Es gibt Dinge, die möchte man nicht wissen. Sehr wahrscheinlich möchte man in diesen Tagen nicht wissen, wie es um den Körper von Korbinian Holzer bestellt ist. Genauer, wie viele Hämatome der 33-Jährige an sich zählt. Ohne jede Rücksicht auf sich selbst (und seinen Körper) schmeißt sich der Eishockey-Oldie in diesen Tagen in nahezu jeden Puck, der auf das deutsche Tor fliegt. Ganz egal wie wuchtig die Geschosse sind. Und einige von ihnen waren extrem wuchtig. Gegen Kanada schon, aber noch mehr am Dienstagabend gegen WM-Gastgeber Lettland. Je dramatischer sich dieser finale Showdown um den Einzug ins Viertelfinale zuspitzte, desto wütender schossen die Letten in Riga auf das DEB-Gehäuse von Top-Goalie Mathias Niederberger. Und dass der nicht noch häufiger eingreifen musste als ohnehin schon, das lag eben vor allem am leidenschaftlich blockenden Holzer.
Dass am Ende eines hauchzart zum Einzug in die Knockoutrunde reichte, dass es am Ende 2:1 stand, das war vor allem eine deutsche Willensleistung. Denn nach einem fantastischen Start und zwei schnellen Toren durch den gerade erst 19-jährigen John-Jason Peterka (4.) und Marcel Noebels (7.) wurde das Spiel eben kein Selbstläufer, sondern ein Kampf mit allerhöchster Intensität. Einer, der diesen Kampf nicht ohne großes Leiden beendete, war Torschütze Noebels. Die Verletzung am Handgelenk, die sich der Berliner nach einem harten Zusammenprall mit Mārtiņš Karsums zugezogen hatte (29.), ist offenbar so schwer, dass er im Viertelfinale gegen die Schweizer am Donnerstag (15.15 Uhr im Liveticker bei ntv.de und bei Sport1) wahrscheinlich fehlen wird.
Dass es die deutsche Mannschaft nicht schaffte, aus dem perfekten Start mehr Souveränität zu ziehen, das ist so eine Geschichte, die sich durch die WM schleppt. In keinem Spiel lief es mal über 60 Minuten richtig rund. Nun, das lag natürlich auch an der Qualität der anderen Mannschaften, unter anderem an Finnland und den USA, aber auch daran, dass sich das DEB-Team von der Härte des Gegners aus dem Konzept bringen ließ. Gegen Kasachstan etwa, das am letzten Spieltag noch aus den Teilnahmerängen für das Viertelfinale gekickt wurde. Und nun auch gegen Lettland. Mit Beginn des zweiten Drittels drehte sich das Spiel nämlich komplett. Vor den rund 1000 Fans, die waren erstmals zugelassen, packte die Gastgeber die Leidenschaft. Harte Checks, viele Schüsse. Deutschland verlor den Zugriff. Entlastung? In diesen Minuten ein Fremdwort.
"Mit dem falschen Fuß ins zweite Drittel gekommen"
Dass die Auswahl von Bundestrainer Toni Söderholm indes nicht nur einmal Schaden nahm, da war schon tüchtig Glück dabei. Auch, wenn die Letten nicht arg viele Top-Chancen hatten. Ein Verdienst vom fliegenden Holzer und sein hart arbeitenden Kollegen. "Wir sind mit dem falschen Fuß ins zweite Drittel gekommen", kritisierte der Coach, lobte er die Leidensfähigkeit und Willensstärke seiner Spieler. "Ohne dieses große Herz haben wir keine Chance in diesem Turnier weiterzukommen." Immerhin: Im letzten Drittel gelang es Deutschland wieder besser, den Letten ihren Furor zu nehmen, ohne dabei allerdings die Spielkontrolle zurückzuerlangen. Aber gut, in einem Do-or-Die-Spiel schlägt das Herz eben das Hurra. Erst recht nach drei Niederlagen zuvor.
Nun geht's also gegen die Schweiz. Gegen eine Mannschaft, die in diesem Turnier Rätsel aufgibt. Als Zweiter hinter Russland kam das Team zwar stark durch seine Gruppe mit den Tschechen, mit den Slowaken und mit den hart ernüchterten Schweden (erstmals seit 1937 nicht unter den besten Acht), aber gegen die Tre Kronor kassierten die Eidgenossen beispielsweise eine krachende 0:7-Lasche, ehe sie zwei Tage später die Slowaken mit 8:1 vermöbelten. Kurios. Mindestens. Was gegen den Erzrivalen möglich ist? Einiges, so sieht es Stürmer Markus Eisenschmid. "Gegen wen wir spielen, ist uns egal. Wir haben gezeigt, dass wir Eishockey spielen können."
Coach Söderholm erhofft sich durch das Erreichen des Mindestziels (Viertelfinale) und das Derby noch mal einen extra Booster für die Motivation seiner Spieler. "Rivalitäten sind mit die besten Sachen im Sport. Es sind noch mal ein paar Prozent Reiz, ein paar Prozent Kampfgeist, die mit ins Spiel kommen", sagt der Finne, "es ist ein Spiel, bei dem du rausgehst und sagst: jetzt raus mit den Emotionen, alles raus. Das sind für Sportler die allerschönsten Momente." An ein WM-Viertelfinale gegen die Schweiz hat der Deutsche Eishockey-Bund übrigens äußerst gute Erinnerungen. Denn der einzige Viertelfinalerfolg, den ein DEB-Team seit der Einführung je feiern konnte, gelang 2010 beim Heimturnier - mit einem 1:0 gegen den Nachbarn.
Die erste WM-Medaille seit Silber 1953 haben die Spieler im Visier, daraus haben sie nie einen Hehl gemacht, seit sie in Lettland sind. "Es ist einfach top, dass wir uns die Möglichkeit gegeben haben, um Medaillen zu spielen", sagte Söderholm, "die Mannschaft hat sich das komplett verdient."
Quelle: ntv.de
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