"Das Alter der Patienten hat sich verändert"

  23 April 2021    Gelesen: 2270
"Das Alter der Patienten hat sich verändert"

Die Universitätskliniken in Essen behandeln seit Monaten Corona-Patienten. Mit jeder Infektionswelle lernen die Ärzte dazu, trotzdem sterben noch immer viele Schwerkranke. Auch deshalb hofft der Chef der Unikliniken, Werner, auf mehr pharmazeutische Forschung. Denn in letzter Zeit werden die Patienten, die mit Covid-19 behandelt werden müssen, jünger.

n-tv.de: In der vergangenen Woche hieß es, dass sich die Belegungszahlen an den Universitätskliniken in Essen dem bisherigen Höchstwert nähern. Wie sieht es inzwischen aus?

Jochen Werner: An der Universitätsmedizin Essen behandeln wir gerade 75 Covid-19 Patientinnen und Patienten stationär, davon 39 intensivmedizinisch. Nach einem kontinuierlichen Anstieg der Patientenzahlen in den vergangenen Wochen beobachten wir derzeit eine relativ stabile Seitwärtsbewegung sowohl bei der Gesamtzahl der Patienten als auch bei den Patienten mit intensivmedizinischer Betreuung. Damit liegen wir unter den Höchstständen der zweiten Welle mit Spitzenwerten von 143 Patienten gesamt und bis zu 50 Patienten auf unseren Intensivstationen. Für eine Entwarnung ist es aber noch viel zu früh.

Ist das der einzige Unterschied gegenüber der ersten Welle?

Nein, bei den genannten Zahlen fällt auf, dass sich das Verhältnis von stationären zu intensivpflichtigen Patienten verändert hat. Es beträgt derzeit rund 1:1, auf dem Höhepunkt der zweiten Welle lag es bei etwa 2,5 zu 1. Bei mittlerweile über 2000 stationär behandelten Patienten, davon über 430 intensivmedizinisch, haben unsere Spezialisten naturgemäß viel mehr Erfahrungen mit diesem neuen Krankheitsbild als noch zum Zeitpunkt der ersten Welle. Damit verbessert sich auch die Einschätzung, welcher Patient eine stationäre Therapie zwingend braucht und welcher nicht. Eine weitere Erklärung für diese Verschiebung ist die spürbare Impfquote der älteren Menschen, die bei uns in einem deutlich geringeren Umfang hospitalisiert werden müssen. Hinzu kommt die im Vergleich zur ersten Welle relevant höhere Anzahl von Infektionen bei unter 30-Jährigen durch die Variante B 1.1.7. Erkrankungen in dieser Altersgruppe machen weniger stationäre Aufnahmen erforderlich. Auch konnten wir stationäre Aufnahmen infizierter Risikopatienten in der Frühphase ihrer Erkrankung durch die Gabe monoklonaler Antikörper vermeiden. Dies bedeutete für die genannte Patientengruppe dann eben auch die Reduktion schwerer Langzeitverläufe. Auf unseren Intensivstationen verzeichnen wir inzwischen ebenfalls eine Abnahme des Durchschnittsalters, was im Umkehrschluss zur Folge hat, dass die Behandlung vergleichsmäßig jüngerer Patienten mit einer zunächst besseren Grundkonstitution nicht selten in einer ECMO-Therapie, also in eine externe Sauerstoffversorgung über eine künstlichen Kreislauf, mündet. Möglicherweise auch als Folge einer Infektion mit der inzwischen vorherrschenden aggressiveren Variante B 1.1.7.

Ist die Sterblichkeit inzwischen niedriger?

Die Konstitution, aber auch die Altersstruktur der Patientinnen und Patienten haben sich in den letzten Wochen verändert. Bei den stationären Covid-19 Erkrankten verzeichnen wir ein Durchschnittsalter von rund 50 Jahren und damit etwa zehn Jahre weniger als während der zweiten Welle. In der Intensivmedizin beträgt das Durchschnittsalter bei uns aktuell 56 Jahre, wenn wir die dritte Welle gesondert analysieren. Wir erwarten, dass sich auch dieser Altersdurchschnitt weiter verringern wird. Die Sterblichkeit von Intensivpatienten ist leider weiterhin hoch. Wenn eine sogenannte invasive Beatmung über einen in die Luftröhre eingeführten Tubus notwendig wird, stirbt über ein Drittel der Patienten. Wenn eine ECMO-Behandlung erforderlich wird, liegt die Sterblichkeit noch höher.

Stimmen die Berichte, dass mehr Menschen mit nichtdeutscher Herkunft unter den Schwerkranken sind?

Wir führen über unsere Patientinnen und Patienten kein Buch bezüglich der Nationalität oder sozio-ökonomischer Faktoren. Das müsste in einer traditionell stark durch Einwanderung geprägten Region wie dem Ruhrgebiet extrem detailliert untersucht werden. Unser Eindruck unterlegt allerdings die Annahme, dass Menschen mit nichtdeutscher Herkunft in relevantem Maße betroffen sind. Was mich umtreibt ist die Frage, wie intensiv diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind, über die von ihnen konsumierten Medien zu Prävention und Folgen der Sars-CoV-2 informiert und aufgeklärt werden. Dieser Ansatz ist auch deshalb wichtig, weil einige Studien darauf hinweisen, dass die Infektionsrate spürbar durch soziale und kulturelle Faktoren mitbestimmt wird. Ein relevanter Faktor dürfte hierfür insbesondere die Wohnsituation sein. Davon unbenommen dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass wir im klinischen Alltag immer wieder feststellen, dass unabhängig von der Nationalität verschiedene individuelle Faktoren für den Krankheitsverlauf entscheidend sind, insbesondere das Alter, mögliche Vorerkrankungen oder Risikofaktoren wie etwa Übergewicht.

Wie hat sich die Behandlung von Covid-Patienten verbessert?

Vor wenigen Tagen flammte die Hoffnung auf einen Game Changer bei der Covid-Therapie auf, die Anwendung des inhalativen Glukokortikoids Budenosid. Im frühen Stadium der Sars-CoV-2-Infektion sollen damit die Zeit bis zur Genesung verkürzt und schwere Verläufe verringert werden. Deutsche und österreichische Lungenspezialisten sehen in den vorgelegten Daten noch keine generelle Empfehlung für den Einsatz dieser Behandlung. Wir sollten vor unkritischen Empfehlungen auf weitere Ergebnisse warten. Davon unbenommen sollten die Patienten auch über diese mögliche Indikation mit den sie versorgenden Ärzten sprechen.

Gibt es noch weitere Ansätze?

Nach den bisherigen Ergebnissen steht Risikopatienten in der frühen Erkrankungsphase mit dem Einsatz bestimmter monoklonaler Antikörper ein wirksames Instrument zur Verfügung. Diese binden an die Spike-Proteine des Virus, womit dessen Eintritt in die Zelle verhindert wird. Damit kann für eine relativ kurze Zeit ein sofortiger Schutz erzielt werden, eine passive Immunisierung. Die Indikation ist sehr genau zu stellen. Über ausgewiesene Zentren können diese Medikamente dann verteilt werden. Nach rund 15 Monaten Pandemie gibt es mittlerweile wichtige Erfahrungswerte im Umgang schwer erkrankten Patientinnen und Patienten, etwa bei der Beatmung oder beim medikamentösen Einsatz, wozu auch die antithrombotische Medikation gehört. Je schwerer jedoch der Krankheitsverlauf ist und je länger der Aufenthalt dauert, desto schmaler wird der Einsatzbereich neuer Medikationen außerhalb des klassischen intensivmedizinischen Instrumentariums. Es gibt leider noch keine wirkungsvolle kausale Therapie für das fortgeschrittene, lebensbedrohliche Erkrankungsstadium. Diese Situation ruft geradezu nach einer dringend notwendigen weiteren Fokussierung pharmazeutischer Forschung auf alternative therapeutische Ansätze im fortgeschrittenen Stadium von Covid-19.

Haben Sie neue Therapien über die bekannten hinaus in der Pipeline?

Die bisher untersuchten medikamentösen Therapien ließen leider noch keine bahnbrechenden Erfolge erkennen. Auf einige Therapieansätze habe ich bereits verwiesen. Bei Intensivpatienten haben wir zudem beispielsweise an Studien zu monoklonalen Interleukin-6-Rezeptor-Antikörpern teilgenommen. Von durchschlagenden Behandlungsoptimierungen zu sprechen, wäre allerdings viel zu früh. Aktuell bleibt es noch dabei, dass die Intensivpatienten unsere größte Herausforderung darstellen. Als eines von noch wenigen Zentren weltweit konnten wir einen jungen Patienten mit schwerstem Covid 19-bedingtem Lungenschaden erfolgreich transplantieren. Nach den bisher gemachten Erfahrungen ist es also unverändert wichtig, die Krankheit möglichst früh zu behandeln. Liegt die Patientin oder der Patient erst einmal auf der Intensivstation, ist das Covid-spezifische Behandlungsinstrumentarium sehr eingeschränkt. Auf absehbare Zeit bleibt es dabei: Der beste Schutz gegen das Virus bleibt die Einschränkung von Kontakten, Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln sowie das Impfen, das glücklicherweise Fahrt aufnimmt.

Wie lange können Sie noch Intensivpatienten aufnehmen?

An der Universitätsmedizin Essen haben wir mit den Erfahrungen der ersten Welle, in der eine Vielzahl von Krankenhausbetten vollkommen ungenutzt leerstanden, ein flexibles Handlungskonzept entwickelt, das die gesamten Kapazitäten in Abhängigkeit von der Anzahl der Covid-19 Patienten tagesaktuell steuert. Derzeit verfügen wir noch über freie Intensivbetten sowohl für Covid-19 als auch für den zahlenmäßig deutlich größeren Bereich an Non-Covid Patienten. Die Anzahl der Intensivbetten für Covid-19 Patienten kann bei Bedarf zu Lasten anderer Fachdisziplinen oder durch den weiteren Verzicht auf bestimmte Eingriffe gesteigert werden. Der tatsächliche limitierende Faktor ist aber nicht die Anzahl an Intensivbetten, sondern das betreuende, hochqualifizierte medizinische Personal. Auch in einer großen Universitätsklinik sind die technischen, vor allem aber die personellen Ressourcen begrenzt. Jede Ausweitung der Kapazitäten für die Behandlung von Covid-19 führt im Umkehrschluss zu einer Einschränkung der übrigen Krankenversorgung, sowohl bei den Intensivkapazitäten als auch beim regulären medizinischen Angebot. Der Druck auf unsere Beschäftigten nimmt in den letzten Wochen wieder spürbar zu. Wir müssen sehr darauf achten, unsere ohnehin schon seit langer Zeit an der Belastungsgrenze arbeitenden Beschäftigten im Intensivbereich, vor allem - aber nicht nur - in der Pflege, nicht zu überfordern.

Wie sieht es inzwischen bei Ansteckungen von Ärzten und Pflegepersonen aus?

Wir spüren mittlerweile sehr positiv die Impfung eines Großteils unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Patientenkontakt. Diese Gruppe unserer Beschäftigten ist fast vollständig geimpft und erkrankt nicht mehr an Covid-19, höchstens noch mit milden Krankheitsverläufen. Das ist für uns ein zentraler Punkt, denn dadurch können wir die Ausfallzeiten signifikant reduzieren und die Arbeit besser auf die gesamten Beschäftigten verteilen. Dies beruhigt und freut mich persönlich ganz besonders, haben sich doch insbesondere alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unmittelbarem Patientenkontakt unter Einsatz ihrer Gesundheit über viele Monate uneigennützig für ihre Patientinnen und Patienten eingesetzt, mit der Möglichkeit, sich selbst zu infizieren und vielleicht sogar lebensgefährlich zu erkranken.

Wie bewerten Sie die Überarbeitung des Bundesinfektionsschutzgesetzes? Sind die Maßnahmen ausreichend und kommen sie noch rechtzeitig?

Es ist für uns im Grunde nicht wesentlich, ob es sich um bundesweite, regionale oder lokale Regelungen handelt. Entscheidend ist einzig und allein, dass zielgerichtet gehandelt wird und die Politik die richtigen Maßnahmen trifft, um die Zahl der Infizierten zu reduzieren. Jede Maßnahme, die zu diesem zentralen Ziel beiträgt, ist sinnvoll. Ich kann es nur immer wieder betonen: Eine geringe Zahl an Infizierten bedeutet nicht nur im Verlauf weniger hospitalisierte Covid-19 Patienten, sondern vor allem eine stabile Versorgung aller anderen teils schwer erkrankten Non-Covid-Patienten, die auch während der Pandemie immer den weitaus größten Anteil der Patienten ausgemacht haben. Auf deren Schultern wird die Pandemie maßgeblich mitgetragen. Ihnen sind wir genauso verpflichtet wie den Covid-19 Patienten. Beispielsweise haben die drei führenden Krebs-Institutionen in Deutschland in einer aktuellen Pressemitteilung darauf hingewiesen, dass sie durch die Ressourcenbindung für an Covid-19 Erkrankte befürchten, dass bei vielen Patienten die Krebserkrankung zu spät entdeckt und damit auch die Heilungschancen verringert würden. Die Folge wäre eine deutlich erhöhte Krebssterblichkeit.

Das klingt, als seien Sie von den Maßnahmen nicht überzeugt.

Es ist schon bemerkenswert, dass seit der letzten Ministerpräsidentenrunde mit der Kanzlerin am 22. März 2021 keine für die Bevölkerung erkennbaren neuen Handlungsstrategien umgesetzt wurden. So fokussierte sich der Blick mehr und mehr auf das Bundesinfektionsschutzgesetz, abwartend, zum Zeitpunkt einer ansteigenden dritten Infektionswelle. In Sachsen wurde zwischenzeitlich die Impfpriorisierung für den AstraZeneca-Impfstoff aufgehoben. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern sicherten sich offensichtlich Lieferungszusagen des russischen Impfstoffs Sputnik V. Wen wundert dann der Ruf nach einer Vereinheitlichung von Vorgaben. In einigen Wochen werden wir feststellen können, ob wir vier wichtige Wochen verloren haben.

Mit Jochen Werner sprach Solveig Bach.

Quelle: ntv.de


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