Fabio Jakobsen ist Sprinter. Er weiß um die Gefahr bei engen Zielankünften in höchstem Tempo, Stürze gehören zum Radsport dazu. Und doch hätte er nicht damit gerechnet, mal in ein solches Unglück verwickelt zu sein. Vor acht Monaten war nicht einmal sicher, ob der Niederländer die nächste Nacht überstehen würde. Mit schwersten Kopfverletzungen, entstelltem Gesicht, nur noch einem einzigen Zahn im Mund: »In dieser dunklen Phase hatte ich Angst, nicht zu überleben«, sagte er.
Dass dieser Jakobsen am kommenden Sonntag bei der Türkei-Rundfahrt sein Comeback feiern wird, ist nicht selbstverständlich. Für Jakobsen selbst ist es das größte Geschenk. »Ich bin extrem dankbar«, sagte der 24-Jährige, der die schwerste Zeit seiner Karriere, seines Lebens hinter sich hat.
Mit Tempo 80 gegen die Zielaufbauten
Es war die erste Etappe der Polen-Rundfahrt, eines der ersten Rennen nach dem Corona-Restart, die Fahrer womöglich überehrgeizig, aber ohne Rennpraxis, das Finale hektisch. Im Sprint um den Sieg drängt der Niederländer Dylan Groenewegen seinen Landsmann auf der zuvor schon wegen ihrer Gefährlichkeit kritisierten abschüssigen Zielgeraden in die Streckenbegrenzung, Jakobsen fliegt mit Tempo 80 gegen die Zielaufbauten, verschwindet in einem Orkan von Trümmern.
Während Jakobsen nach Groenewegens Disqualifikation zum Sieger erklärt wird, kämpfen die Ärzte gegen seinen Tod. Zunächst auf der Straße – »die Retter an der Ziellinie haben mir das Leben gerettet«, sagt Jakobsen – schließlich im Krankenhaus von Sosnowiec. Erst als der schwer am Kopf verletzte Jakobsen nach zwei Tagen aus dem künstlichen Koma erwacht, ist die unmittelbare Lebensgefahr gebannt.
In den Tagen nach dem Sturz wurde viel über die Sicherheit im Radsport diskutiert. Der Weltverband UCI hat als Konsequenz zum 1. April neue Regeln eingeführt. So müssen die Veranstalter im Ziel oder an anderen engen Punkten im Rennen die Streckenbegrenzung sicherer machen, wie genau, soll eine begleitende Studie herausfinden. Zusätzlich werden bestimmte Sitzpositionen auf dem Rad verboten.
Heute, nach einem halben Dutzend Operationen, ist Jakobsen wieder voll hergestellt. Sein mit 130 Stichen geflicktes Gesicht, wirkt noch einen Hauch unnatürlich, sein neuer Kiefer, aus Jakobsens Beckenknochen modelliert, enthält provisorische Kunstzähne. »Das wird noch ein paar Monate dauern, bis alles verheilt ist und ich meine neuen Zähne bekommen kann«, sagt Jakobsen.
Das kann er, der so viel schon geschafft hat, verschmerzen, jeden Rennkilometer in der Türkei will er genießen. Und seinen Sprinterinstinkt hat er nicht verloren. »Er wird sich nicht davor fürchten, in einem Massensprint mitzumischen«, sagt Yvan Vanmol, Teamarzt bei Jakobsens Quick-Step-Mannschaft: »Fabio ist bereit für den Wettkampf.«
Sturzverursacher Groenewegen wird Jakobsen in der Türkei nicht begegnen – der ist wegen des Vorfalls noch bis Mai gesperrt.
spiegel
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