“Ich dachte, ein Stück Fleisch kommt aus mir raus“

  18 März 2016    Gelesen: 764
“Ich dachte, ein Stück Fleisch kommt aus mir raus“
Sie verschweigt ihre Schwangerschaft, das Kind bekommt sie in einem Rohbau, steckt es in eine Tüte und legt es ins Gebüsch. Der Junge überlebt. Den Richtern kann die Frau ihr Verhalten nicht erklären.
Schmerzen im Bauch wecken an diesem Sonntag im Juni 2015 die hochschwangere Frau. Das Kind in ihrem Leib drängt in die Welt, doch niemand soll davon erfahren. Passanten werden am Abend den neugeborenen Jungen in einer Plastiktüte finden, tief verborgen in einem Gebüsch am Parkplatz eines Elektromarkts. Das Köpfchen ist zur Öffnung gewandt. Er lebt, unterkühlt, aber er lebt. Wegen versuchten Totschlags im Zustand verminderter Schuldfähigkeit steht nun seine 39-jährige Mutter vor dem Landgericht in Bielefeld.

Während ihrer stundenlangen Aussage gerät sie am Donnerstag immer wieder ins Schluchzen, ringt die Hände, rauft die Haare, verbirgt das Gesicht. Die Frau erzählt mithilfe einer Übersetzerin umfassend, was passiert ist. Ihr Handeln erklären kann sie jedoch nicht.

Sie erzählt, wie sie sich die Supermarkttüte griff, zu einem leer stehenden Rohbau lief und stehend und schnell ihr Kind gebar. Wie der Säugling auf den Zementboden stürzte, sie ihn aufnahm und an die Brust drückte. Eine Viertelstunde lang habe sie ihr Kind gehalten, es dann mitsamt Plazenta in die Tüte gelegt und zum Parkplatz getragen. Es habe sich noch bewegt, als sie davonlief.

Was sie zu dieser "Sünde" gebracht habe, wisse sie bis heute nicht, sagt sie immer wieder unter Tränen. "Ich habe die Antworten selber nicht" – auch nicht auf die vielen anderen Fragen, die der Fall und ihre gelegentlich widersprüchlichen Aussagen aufwerfen.

Die 39-Jährige stammt aus Rumänien. Ihre Beziehungen halten häufig nicht lang, wie sie selbst schildert. Von zwei verschiedenen Männern bekommt sie in den 90er-Jahren erst eine Tochter, dann einen Sohn. Als sie in neuen Beziehungen wieder schwanger wird, treibt sie dreimal ab. Nach Deutschland kommt sie 2013 als Putzfrau. Später heuert sie in einer Fleischfabrik in Gütersloh an, teilt sich mit anderen Arbeiterinnen ein Zimmer. Tagsüber schläft sie, nachts steht sie am Band, um möglichst viel Geld in die Heimat schicken zu können.

Angeklagte kennt vom Vater nur den Namen

Vom Vater des Jungen erinnert die Angeklagte nicht viel mehr als den Namen und leere Versprechungen. Sie hatte nur einmal mit ihm geschlafen, auf eine gemeinsame Zukunft gehofft. Als er leugnet, sie möglicherweise geschwängert zu haben, ist sie erschüttert, bricht den Kontakt ab. In ihrer Aussage vor Gericht behauptet die Angeklagte nun, selbst bis zum Moment der Niederkunft nicht sicher gewesen zu sein, ob sie wirklich schwanger war: "Ich dachte die ganze Zeit, dass ein Stück Fleisch aus mir rauskommen würde." Sie habe gehört, so etwas könne vorkommen: Geschwulste in der Gebärmutter.

Den Nachfragen der Richterin ist anzuhören, dass sie vieles der Aussage für wenig glaubhaft hält. Warum sie nicht zum Arzt gegangen sei? Auch Abtreibung wäre doch eine Möglichkeit gewesen? Ob sie nicht gewusst habe, dass man ein Neugeborenes warm halten muss? Tränen und immer wieder "Ich weiß nicht, was mich dazu gebracht hat" sind die Antwort. Das Gericht hat bislang zwei weitere Verhandlungstage angesetzt.

Quelle : welt.de

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