Wie Corona den Arbeitsalltag in der Psychiatrie erschwert

  08 April 2021    Gelesen: 956
Wie Corona den Arbeitsalltag in der Psychiatrie erschwert

Nach seiner Ausbildung zum Krankenpfleger bekam Cem seine Wunschstelle in der Psychiatrie. Doch wegen der Pandemie fallen Trainings und Therapien aus. Jetzt hat er Konsequenzen gezogen.

»Mit einer abgeschlossenen Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpfleger im Gepäck zog ich im August 2020 in die Großstadt. Dieser Schritt hatte für mich schon lange festgestanden. Wegen des Pflegenotstands kann ich mir meinen Arbeitsplatz quasi aussuchen. Da ich Abwechslung mag, entschied ich mich für die Psychiatrie, dort ist jeder Tag anders.

Erst war ich euphorisch: neue Stadt, neuer Job – und das mitten in der Coronapandemie. Gerade die erhöht den Druck auf uns Pflegende aber noch weiter, auch in der Psychiatrie.

Auf einer Station für schizophrene Menschen
Ich arbeite auf einer Station für schizophrene Menschen. Meine Aufgaben dort gleichen denen eines Pflegers im Krankenhaus: Ich nehme Blut ab, behandle Wunden, versorge die Patienten mit Medikamenten und erstelle Pflegepläne. Allerdings leiden meine Patientinnen eben unter psychischen Erkrankungen – das unterscheidet sich schon sehr von der herkömmlichen Krankenpflege. An meinem ersten Tag in der Psychiatrie war ich deshalb vollkommen reizüberflutet.

Auf der Station geschehen hundert Dinge gleichzeitig, die Dynamiken waren für mich anfangs unüberschaubar. Während eine Patientin eine Schreiattacke nach der anderen hatte, sprang ein Patient mit Wahnvorstellungen impulsiv im Flur herum. Ich kam mit dem Nachfragen gar nicht hinterher. Wegen des Personalmangels waren meine Kolleginnen und Kollegen aber sowieso schon überlastet, eine wirkliche Einarbeitung fand deshalb nicht statt.

Ich hatte keine andere Wahl, als sehr schnell eigenverantwortlich zu werden – ich war ja schließlich ausgelernt. Doch der Umgang mit den schizophrenen Menschen überforderte mich, die Kommunikation mit psychisch Kranken hatte ich in der Berufsschule nicht gelernt. Ich sollte zwar eine berufspraktische Fortbildung dazu bekommen, die musste wegen der Corona-Auflagen aber ausfallen – genauso wie das vorgesehene Deeskalationstraining für gefährliche Situationen.

Überhaupt habe ich den Eindruck, dass Corona die angespannte Pflegesituation auf der Station noch verstärkt. Oft sind das vermeintliche Kleinigkeiten: Unsere Patienten reagieren zum Beispiel sehr sensibel auf Gestik und Mimik. Die vorgeschriebenen FFP2-Masken verdecken aber mein halbes Gesicht, die ohnehin labilen Patienten können meine Körpersprache deshalb oft nicht richtig deuten. Das erfordert unglaublich viel Empathie und Geduld.

Sportangebote und Entspannungsverfahren wie Ohrakupunktur oder Aromatherapie sind durch die Corona-Regeln nur noch eingeschränkt möglich. Auch dadurch werden die Patientinnen und Patienten immer unausgeglichener – einige sogar aggressiv. In letzter Zeit mussten wir vermehrt Menschen fixieren. Bei einer Fünf-Punkt-Fixierung werden Arme und Beine sowie der Bauch mit Gurten mechanisch eingeschränkt. Sie ist das letzte Mittel, um sich selbst, aber auch die eskalierte Person zu schützen.

spiegel


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