Nur ein rotes Ohr zeigt, wie nervös Merkel ist

  08 Oktober 2015    Gelesen: 798
Nur ein rotes Ohr zeigt, wie nervös Merkel ist
In der Talkshow von Anne Will erklärt Bundeskanzlerin Merkel, wie sie die Flüchtlingskrise lösen will. Sie habe einen Plan, "aber der hängt nicht von mir alleine ab". Merkels zentrale Botschaft: Ich tue, was ich kann.

Für Angela Merkel sind Krisen mittlerweile Routine, man kann davon ausgehen, dass sie derzeit eigentlich keinen erhöhten Redebedarf hat. Doch ihr Volk, ihre Wähler, ihre Parteifreunde werden zunehmend nervös. Deutschland ist nicht mehr nur das Land, das Flüchtlinge willkommen heißt. Viele Deutsche fürchten, dass ihre Kanzlerin die Situation nicht mehr im Griff hat. Sie haben Erklärungsbedarf.

Also setzt sich Angela Merkel in die Talkshow von Anne Will und lässt sich eine Stunde lang ausfragen. "Versprechen Sie mehr, als die Deutschen bereit sind mitzumachen?", will die Moderatorin wissen. "Ich glaube das nicht", sagt die Kanzlerin und guckt mürrisch. "Ich glaube das nicht", wiederholt sie dann noch einmal, jetzt lächelnd. Sie wirkt entspannt. Oder scheint das nur so? Merkel sitzt seitlich zur Kamera. Ihr linkes Ohr ist ungewöhnlich rot. Entspannt sieht anders aus.

Die Fassung verliert Merkel nicht, man kennt das von ihr ja nicht anders. Im letzten Drittel der Sendung allerdings wechselt Will die Perspektive. Zuvor hatte die Bundeskanzlerin erklärt, wie sie dafür sorgen will, dass künftig weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Ein zentraler Baustein ihres Plans ist die Türkei: Der türkische Präsident Erdoğan soll, vereinfacht gesagt, die Flüchtlinge bei sich behalten und dafür Unterstützung und möglicherweise auch ein Entgegenkommen in Visafragen bekommen. Will, die davor sogar einen Aufnahmestopp als mögliche Lösung angeboten hatte, nennt eine solche Politik der Abschottung jetzt zynisch. "Opfert Europa einen Gutteil seiner Werte, indem es sich ausgerechnet an den türkischen Präsidenten heranschmeißt?", fragt sie.

"Wir opfern überhaupt nichts", entgegnet Merkel, "sondern wir sind im Gespräch und das halte ich für richtig." Ihr stößt ganz offensichtlich sauer auf, dass die Moderatorin eine Rolle spielt, mit der sie es sich ziemlich leicht macht. Es ist eine Rolle, das muss man zugeben, die Journalisten gerne spielen: die Rolle eines Beobachters, der es besser weiß und nichts entscheiden muss. Und so weist Merkel die Moderatorin darauf hin, dass es einen gewissen Gegensatz in ihren Fragen gebe: Auf der einen Seite sage Will, die Situation könne nicht so bleiben. Auf der anderen Seite kritisiere sie, man verkaufe sich, wenn man mit der Türkei über die Flüchtlinge rede. "Es ist meine verdammte Pflicht, darüber zu sprechen, in der Situation, in der wir im Augenblick sind!"

"Der Plan hängt nicht von mir alleine ab"

Merkel kennt diesen Gegensatz: Immer mehr Menschen, darunter der bayerische Ministerpräsident, fordern von ihr, sie möge die Flüchtlingskrise umgehend beenden. Doch die Kanzlerin hat nicht vergessen, was für ein Aufschrei durchs Land ging, als sie im Juli in Rostock einem palästinensischen Mädchen erklärte, die Bundesregierung bemühe sich darum, abgelehnte Asylbewerber schneller abzuschieben. Merkel ist die Kanzlerin eines gespaltenen Landes, dessen Bürger den Pelz gewaschen bekommen wollen, ohne nass zu werden. Es ist schwierig, es einem solchen Land recht zu machen.

Merkel versucht es, indem sie darüber spricht, was sie machen kann und was nicht. Sie habe einen Plan, "aber der hängt ja nicht von mir alleine ab". Sie wolle den Menschen zeigen, "es kommt wieder in einen geordneten Zustand". Dafür brauche sie Verbündete, "die liegen teilweise außerhalb Deutschlands". Die Situation in den Flüchtlingslagern müsse verbessert werden, man müsse mit der Türkei reden. Sie brauche auch europäische Mitstreiter, "einige drücken sich noch vor der Verantwortung", so Merkel. "Zugegebenermaßen: das dauert." Es habe aber keinen Sinn, "etwas zu versprechen, was ich nicht halten kann".

Merkel hat sogar den Mut, Machtlosigkeit einzugestehen. Im Augenblick sei es nicht möglich, verlässliche Zahlen über die ankommenden Flüchtlinge zu nennen. Es liege nicht in ihrer Macht, zu steuern, "wie viele Menschen zu uns kommen". Eines will sie nicht tun: Sie wolle sich nicht an einem europäischen Wettbewerb beteiligen, wer die Flüchtlinge am unfreundlichsten empfängt.

Friedensnobelpreis? Merkel hat wichtigere Dinge zu tun

Zugleich wiederholt sie ihre Beschwörungsformel. "Wir schaffen das, da bin ich ganz fest davon überzeugt", das ist gleich ihr erster Satz. Dann zählt sie auf, was geschafft werden muss: Die Kommunen müssen unterstützt, die europäischen Partner einbezogen und die Flüchtlingsursachen bekämpft werden. Will wirkt nicht überzeugt; noch spielt sie die Rolle der überforderten Bürgerin. Ein Gefühl, das Merkel nicht gelten lässt: "Stellen Sie sich mal vor, wir würden alle miteinander erklären, wir schaffen das nicht. Das geht doch nicht!"

Dass es schwierig ist, bestreitet Merkel nicht. Auch die Helfer vor Ort seien manchmal überfordert, aber sie würden ja auch nicht sagen, es gehe nicht mehr, "sondern sie helfen, es besser zu machen". Genau in dieser Rolle sieht Merkel sich auch. Den Vorschlag eines Aufnahmestopps hält sie für unrealistisch: "Wie soll das funktionieren?" Deutschland habe eine 3000 Kilometer lange Landgrenze. "Das wird nicht klappen." Noch genervter schiebt sie nur Fragen nach dem Friedensnobelpreis und nach einer möglichen Entlassung von Thomas de Maizière beiseite. Sie habe wichtigere Dinge zu tun, antwortet sie, sinngemäß, auf die erste Frage. "Natürlich nicht! Ich brauche ihn! Dringender denn je!", sagt sie über ihren Innenminister.

Die zentrale Frage des Abends kann Anne Will nicht stellen, weil sie sich an die Zuschauer richtet: Ist eine Mehrheit der Deutschen bereit, darauf zu vertrauen, dass diese Frau in der Lage ist, die Flüchtlingskrise zu managen, vielleicht sogar zu meistern? Anders gefragt: Glaubt eine Mehrheit, ein anderer Politiker sei eher dazu in der Lage? Das ist im Moment schwer vorstellbar. Ganz so rot hätte Merkels Ohr nicht sein müssen.

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