Gerrards Erfolg gefährdet Liverpools Plan

  14 März 2021    Gelesen: 583
  Gerrards Erfolg gefährdet Liverpools Plan

Nie konnte Steven Gerrard mit dem FC Liverpool englischer Fußballmeister werden. Der langjährige Kapitän verlässt den Klub, bevor Jürgen Klopp die Reds umkrempelt und zum Titel führt. Während es nun beim Deutschen kriselt, bietet sich Gerrard scheinbar als Nachfolger an.

Eigentlich ist es schon beschlossene Sache. Jürgen Klopp weiß es, Steven Gerrard sowieso und an der Anfield Road ist es wohl ein offenes Geheimnis. Irgendwann - früher oder später - wird Vereinsikone Gerrard als Trainer zum FC Liverpool zurückkehren. Es ist nur eine Frage der Zeit. Eigentlich. Der Ex-Weltklassespieler arbeitet aktuell bei den Glasgow Rangers. Er und Klopp haben beide bei ihren Klubs (zufällig) einen Kontrakt bis Sommer 2024. Den Bundestrainer-Job hat Klopp abgelehnt, der Plan, ihn im Fall der Fälle mit Gerrard zu ersetzen, soll schon bereitgelegen haben.

Auch wenn das nicht eingetreten ist, könnte es deutlich schneller gehen, als gedacht. Klopps Liverpool weckt mehr und mehr Erinnerungen an sein letztes BVB-Jahr. In der Premier League legten sie zuletzt eine nie dagewesene Heimserie hin: sechs Pleiten am Stück. Ende Dezember waren die Reds noch Tabellenführer, alles sah nach einer guten Chance auf die Titelverteidigung aus. Inzwischen haben sie 25 Punkten Rückstand auf Manchester City und sind auf Tabellenplatz sieben abgerutscht. Ein Lichtblick ist der Viertelfinal-Einzug in der Königsklasse.

Nicht nur deshalb wird so mancher Liverpool-Fan sehnsuchtsvoll nach Glasgow blicken. Dort sehen sie, wie eine Hälfte der Stadt am vergangenen Sonntag eskalierte, wie Corona-Regeln über den Haufen geworfen wurden, wie Pyrotechnik in den Straßen brannte. Sie sehen auch, wie ihr Gerrard, in einem Anzug und Bier-durchnässt auf dem Bauch über den Kabinenboden schlitterte. Am Wochenende holten er und sein Team erstmals seit zehn Jahren wieder die schottische Meisterschaft. Beinahe wäre dem großen Dauerrivalen Celtic Glasgow erstmals der ganz große Coup gelungen: zehn Titel in Folge. Für die Menschen aus dem Stadtteil Ibrox wäre es die fußballerische Horror-Vorstellung gewesen.

Kein "Bullshit" und auch kein Erfolg

"Dieser Klub war in der Hölle - jetzt ist er zurückgekommen", sagte der 40-jährige Gerrard noch vor dem Titelgewinn. Die Rangers-Fans mussten nicht nur mitansehen, wie Celtic von einer Meisterschaft zu nächsten spazierte. Denn die Feier war auch deshalb so ekstatisch, weil der Klub 2012 kollabierte. Wegen einer immensen Schuldenlast gingen die Rangers in die Insolvenz und stiegen zwangsweise in die vierte Liga ab. Als Gerrard sechs Jahre später nach Glasgow kam, war die Rückkehr ins Ligaoberhaus zwar perfekt, aber der Klub konnte von (früheren) glorreichen Zeiten weiter nur träumen.

Für beide Seiten war das Engagement deshalb von Risiko: Gerrard ließ sich ohne große (Cheftrainer-) Erfahrung zu haben oder die Liga zu kennen, auf einen (sehr) großen Verein ein, der sofort Erfolg wollte. Eine Ausgangslage, die eigentlich dafür gemacht ist, dass es schiefgeht. Und so zog es sich zu Beginn. Gerrard soll Ibrox von Anfang an zur "Null-Bullshit-Zone" erklärt und auf knallharte Disziplin gesetzt haben. Der Erfolg blieb dennoch erstmal aus.

In seinen ersten zwei Jahren konnten die Rangers keinen einzigen Titel holen, normalerweise übersteht das dort kein Übungsleiter. Vor allem das Viertelfinal-Pokalaus gegen den Abstiegskandidaten Heart of Midlothian in der zweiten Saison hätte Gerrards Ausflug nach Schottland beinahe vorzeitig beendet. In der Liga blieben die Rangers stets hinter Celtic auf Platz zwei. Doch dann kam die Corona-Zwangspause. Gerrard nutzte die Zeit, arbeitete intensiv mit seinem Team und formte eine Art Mini-Liverpool, wie Benfica-Trainer Jorge Jesus feststellte: "Das System ist ähnlich zu dem von Liverpool, nur die Spieler sind andere."

Auch die Ergebnisse der Gerrards Elf erinnerten an die zuletzt verloren gegangene Dominanz des Klopp-Teams. Die Saison 2020/21 begann damit, dass die Rangers einen Uralt-Startrekord knackten. Seit Celtic 1906 gelang es keinem schottischen Team mehr, in den ersten sechs Spielen kein Gegentor zu bekommen. In der gesamten Meistersaison wurde (außer im Pokal) kein Spiel verloren, in 32 Spielen kassierten sie nur neun (!) Gegentreffer. Der angenehme (und für Fans äußerst wichtige) Nebeneffekt ist, dass auch das "Old Firm", das schottische Derby, plötzlich wieder gewonnen wurde. Seit dem Zwangsabstieg konnten die Rangers nur 6 der 22 Duelle für sich entscheiden, fünf davon unter Gerrard.

"Zu clever" für Klopps Nachfolge?

Das erreichte er mit viel Disziplin und wenig spektakulären Transfers. Auch wenn er verhältnismäßig viel Geld in den Kader investieren konnte (pro Saison ca. 11 Mio. Euro, aber anders als Celtic ohne nennenswerte Abgänge), sind die Leistungsträger des Kaders nicht über die Grenzen der Insel hinaus bekannt. Sein bester Scorer in dieser Saison ist Rechtsverteidiger und Kapitän James Tavernier. Den Problemprofi und Angreifer Alfredo Morales, der zweitbeste Torschütze des Teams, hat er auch mit Strenge wieder hinbekommen.

Mit der Meisterschaft hat Gerrard die große Sehnsucht der Rangers erfüllt. Bei seinem FC Liverpool hat der Ex-Mittelfelddirigent allerdings noch eine Rechnung offen: Während seiner sagenhaften Karriere konnte er nie englischer Meister mit den Reds werden. Gerrard selbst gilt als großer Bewunderer von Klopps Arbeit und schaute ihm als Jugendtrainer hin und wieder über die Schulter. Die Tatsache Liverpool verlassen zu haben, bevor der deutsche Trainer kam, bezeichnete er mal als den größten Fehler seiner Karriere. Warum also nicht das Erbe von Klopp übernehmen, für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass der im Sommer entlassen wird? Sein eigener Erfolg bei den Rangers scheint ihn dafür zu prädestinieren.

Doch Ex-Mitspieler Dietmar Hamann zerstört die Fußball-Romantik im "Kicker": "Dafür ist er zu clever." Nostalgie hin oder her: "Er wird und will nicht auf Klopp folgen. Dafür sind die Fußstapfen zu groß." Hamann bleibt skeptisch. Trotz der schottischen Meisterschaft sei es noch zu früh, um zu beurteilen, ob Gerrard auch neben dem Platz eine Institution sei. Mit einer voreiligen Rückkehr "zu einem Verein, bei dem man Heldenstatus genießt, könnte man sehr viel kaputt machen", so Hamann. Gerrards früher Trainer-Erfolg könnte das Bild also verzerren und der Plan, mit der Vereinslegende eine Ära zu begründen, zu früh aktiviert werden, obwohl der 40-Jährige noch nicht bereit dafür wäre. So oder so. Irgendwann wird es passieren, dass Gerrard an die Anfield Road zurückkehrt. Doch in seinem Interesse sollte sein Herzensklub nichts überstürzen.

Quelle: ntv.de


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