So fit ist die deutsche Autoindustrie

  27 Juni 2021    Gelesen: 1060
So fit ist die deutsche Autoindustrie

Die deutsche Automobilindustrie ist beim Verbrenner das Maß der Dinge. Doch der Strukturwandel hin zur Elektromobilität bringt die Vormachtstellung ins Wanken, Untergangsrufe werden laut. Doch wie ist es wirklich um die Konzerne bestellt?

Das Sterbeglöckchen für die deutsche Autoindustrie ist verstummt. Im Gegenteil: Autoaktien sind wieder gefragt - und die Autoindustrie ist Treiber des wirtschaftlichen Aufschwungs. Ist die Branche also zurück in der Erfolgsspur? Nein, denn sie hat diese nie verlassen! Dafür gibt es mehrere Gründe und empirische Belege.

Zum einen ist die Erholung der weltgrößten Automobil-Absatzmärkte China und USA in vollem Gange, lediglich Europa hinkt hinterher. Der chinesische Automobilmarkt hat dabei nicht nur die Corona-Krise überwunden, nein, er boomt. Für Konjunkturexperten ein sicheres Zeichen, dass auch im Rest der Welt der Autoabsatz kräftig zulegen wird. Fest steht, dass Corona den Bedarf an Autos nicht grundsätzlich beeinträchtigt hat, sondern lediglich aufgestaut. Die Autoindustrie bleibt also eine Wachstumsbranche. So sehr, dass die deutsche sogar an der Wirtschaftserholung einen überdurchschnittlichen Anteil hat.

Verbrenner raus - Elektro rein

Zum anderen haben die deutschen Automobilhersteller den Transformationsschock - Verbrenner raus, Elektro rein - inzwischen überwunden. Alle Konzerne haben ihre traditionelle Verbrennertechnologie in Windeseile um den Elektroantrieb in Reinform mit Batterie (BEV) oder als Plug-In-Hybrid mit Zusatz-Elektroantrieb (PHEV) ergänzt. Damit wurde zähneknirschend der öffentlichen Verdammnis der Verbrenner - und dem Hype um den Elektroauto-Pionier Tesla - Rechnung getragen. Rationale Argumente, wie etwa, dass der fossile Treibstoff und nicht die Motoren das Problem ist, waren da nicht gefragt.

Elektromobilität lautete die oberste Direktive, politisch hoch subventioniert sorgte sie dafür, dass die deutsche Autoindustrie plötzlich mit leeren Händen dastand. Und das Greenhorn Tesla wuchs zu einem IT-Spezialisten und zu einem ernstzunehmenden und ehrgeizigen Konkurrenten heran, der es sogar wagte, im automobilen Mutterland eine seiner Fabriken aufzubauen. Tesla galt landläufig als technologisch uneinholbar und als bester Beweis für die Zopfigkeit und Rückständigkeit der deutschen Autoindustrie. Welch fundamentaler Irrtum! Denn der Weltmarkt sieht das völlig anders.

Der Weltmarkt sagt, wo's langgeht

Der Weltmarktanteil der deutschen Pkw-Produktion hat trotz Elektro-Hype und Tesla bis zuletzt kontinuierlich zugenommen - selbst in der Corona-Krise. Und ist bis zuletzt auf nahezu ein Viertel der Welt-Produktion gewachsen. Seit über einem halben Jahrhundert gewinnen die deutschen Hersteller im Trend Marktanteile hinzu, obwohl der Weltmarkt in den letzten zwanzig Jahren durch japanische und koreanische Konkurrenten zunehmend wettbewerbsintensiver geworden ist.

Jedes fünfte heute in der Welt gebaute Auto trägt ein deutsches Markenzeichen. Allerdings rollt nur noch jedes zwanzigste Vehikel in Deutschland vom Band. Innerhalb von zwanzig Jahren hat sich der Anteil halbiert.

Das belegt: Die deutsche Autoindustrie hat die Erfolgsspur nie verlassen. Im Gegenteil, sie ist zunehmend globaler geworden und hat dank des Elektro-Pushs technologisch an Breite und Tiefe sowie in Summe an internationaler Wettbewerbsfähigkeit gewonnen.

Deutsche Erfolgsfaktoren satt

Wie war das möglich? Grundvoraussetzung für den Erfolgskurs in den letzten Jahrzehnten waren fundamentale Standortfaktoren wie etwa ein weltoffenes und innovatives Management oder auch hoch qualifizierte und leistungsorientierte Arbeitnehmer, einschließlich ihrer Organisationen. Ebenso zählen die bislang über Parteigrenzen hinweg immer günstigen politischen Rahmenbedingungen für das Produkt Auto und seine Hersteller zu den Erfolgsfaktoren.

Hinzu kamen in den letzten Jahren aber vor allem drei Faktoren, denen die Branche ihre heutige starke Weltmarktstellung verdankt: eine effiziente Bewältigung der Corona-Krise; eine weitsichtige Erschließung des Marktes China und eine hohe Flexibilität samt erfolgreicher Adaption und Integration der Elektromobilität.

Vor allem der letzte Punkt verdient Beachtung, denn die deutschen Hersteller surfen ganz oben auf der Elektrowelle. Monatlich erscheinen auf dem Markt neue deutsche Elektromodelle. Am Jahresende 2021 sollen es laut Aussage des Branchenverbandes VDA insgesamt 150 sein. Deutschland und die deutsche Automobilindustrie sind binnen kurzer Zeit weltweit Zugpferde bei der Vermarktung von Elektroautos geworden.

Inzwischen ist die Branche sowohl in Europa wie in den USA bei der Elektromobilität führend und Deutschland nach China zum zweitgrößten Einzelmarkt für elektrifizierte Autos aufgerückt - mit Leitfunktion für andere Märkte. Damit zeigt sich, dass die deutsche Autoindustrie, anders als oft vorhergesagt, die neue Technologie nicht verschlafen hat, sondern genau zum richtigen Zeitpunkt durchgestartet ist.

So stark wie noch nie

Helmut Becker schreibt für ntv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Er war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.Folgen:
Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Die deutsche Autoindustrie war technologisch noch nie so stark wie heute! Sie beherrscht alles: Spaltmaße, Elektronik, Verbrennertechnik solo oder in Kombination mit Elektroantrieb. Sie ist auf allen Märkten der Welt zu Hause. Und sie hat eine führende Position auf dem größten Weltmarkt für Automobile: China.

Fazit: Die deutsche Autoindustrie ist im Sommer 2021 strategisch stärker denn je. Was nicht impliziert, dass das auf Dauer so bleiben muss.

Quelle: ntv.de


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