Bei Borussia Dortmund spielen eine Menge Fußballer, die ihren Beruf wirklich sehr, sehr gut beherrschen. Nicht nur, wenn sie den Ball an ihren Füßen haben. Auch im Pressing und in der Abwehr stehen bestens ausgebildete Spitzenkräfte. Wenn nun dieses Fachpersonal sehr klar einsehen muss, dass es keine Chance hat, ganz egal, was es auch macht und versucht, dann ist etwas Bemerkenswertes passiert. Und dieses Bemerkenswerte lässt sich an diesem Mittwochabend sehr klar benennen. Dieses Bemerkenswerte heißt nämlich Manchester City. Und dieses Manchester City steht nach einem 2:1-Erfolg im Rückspiel (auch im Hinspiel gab's ein 2:1) erstmals unter der Regie von Coach Josep Guardiola im Halbfinale der Champions League. Verdient. Sehr verdient. Höchst verdient.
Aber auch ein wenig glücklich. Zumindest mit den Pfiffen der Schiedsrichter. Im Hinspiel wurde dem BVB ein Tor von Jude Bellingham aberkannt, nachdem er dem Torwart den Ball vom Fuß gespitzelt hatte (angeblich mit Foul, was aber trotz Berührung ziemlich eindeutig keines war). Und nun kassierten die Dortmunder einen Elfmeter (55.), der den aktuell geltenden FIFA-Regeln entsprechend keiner war. Emre Can köpfte sich einen Ball selbst an den (langen) Arm. Das ist nicht (mehr) strafbar, so sehen es auch unsere Schiedsrichterexperten von "Collinas Erben". Trotz Videoüberprüfung blieb der Schiedsrichter aber bei seiner Meinung. Can haderte: "Ich glaube, in den Regeln steht es so, dass es dann kein Elfmeter ist. Das ist bitter. Schon im Hinspiel wurde uns ein Tor weggenommen."
Den Sky-Experten Dietmar Hamann machte diese Szene derweil rasend, er sah eine "skandalöse" Entscheidung. Er sah den Abend, an dem der "Videobeweis begraben" wurde. Das Regel-Wirrwarr und die Interpretationen beim Handspiel befand Ewald Lienen, ebenfalls Sky-Experte, als "geisteskrank". Auch BVB-Coach Edin Terzic war nicht einverstanden mit dem, was gepfiffen wurde: "Auf den Schiedsrichterschulungen heißt es ganz eindeutig, dass ein Anköpfen des eigenen Armes nicht strafbar ist", ärgerte er sich sehr. "Ich sag mal so: Großes Glück haben wir in den beiden Spielen mit den Entscheidungen nicht gehabt."
Elfmeter ist der "Game Changer"
Nun, eine Gegenstimme gab's auch. Sie erhob Josep Guardiola. Der sah einen "ganz klaren Elfmeter". Gut, das überrascht eher niemanden. Denn dieser Strafstoß war das, was man in diesen Tagen einen "Game Changer" nennt. Zwar war seine Mannschaft vor dieser Szene bereits gnadenlos dominant, aber mit 0:1 in Rückstand - und damit eben raus aus dem Wettbewerb. Riyad Mahrez nahm sich der Sache an, verarbeitete den Ball präzise ins Tor. Die verdiente Antwort auf die frühe Führung der Dortmunder durch den phänomenalen Jude Bellingham (15.). Der 17-Jährige hatte den Ball unter größtem Gegnerdruck in den Winkel geschlenzt. Der Elfmeter, das Tor, die Entscheidung. Die schon zermürbten Borussen wurden nun endgültig zerdrückt. Zwischen den Minuten 60 und 70 waren sie gefühlt kein Mal am Ball. Das 2:1 durch Phil Foden, es war einfach nur die Tor-Konsequenz der Dominanz, auch wenn Torwart Marwin Hitz bei dem harten und platzierten Distanzschuss nicht gut aussah (75.).
Die sensationelle Passsicherheit, diese Klug- und Klarheit im Aufbau, die fast fehlerlose Harmonie zwischen Attacke und Verwaltung, die Resistenz gegen jedes Pressing, eine gefühlte Überzahl überall auf dem Feld, besonders in Ballnähe - was Manchester City nach einer ziemlich verschlafenen Anfangsphase im Dortmunder Stadion ab Minute 15 aufzog, das war einfach Guardiola-Fußball in beeindruckendster Perfektion. Im fünften gemeinsamen Jahr schafften sie es tatsächlich zum ersten Mal ins Halbfinale. Und sind in dieser Form nun Top-Favorit auf das Titelerbe des FC Bayern, der auf surreale Weise am Dienstagabend gegen Paris St. Germain gescheitert war. Eine Sache im Dienste der Chronistenpflicht: City trifft nun auf PSG. Das andere Halbfinale lautet Real Madrid gegen Thomas Tuchel und den FC Chelsea.
Aber bevor er den bislang so beeindruckenden Weg in der Königsklasse weitergeht, wollte sich Guardiola erstmal "Wein gönnen." Und davon durchaus eine Menge, wie er bekannte. Vor Freude. Und aus Stolz. "Bis auf die ersten zehn Minuten waren wir brillant. Ich freue mich riesig, unter den vier besten Teams in Europa zu sein."
Tatsächlich hatte sich der bisweilen geniale Katalane dieses Mal nicht vercoacht. Er hatte auf wilde Experimente verzichtet, die ihm in den vergangenen Jahren (auch beim FC Bayern) regelmäßig das Champions-League-Genick gebrochen hatten. Im Gegensatz zum Hinspiel tauschte er dieses Mal nur den linken Außenverteidiger. Oleksandr Zinchenko ersetzte João Cancelo. Ein bisschen mehr Absicherung gegen die schnellen Dortmunder Angreifer. Es war ein Plan, der funktioniert. Ganz besonders auch, weil Starspieler Kevin de Bruyne abermals ein überragendes Spiel ablieferte, immer Herr des Tempos war. Weil Ilkay Gündogan im Mittelfeld dominierte und das ganze Team in einem irren Rhythmus über Ball und Gegner herrschte. Die Leidenschaft, die der BVB dagegen setzte, reichte einfach nicht, um diese Übermacht zu beherrschen. Immerhin: Einen Vorwurf muss sich in den beiden Duellen kein Borusse gefallen lassen. Die Mentalität stimmte. Dieses Mal war die Wahrheit eine ganz einfache: Man City war viel zu gut, um Dortmund auch nur in die Nähe der angestrebten "Weltsensation" kommen zu lassen.
"... dann waren wir zu wild"
"Bis zum Elfmetertor haben wir es gut gemacht", urteilte Kapitän Marco Reus, der ebenso wie seine offensiven Kollegen Erling Haaland (er traf bereits seit dem 20. März in einem Pflichtspiel nicht mehr! Stichwort: Wechsel-Flöhe im Ohr?) und Ansgar Knauff selten bis nie für Entlastung sorgen konnte. "Nach dem Tor hatten wir kein Konzept mehr, wir waren da zu wild. City hat dann sein perfektes Positionsspiel aufgezogen", schob der 31-Jährige anerkennend und frustriert hinterher. Und wenn die himmelblaue Passmaschine mal richtig ins Laufen kommt, dann ist (wohl) jeder Gegner auf diesem Planeten derzeit chancenlos.
Für den BVB könnte der Knockout auch der Abschied von der so lukrativen Champions League für mindestens ein Jahr gewesen sein. Bei sieben Punkten Rückstand auf den Liga-Vierten erscheint eine erneute Qualifikation für den Wettbewerb unwahrscheinlich. Was das für den Kader der Hochbegabten um Haaland oder den derzeit verletzten Jadon Sancho bedeutet? Unklar. Immerhin im Fall der stürmenden Naturgewalt Haaland gab’s vor Anpfiff eine klare Ansage. Von Sportdirektor Michael Zorc. Er sagte bei Sky: "Fakt ist: Ohne unsere Unterschrift geht nichts. Wir planen mit ihm, unabhängig davon, ob wir uns noch für die Champions League qualifizieren oder nicht." Nun, Fakten und Fußball, diese Verbindung ist nicht immer stabil. Fakt indes bleibt: Sollte Haaland doch gehen, gibt es reichlich Geld für neue Fußballer, die ihren Beruf wirklich sehr, sehr gut beherrschen.
Quelle: ntv.de
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