"Jungs, auch wenn es aus und vorbei ist, blamiert euch nicht weiter, verabschiedet euch anständig aus dem Europapokal." Bayer Uerdingens damaliger Coach Karl Heinz Feldkamp appellierte in der Halbzeit angesichts eines 1:3-Rückstandes in der Kabine fast flehentlich an seine Schützlinge. Es ging eigentlich nur noch um Schadensbegrenzung.
45 Minuten später stand jedoch ein 7:3-Triumph der Werkskicker, die sich in der zweiten Hälfte förmlich in einen Rausch spielten und Dynamo Dresden im Europapokal der Pokalsieger nach allen Regeln der Kunst entzauberten. An diesem Freitag jährt sich der Thriller in der Grotenburg-Kampfbahn in Krefeld zum 35. Mal.
Vergessen war nach dem Abpfiff, dass es beim live übertragenden Sender ZDF viele Anrufer in der Halbzeitpause gegeben hatte, die darauf drängten, die Übertragung angesichts des Rückstandes von Uerdingen abzubrechen. Als die unglaubliche Aufholjagd perfekt war, glich das Stadion einem Tollhaus.
Fans schämen sich bis heute
"Unfassbar, ich sitze auf Wolke sieben", kommentierte damals Bayer-Präsident Arno Eschler und erhöhte spontan die Prämie für die Bayer-Kicker für den Einzug ins Halbfinale von 7000 auf 10.000 Mark. Das Magazin "11Freunde" kürte das Fußball-Wunder von Krefeld sogar zum größten Fußballspiel der Historie, über 200 Journalisten, Trainer und Spieler hatten den Fußball-Thriller ausgewählt.
Noch heute schämen sich Hunderte Fans aus Krefeld. Denn scharenweise hatten sie am 19. März 1986 angesichts des 1:3-Rückstandes von Bayer zur Halbzeit die Grotenburg-Kampfbahn im deutsch-deutschen Duell verlassen. Die Sachsen hatten schon das Hinspiel 2:0 gewonnen, es schien auf ein Debakel des Sensations-DFB-Pokalsiegers von 1985 hinauszulaufen. Doch diejenigen, die gegangen waren, bereuten später ihre Entscheidung. Denn sie verpassten eine historische Aufholjagd der Uerdinger.
Doch nicht nur die unglaubliche Wende im Spiel durch Treffer von Wolfgang Funkel (57., Foulelfmeter/79., Handelfmeter), der insgesamt dreimal traf, Wolfgang Schäfer (66./87.), Larus Gudmundsson (62.) und Dietmar Klinger (78.) ging in die Fußball-Historie ein. Dynamo-Spieler Frank Lippmann nutzte das Spiel, um sich von seiner Mannschaft abzusetzen und bei Verwandten in Nürnberg zu bleiben.
Lippmann "machte rüber"
Nach der Rückkehr ins Teamhotel hatte er einen Bekannten in dessen Zimmer aufgesucht. "Wir sind dann mit dem Aufzug in die Tiefgarage runter. Dort stand sein Auto und wir sind in einem Rutsch nach Nürnberg gefahren", berichtete Lippmann im "Kicker". In der DDR-Presse war schnell von "Verrat" die Rede.
Aufseiten der Dresdner kickten damals auch die jungen Ulf Kirsten und Matthias Sammer sowie Ausnahme-Libero Hans-Jürgen Dixie Dörner, Coach von Dynamo war Klaus Sammer. Diesem wurde Lippmanns Flucht zur Last gelegt, er wurde am Saisonende als Chefcoach abgelöst. "Ich persönlich habe es damals abgelehnt, den Job weiterzumachen, weil meine Ablösung nur noch Formsache war. Erich Mielke (Minister für Staatssicherheit, Anm.d.Red.) und Manfred Ewald (DDR-Sportchef, Anm.d.Red.) haben mich damals als Trainer zum Abschuss freigegeben, da unser Ausscheiden ihrer Meinung nach 'klassenschädigend' war", berichtete Klaus Sammer rückblickend.
Quelle: ntv.de, ara/sid
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