Der Generation Corona fehlt mehr als die Schule

  23 März 2021    Gelesen: 565
Der Generation Corona fehlt mehr als die Schule

Seit Monaten sitzen viele Jugendliche mittlerweile zu Hause, lernen überwiegend am Computer für die Schule oder die Uni. Wie es ihnen damit geht, spielt in den Corona-Debatten nur selten eine Rolle. Das zeigt die "Jugend und Corona"-Studie.

Geburtstage, zu denen keine Freunde kommen können. Abschlussfeiern, die nur digital stattfinden. Sport-Training, das einfach überhaupt nicht mehr stattfindet, ebenso wie Partys oder Reisen. Das Leben junger Leute war schon einmal deutlich spannender als jetzt zu Corona-Zeiten. Doch die einzige Frage, bei der junge Menschen in der Corona-Debatte zumindest erwähnt werden, ist die, ob und wie Schulen jetzt wieder öffnen können.

"Jugendliche fühlen sich durch Corona stark belastet und zu wenig gehört", sagt Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung ntv.de. Das geht aus zwei Befragungen hervor, die die Universitäten Hildesheim und Frankfurt/Main unter dem Titel "Jugend und Corona" durchgeführt haben und die in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung ausgewertet wurden. An den Erhebungen hatten im April/Mai und November 2020 insgesamt 12.500 junge Menschen teilgenommen.

In Online-Workshops, in denen die Ergebnisse der Befragung mit Jugendlichen diskutiert wurden, fanden die jungen Leute deutliche Worte. Stein, die Bildungsexpertin der Stiftung, fasst es so zusammen: "Sie sollen funktionieren und lernen. Wie es ihnen tatsächlich geht, sagen die Jugendlichen, interessiert insbesondere die Politik nicht." Ihr Eindruck ist, solange sie selbst nicht krank seien, sollen "die jungen Menschen funktionieren".

Angst und Einsamkeit

Dabei werden Belastungen und vor allem auch Ängste weitgehend ausgeblendet. "Viele haben Angst davor, was in der Zukunft kommt", berichtet Stein. "Wer vor dem Schulabschluss steht, eine Berufsausbildung beginnt oder abschließt, sorgt sich wirklich darum, wie es für ihn oder sie persönlich weitergeht. 69 Prozent sind der Befragung zufolge, und sei es nur teilweise, von Zukunftsängsten geplagt. Junge Leute machen sich aber auch Sorgen um ihre Mitmenschen, ihre Familien. Sie haben Angst, selber dazu beizutragen, dass jemand krank wird." 64 Prozent stimmen in der Erhebung zum Teil oder voll zu, psychisch belastet zu sein. Teilweise oder dauerhaft einsam fühlen sich 61 Prozent der befragten jungen Leute.

Auch die finanziellen Befürchtungen haben deutlich zugenommen. Ein Drittel der Jugendlichen (34 Prozent) gab an, finanzielle Sorgen zu haben, vor Corona lag ihr Anteil noch bei etwa einem Viertel. Für die Bertelsmann-Expertin ist das nicht besonders überraschend. Für Jugendliche, bei denen es vorher finanziell eng war, sei die Situation noch schwieriger geworden. "Schon vor Corona war jedes fünfte Kind, jeder fünfte junge Mensch von Kinderarmut betroffen und lebte in einer Familie, die zu wenig finanzielle Mittel hat, um Kinder dauerhaft gut aufwachsen zu lassen."

Diese Familien seien nun auch von Corona besonders betroffen, weil sie geringe Einkommen haben, nur geringfügig beschäftigt sind oder ihre Jobs jetzt auch ganz verloren haben. Jugendliche aus diesen Familien sind es zudem oft gewohnt, die finanziellen Engpässe selbst auszugleichen. Aber auch deren Nebenjobs fielen fast alle weg. "Da sind die Finanznöte und -sorgen der Eltern gewachsen und das überträgt sich auf die Kinder." Die Bertelsmann-Experten verweisen deshalb auf ihren Vorschlag eines sogenannten Teilhabegelds. Dies soll alle staatlichen Leistungen für Kinder bündeln, um die Bekämpfung von Armut einfacher und unbürokratischer zu ermöglichen.

"Keine verlorene Generation"

Als wenig hilfreich erweist sich auch der Stempel der "Generation Corona". "Dabei wird so getan, als wären die jungen Leute jetzt verloren", meint Stein. Das trage zusätzlich dazu bei, vorhandene Ängste zu verstärken. Stein nennt es "von der Erwachsenengesellschaft unverantwortlich", diese Befürchtungen zu schüren, anstatt Mut zu machen. "Natürlich ist das keine verlorene Generation, es ist eine schwierige Phase, in der man jungen Leuten helfen muss, Zukunftsperspektiven zu entwickeln."

In vielen Medien wird jedoch ein gänzlich anderes Bild junger Leute in der Corona-Zeit gezeichnet. Dort gelten sie häufig als Regelbrecher, die trotz der Bedrohungen durch das Virus Partys feiern. "Dabei ist der allergrößte Teil sehr zurückhaltend", stellt Stein fest. 80 Prozent der befragten Jugendlichen gaben an, dass sie ihre sozialen Kontakte maßgeblich eingeschränkt haben. "Sie nehmen große Rücksicht auf andere, das wird aber gar nicht gesehen und anerkannt."

Dabei ist im Alltag junger Menschen kaum noch etwas von dem übrig, was vor der Pandemie wichtig war. Freunde zu sehen, ist eine Herausforderung geworden und macht digital nicht einmal halb so viel Spaß wie an den vertrauten Treffpunkten. "Die Jugendlichen haben das Gefühl, ihr Leben findet gar nicht mehr statt. Es wird in der öffentlichen Debatte auf das Schulthema und das Lernthema reduziert", so Stein. Kaum zur Sprache kommen ausgefallene Abschlussfeiern oder auch die work-and-travel-Reisen bevor das Studium losgeht oder man in den ersten festen Job wechselt. Das seien aber entscheidende Dinge, die für die Entwicklung von jungen Menschen wichtig sind, so Stein. Es gehe nicht nur um das Feiern an sich, "aber auch das ist relevant". Vor allem aber gehe es darum, "dass man mit einer Abschlussfeier einen wichtigen Meilenstein abschließt".

Wichtige Erfahrungen verloren

Bei Reisen oder einem Auslandsjahr müsse man sich zudem klarmachen, dass das Dinge sind, die möglicherweise niemals nachgeholt werden können. Denn diese Aktivitäten fielen ja bewusst in die Übergangszeiten zwischen zwei Lebensabschnitten. "Insofern hat es gravierende Auswirkungen, weil Erfahrungen fehlen werden, das Ausprobieren und auch das Überwinden von Widrigkeiten."

65 Prozent der Jugendlichen meinen, dass ihre Sorgen gar nicht gehört werden. "Sie finden sogar zunehmend, dass sie außen vor bleiben und das sogar dann, wenn es um ihre eigenen Belange geht", erläutert die familienpolitische Expertin der Bertelsmann-Stiftung. Das ist für Stein besonders alarmierend. "Junge Menschen müssen sich breit und kontinuierlich beteiligen können, nicht nur manchmal im Einzelfall. Das ist ihr Recht." Zudem müssten ihre Bedarfe als Kinder und Jugendliche wahrgenommen und systematisch erfasst werden, "sowohl im Hinblick auf finanzielle Möglichkeiten, aber auch im Hinblick auf soziale Kontakte oder Mobilität".

Erstaunlicherweise können junge Menschen der Corona-Zeit aber auch etwas Gutes abgewinnen. "Manche sagen, dass sie diese erzwungene Entschleunigung schätzen und froh sind, dass es weniger Druck gibt, immer irgendetwas zu machen", so Stein. Auch das Erleben von Solidarität und Gemeinschaft erlebten einige als sehr positiv. Bei manchem könnte sich Corona noch als echter Katalysator erweisen. Denn eine ganze Reihe von Befragten sagten, dass sie durch diese Corona-Erfahrung mehr Interesse haben, sich gesellschaftlich zu engagieren. "Das zeigt deutlich, dass junge Leute mitgestalten wollen. Umso gravierender ist der Befund, dass sie das Gefühl haben, es interessiert überhaupt niemanden."

Quelle: ntv.de


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