Werner bringt die Lästerer zum Schweigen

  07 Mai 2021    Gelesen: 3939
  Werner bringt die Lästerer zum Schweigen

Der Chancentod ist diesmal der Umjubelte. Timo Werner hat beim Einzug ins Champions-League-Finale seines FC Chelsea viele Sympathiepunkte gesammelt. Der heftige Spott sowie die generelle Kritik spiegeln allerdings ohnehin nicht seine volle Leistung. Für Chelsea ist Werner wichtiger als vermutet.

Timo Werner - Chancentod? Aber nicht doch! Es läuft die 28. Minute im Rückspiel des Champions-League-Halbfinals zwischen dem FC Chelsea und Real Madrid (2:0). Die bis dahin ohnehin schon früh pressende und stark draufgehende Offensive der Engländer ist wieder einmal unterwegs in Richtung gegnerisches Tor. N'Golo Kanté passt quer zum mitgelaufenen Kai Havertz, der lupft von der Strafraumgrenze mit links über den hinausgeeilten Real-Keeper Thibaut Courtois - trifft aber nur die Latte. Doch Timo Werner ist zur Stelle, springt freistehend vor dem Tor ab und köpft den Ball hinein. 1:0 für den FC Chelsea, eine französisch-deutsch-deutsche Co-Produktion.

"Im Hinspiel war ich der Depp, weil ich den Ball aus fünf Metern nicht reingekriegt habe. Heute habe ich ihn wieder aus fünf Metern bekommen, noch ein bisschen einfacher sogar, ohne Torwart. Es wäre schlimm gewesen, wenn ich den auch nicht gemacht hätte", sagte Werner bei Sky. Der Torschütze, vergangene Woche noch der Chancentod, der noch auf derbere Weisen gescholtene 25-Jährige, ist diesmal der Türöffner in Richtung Finale. "Er kriegt gerade ein dickes Fell", erklärte Trainer Thomas Tuchel nach der Kritik, die im Hinspiel auf seinen Stürmer eingeprasselt war. Bei Twitter, von Experten, ein wenig vom Coach, sogar von einer Spielerfrau. Isabelle Silva, die Frau von Teamkollege Thiago Silva hatte in der Vorwoche bei Instagram gelästert: "Das ist Karma Leute, bei jedem Verein ist vorn immer einer, der Tore vergibt!"

Und diesmal? Werner nahm die Verbalattacke rückblickend gelassen. "Umso mehr freue ich mich, dass ich heute die Frauen, nicht nur sie, sondern auch die anderen meiner Mitspieler glücklich machen konnte", sagte er nach dem Spiel, das durch das Tor in der 85. Minute von Mason Mount mit 2:0 endete. Und auch Silva ist diesmal hochzufrieden: "Du weißt doch, wie man Tore schießt!" Und sogar: "Du bist der Beste, mein Freund!"

"Keine Zeit für Kritik, das war fantastisch"

Der Überschwang über den Einzug ins Finale ist groß. Für Tuchel ist es sogar das zweite Finale in Folge, in der Vorsaison hatte er sich mit seinem damaligen Klub Paris St. Germain erst dem FC Bayern geschlagen geben müssen. Auf die Bemerkung eines Reporters des US-Fernsehsenders CBS, er müsse etwas richtig machen, da ihm dies gelungen ist, antwortete Tuchel amüsiert: "Oder nicht, weil es nicht der gleiche Klub ist."

Diesmal ist es der Klub, in dem Werner und Havertz spielen. Der Klub, den Tuchel seit seinem Amtsantritt am 26. Januar wieder auf Siegkurs gebracht hat. In der Liga von Platz acht auf Platz vier hochgearbeitet, der für die Teilnahme an der Champions League berechtigt ist. In eben jener Königsklasse das Finale erreicht. "Das war eine großartige Leistung und hochverdient", sagte Tuchel nach der Partie. "Wir haben nie den Hunger verloren, wir haben nie die Konzentration verloren. Heute ist keine Zeit für Kritik, das war fantastisch." Tuchel hat eingeschlagen beim FC Chelsea.

Anders als Werner - und auch Havertz. Oder? Klar, die Ablösesumme von 53 Millionen Euro für Werner und gar 80 Millionen Euro für Havertz bringen hohe Erwartungen mit sich. Partien wie das Hinspiel, in dem Werner nicht nur nicht traf, sondern auch ansonsten völlig indisponiert wirkte mit falschen Läufen, vertändelten Bällen und schließlich sogar der Reaktion seiner Mitspieler, ihn teilweise lieber nicht mehr ins Spiel einzubinden, lassen seinen Transfer wie einen Flop wirken. Auch, dass er seit Mitte November gerade einmal vier Tore geschossen hat, ist keine Super-Ausbeute für einen Stürmer. Doch so arg, wie die Fans es gern darstellen, ist es längst nicht. Bei wettbewerbsübergreifend 47 Spielen in dieser Saison hat Werner bislang zwölf Tore geschossen und 13 weitere vorgelegt. Damit ist er Chelseas Top-Scorer. Auch in der vergangenen Saison hatte bei Chelsea niemand solche Werte vorzuweisen. Und das Finale sowie fünf Ligaspiele bleiben Werner noch für weitere Treffer und Vorlagen.

Werner wird "unterschätzt"

Gegen Real war es eher Havertz, der mit seinen Chancen wucherte. Erst der Lattentreffer, den Werner nutzte. In der zweiten Halbzeit dann landete ein Kopfball erneut nur am Kasten, dann parierte Courtois stark gegen den frei stehenden 21-Jährigen. Warum der Spott da nicht so groß ist wie sonst bei seinem Teamkollegen? Weil Havertz immer wieder mit seinen technischen Fähigkeiten beeindruckt. Weil er das Chelsea-Spiel mit klugen Pässen und gutem Stellungsspiel bereichert.

Etwas, das sich jedoch auch über Werner sagen lässt. Ex-Profi und heutiger Chelsea-Nachwuchscoach Ashley Cole hatte den Deutschen erst vor wenigen Tagen protegiert. "Ich denke wirklich, dass er unterschätzt wird. Ja, er hat einige große Chancen und Möglichkeiten verpasst", sagte er vor dem Liga-Spiel gegen den FC Fulham. Aber: "Als Trainer, als Manager achtet man immer darauf, ob er an den richtigen Stellen steht, ob er in den richtigen Positionen ist, um zuzuschlagen und sie zu verwandeln." Auch der gegnerische Coach dieses Spiels sagte über Werner, der in der Partie übrigens einen Assist beisteuerte: "Er schreckt nie zurück. Es war ein hartes Jahr für ihn, aber er hat die Qualität gezeigt, die Frank Lampard dazu gebracht hat, das Geld für ihn zu bezahlen." Chris Coleman ging sogar noch weiter und prophezeite: "Ich habe das Gefühl, dass dieser Junge in der nächsten Saison einen Haufen Tore schießen wird. Ich denke, er wird ein sehr, sehr guter Chelsea-Spieler sein."

Im Champions-League-Finale gegen Manchester City am 29. Mai in Istanbul könnte es eine Chance geben, das zu beweisen. Seine Kritiker sind aber schon jetzt schweigsamer geworden.

Quelle: ntv.de


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