweiten Liga gefragt sind. Wir müssen sehen, dass wir aus den Fehlern, die andere Großvereine in der Zweiten Liga gemacht haben, lernen." Der Sportliche Leiter hat dabei durchaus erkannt, dass es mit dem aktuellen Team mit den derzeitigen Problemen selbst im Unterhaus schwierig würde. "Wir müssen die richtigen Leute holen, die die Zweite Liga annehmen, die aber auch ein Stück weit besser sind und die Qualität anheben können", erklärte Knäbel. "Es ist auch sehr wichtig, sich von Anfang an oben zu positionieren."

Oben positionieren, das klingt so weit von der Schalker Realität am Freitagabend nach 20.33 Uhr.

Quelle: ntv.de


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