Ukrainerin in Russland: Der Schauprozess

  21 März 2016    Gelesen: 704
Ukrainerin in Russland: Der Schauprozess
In der Ukraine ist sie eine Heldin, für die Kreml-Presse eine "Tötungsmaschine mit Rock". Nun droht Nadija Sawtschenko eine drastische Strafe. Ein Musterbeispiel für russische Willkürjustiz.
Es gibt Momente, in denen sich das Schicksal seine Helden auszusuchen scheint, ohne Ansehen ihrer Persönlichkeit. Ein Beispiel dafür ist die Ukrainerin Nadija Sawtschenko, 35 Jahre alt, geboren in Kiew, seit 20 Monaten Gefangene der Russischen Föderation.

Anfang dieser Woche will Russlands Justiz das Urteil verkünden. Sawtschenko stand während der Revolution auf dem Maidan, war ausgebildet worden als Hubschrauberpilotin der ukrainischen Armee, zog aber als Mitglied eines Freiwilligenbataillons in den Krieg in der Ostukraine. Dort wurde sie mit hoher Wahrscheinlichkeit von Russlands Geheimdienst verschleppt - und des kaltblütigen Mordes an russischen Journalisten angeklagt.

Sawtschenko soll nach Angaben der Staatsanwaltschaft bei Kämpfen in der Ostukraine das Feuer einer Haubitze gezielt auf das Kamerateam eines russischen Fernsehsenders gelenkt haben. Die russische Justiz fordert 23 Jahre Haft. Aber die von der Anklage vorgebrachten Beweise konnten die meisten Prozessbeobachter nicht überzeugen, im Gegenteil: Politiker in Europa und Amerika machen sich für eine Freilassung Sawtschenkos stark. In ihrer ukrainischen Heimat hat Sawtschenko den Status einer nationalen Ikone.

Die russische Seite erzählt den Fall als Schurkenstück. Die Kreml-treue Presse schrieb nach Sawtschenkos Verhaftung von der "Tötungsmaschine mit Rock". Sawtschenko diente Moskau als Beleg für die These, Kiew führe in der Ostukraine einen barbarischen Krieg und mache gezielt Jagd auf Russen. Der TV-Reporter Igor Korneljuk war 37 Jahre alt, als er im Juni 2014 starb, getroffen von den Splittern eines Artillerie-Geschosses in der Nähe der Stadt Luhansk in der Ostukraine. Ums Leben kam bei dem Angriff auch ein zweiter Mitarbeiter von Korneljuks Kanal, Anton Woloschin. Sawtschenko habe die beiden Journalisten erspäht und gezielt das Artilleriefeuer auf sie gelenkt, behaupten die Russen. "Getötet für die Wahrheit: In der Ukraine geht die Jagd auf Journalisten weiter", titelte das Moskauer Massenblatt "Argumenty i Fakty" damals. Der zum Gazprom-Imperium gehörende Sender NTW sprach von "gezieltem, zynischem Mord".

Zum Tatzeitpunkt war Sawtschenko längst in Gefangenschaft

Die Lesart auf ukrainischer Seite ist natürlich eine andere: Nadija Sawtschenko wird als Heldin beschrieben, die einem immer aggressiveren Russland entgegentritt, ein Vorbild an Freiheitsliebe und Tapferkeit. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko verlieh Sawtschenko den Titel "Heldin der Ukraine". Sie sei "ein Symbol der Unzerstörbarkeit des ukrainischen Geists und Heldenmuts, ein Symbol dafür, wie man die Ukraine verteidigen und lieben muss".

Er wäre falsch, die Wahrheit in der Mitte der beiden Darstellungen zu suchen. Die russische Anklage hat sich in viele Widersprüche verwickelt. Daten von Sawtschenkos Mobiltelefon belegen, dass sie zum Zeitpunkt des Angriffs auf die Reporter bereits in Gefangenschaft auf einem Separatisten-Stützpunkt war. Eine russische Astronomie-Expertin hat das dem Gericht bestätigt, sie datierte Aufnahmen von Sawtschenkos Gefangennahme anhand des Sonnenstands. Sawtschenko wird zudem illegaler Übertritt der russischen Grenze zur Last gelegt. Sie habe sich - nachdem die Separatisten sie am 23. Juni laufen gelassen hatten - als Flüchtling ausgegeben.

Geiseln sind wertvoll in dem Konflikt - sie werden ausgetauscht gegen vom Feind gefangene Kameraden. Alexander Bastrykin, Chef des federführenden russischen Ermittlungskomitees, hat behauptet, Sawtschenko habe sich tagelang frei auf russischem Territorium bewegt. Sie habe Sabotageakte geplant und sei "erst am vierten Tag, also am 30. Juni", festgenommen worden. In den Gerichtsakten steht es anders: Sawtschenko sei bereits am 25. Juni verhört worden, von einem Untergebenen Bastrykins.

Spitzname "Kugel"

Nicht alles in Sawtschenkos Biografie entspricht dem Helden-Status, den sie heute in der Ukraine hat. In der ukrainischen Armee stand sie im Ruf, ein Sicherheitsrisiko zu sein. Sie war einige Monate mit ukrainischen Verbänden im Irak stationiert. Der Einsatz endete mit einem Skandal: Sawtschenko habe sich aggressiv verhalten, sagen ehemalige Kollegen. Ihr Spitzname war "Kugel". Im März 2005 entfernte sie sich nachts unerlaubt von der Truppe, wurde wenig später aber von US-Soldaten zurückgebracht. In ihrem Rucksack hatte sie mehrere Granaten. Nach ihrer Rückkehr trat sie im Fernsehen auf. Für die Trash-Sendung "Schlacht der Hellseher" spielte sie eine Scharfschützin.

Nur: Ins Gewicht fallen solche Schattierungen nicht mehr. Sawtschenkos Fall ähnelt dem des 2009 in russischer Haft misshandelten und verstorbenen Sergej Magnizkij. Magnizkij hatte als Experte für Abgabenrecht einem windigen Großinvestor beim Steuersparen geholfen. Dann geriet er zwischen die Fronten in einer Auseinandersetzung zwischen seinem Chef und korrupten russischen Beamten. Sie ließen Magnizkij in Haft nehmen, verwehrten ihm Arztbesuche, um den Investor unter Druck zu setzen. Der Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten kam zu dem Schluss, Magnizki sei in Haft misshandelt und wohl zu Tode geprügelt worden.

An seine Steuertricks erinnert sich heute niemand. Das Unrecht, dass Magnizkij widerfahren ist, wiegt viel schwerer.

Quelle : spiegel.de

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